King Krule in einer Atempause zwischen zwei Anfällen von Ehrgeizlosigkeit. Eben ist sein Album "Man Alive!" erschienen.

Foto: XL Records

Archy Marshall wirkt wie ein alter Mann im alten Körper eines jungen Mannes. Sein Outfit unterstreicht das. Er trägt Anzüge aus den 1940er-Jahren, die ihn als Bewohner jedes Film noir durchgehen lassen würden, wenn nicht seine Schuhe wären. Wobei, Schuhe ist ein großes Wort für seine rosa Badeschlapfen aus Plastik. So kam er zur Verleihung des Mercury Music Prize, für den er 2018 nominiert war. Marshalls Haare sind orange, die Augenbrauen ebenso, ja sogar die Wimpern, die seine Lider nach unten ziehen.

Wenn das irgendetwas Aristokratisches haben soll, dann nur die ungesunde, inzestuöse Seite des Adels. Und dennoch ist der Mann ein König. Zumindest nennt er sich so: King Krule.

Schlapp 'til you drop

Das ist einer von mehreren Kunstnamen des Archy Ivan Marshall. Eben hat diese seltsame Gestalt das Album Man Alive veröffentlicht. Mit Rufzeichen hinten dran. Das ist ein enormer Kraftaufwand, wenn man die Schlappheit bedenkt, die sein 2017er-Album The Ooz noch prägte. Damals wollte man ihn am liebsten stützen, einen Zivildiener rufen, einen Rollator bestellen, den Fonds soziales London bemühen. Doch das wäre falsch gewesen.

Das System hat nämlich einen beträchtlichen Anteil an der Verschrobenheit des jungen Briten. Das Scheidungskind litt unter einem strengen Vater und einer nachgiebigen Mutter. Als Teenager weigerte er sich, zur Schule zu gehen, Psychologen untersuchten Archy, der versank im Trotz, hasste all die Trottel, die da über ihn befanden. Rettung kam von unrettbaren Gestalten wie Pete Doherty und der Band The Libertines.

King Krule - Topic

Marshall erkannte Musik als Ventil und kommt seit zehn Jahren mit seltsamen Alben über die Welt. Blieb am Ende der Besprechung des Vorgängers The Ooz die Frage unbeantwortet, ob das Werk Schrott oder genial sei, verhärtet Man Alive! nun den Genieverdacht.

Nicht dass King Krule plötzlich flotte Musik spielen würde, das Album klingt immer noch über weite Strecken ermattet, Marshall nimmt aus Prinzip nur in der Nacht auf. Doch die Mischung aus Synthiepop, rachitischer Bassmusik und Schmal-Hans-Rock wie ihn The xx spielen, wirkt nun doch etwas mehr der Welt zugewandt als noch auf The Ooz, auf dem der King der Welt noch viel mehr seine südliche Rückseite ins Gesicht hielt.

Umzug aufs Land

Geblieben ist der kranke Lounge-Music-Charakter mancher Tracks. Lounge Music ist per se eher unaufgeregt, welche Hilfsmittel King Krule zur Entspannung gereichen, weiß vielleicht die Drogenfahndung, nicht aber die Kritik. Doch mit einem verdrehten Bass sowie dem Saxofon-Gebläse des Argentiniers Ignacio Salvadores entwirft er eine Lounge-Musik, die an die gänzlich unentspannte New Yorker No Wave erinnert. Der hilflose Minimalismus des Frühwerks ist dabei einer faulen Routine gewichen.

King Krule

Songs wie Stoned Again erinnern an den Hinterhof-Hip-Hop des Labels WordSound und seiner Künstler. Sie klingen wie Irrfahrten durch die Nacht, die jetzt doch eher ausgedacht sein dürften. Denn Marshall ist mit seiner Angetrauten aufs Land gezogen, um sich, von profanen Versuchungen unbeirrt, der Brutpflege der gemeinsamen Tochter zu widmen. Plötzlich hat das Leben einen anderen Sinn, als ins Pub zu schlurfen und zu schauen, wo man am nächsten Morgen zu sich kommt.

Schrott nur als Ambiente

Der Musik hat das gutgetan. Bei allem fehlenden Ehrgeiz ist sie bestechend verwegen. Ihre Verweigerung, sich festzulegen, hat eine Handschrift begründet: King-Krule-Musik. Diese mäandert durch die Stile und die Zeit. Die Film-noir-Assoziationen passen dazu ebenso wie die After-Hour-Stimmung irgendwo an der Londoner Peripherie. Der Schrott dort ist aber nicht die Musik, er bildet bloß das Ambiente. (Karl Fluch, 25.2.2020)