Der Innenraum des Renault Twingo GT: Künstliche Intelligenz wird für die Oberflächeninspektion von Kunststoff eingesetzt.

Foto: Imago / Sebastian Geisler

Zwei wichtige Anwendungen von künstlicher Intelligenz (KI) in der Industrie bilden die Qualitätskontrolle und die vorausschauende Wartung. In dem einen Fall wird automatisch erkannt, ob ein Bauteil tatsächlich den erforderlichen Spezifikationen entspricht, im anderen geht es darum, auf Unregelmäßigkeiten zu reagieren, bevor es zum Anlagenstillstand kommt – nach dem Motto: das Ersatzteil schon kurz vor dem Kaputtgehen tauschen.

Eine Entwicklung des Polymerkompetenzzentrums PCCL in Kooperation mit der Montanuniversität Leoben zeigt, wie man beide Prinzipien verbinden kann, um in einer Art "vorausschauender Qualitätskontrolle" die Produktion zu optimieren. Die Qualität der hergestellten Werkstücke wird dabei nicht nur laufend kontrolliert. Kleinste Abweichungen, die registriert werden, nutzt man, um die Parameter der Maschine zu verändern und die folgenden Werkstücke zu verbessern.

Dieter P. Gruber beschäftigt sich mit seiner Forschungsgruppe "Robot Vision und künstliche Intelligenz" am PCCL schon seit über zehn Jahren mit der Automatisierung der Oberflächeninspektion von Bauteilen. "Es geht um die Entwicklung eines künstlichen Auges, das visuelle Störungen an 3D-Bauteilen erkennen kann – auch wenn diese Oberflächen veränderliche Strukturen und Muster ähnlich einer Holzmaserung oder einem textilen Gewebe aufweisen", beschreibt der Wissenschafter.

Kratzer, Schlieren, Löcher

Konkret geht es etwa um Kunststoffverkleidungen im Inneren von Autos, die ein Dekormuster aufweisen. "Veränderungen und Verzerrungen des Musters und unterschiedliches Reflexionsverhalten der Oberflächen sind hier durchaus zulässig, nicht aber Kratzer, Schlieren, Löcher oder sogenannte Einfallstellen, bei denen sich die stabilisierenden Strukturen auf der Rückseite der Bauteile an der Vorderseite abzeichnen", erklärt Gruber. "Das System muss flexibel genug sein, um zulässige Veränderungen und Defekte in der Oberflächenstruktur unterscheiden zu können."

Das Prüfsystem, das in der Forschungsgruppe entwickelt wird, greift in der Regel auf mehrere Kamerasensoren und Lichtquellen zurück. Das daraus resultierende Datenmaterial muss auch glänzende und reflektierende Oberflächen gut charakterisieren können – in der automatisierten Qualitätskontrolle oft eine Hürde.

Um ein neuronales Netzwerk nun auf das Erkennen der Fehlstellen zu trainieren, erfolgen zuerst Durchläufe mit Serien von Testteilen. Einerseits werden dem System verschiedene Klassen von Störungen der Oberfläche präsentiert. Andererseits kann mit Gutteilen gearbeitet werden, um die KI das Aussehen fehlerfreier Exemplare "erlernen" zu lassen. Nach einem allgemeinen Training, das gute und defekte Teile definiert, wird das System mit weiteren Strategien – etwa spezifischen Nachtrainings – optimiert.

Als Teil einer Fertigungsanlage soll das System nicht nur optische Störungen, sondern auch kleinste Formveränderungen wie die erwähnten Einfallstellen erkennen. "Die Formteile verändern sich unmerklich, wenn Faktoren wie Druck oder Temperatur bei der Fertigung nicht optimal sind", erklärt Gruber. "Darum vermessen wir bis in den Mikrometerbereich hinein, wie stark die aktuelle Qualität jedes Bauteils von einem als Ziel definierten Optimum abweicht. Diese Messung wird zum Feedback für die Produktion der folgenden Teile."

Verformung ausgleichen

Zum Beispiel könnte es die Bedingung geben, dass eine Oberfläche niemals eine Verformung tiefer als 20 Mikrometer aufweisen darf, da diese als Störung sichtbar werden würde. Ist bei einer Serie von Werkstücken ein Ansteigen des Werts in Richtung 20 zu verzeichnen, kann die Anlage automatisch reagieren und beispielsweise eine Prozesstemperatur erhöhen, um dem Trend entgegenzuwirken und wieder niedrigere Werte zu erreichen. Bisherige Prozeduren, bei denen zuerst eine ganze Charge von Werkstücken produziert und geprüft wird, um eine Maschine nachzujustieren, entfallen. Ausschuss wird vermieden.

Die Fehlererkennung in Oberflächen ist für Gruber aber nicht das Ende der Fahnenstange. In seiner Forschungsgruppe nutzt er KI-Algorithmen auch, um die Haptik eines Kunststoffobjekts zu erkennen – genauer gesagt, wie sich eine Oberfläche bei Berührung anfühlt. "Eine Oberfläche kann samtig, ledrig oder ‚froschig‘ sein. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, dieses Berührungsgefühl zu systematisieren", sagt der Wissenschafter.

In Experimenten wird mit spezieller Sensorik die Kontaktinformation eines künstlichen Fingers auf verschiedenen Oberflächen gemessen, die Daten werden mithilfe des neuronalen Netzes ausgewertet und mit Parametern der Fertigung in Zusammenhang gebracht. Auf diese Art könnte man genauso wie Optik oder Robustheit auch das Berührungsgefühl eines Kunststoffwerkstücks in Zukunft besser designen. (Alois Pumhösel, 1.3.2020)