Eine Gehhilfe wird aus dem New Yorker Gerichtsgebäude gebracht. Der Besitzer Harvey Weinstein kam nach dem Urteil nicht mehr frei. Der Richter ordnete seine sofortige Inhaftierung an.

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Was der Schuldspruch gegen Harvey Weinstein für die MeToo-Bewegung bedeutet, hat deren Gründerin Tarana Burke in klaren Worten zusammengefasst. Jahrzehntelang, sagte die Bürgerrechtlerin aus der New Yorker Bronx, habe der Filmproduzent in Hollywood ungestraft agieren können, noch dazu, ohne Reue zu zeigen. "Und dann hat es Jahre gedauert und Millionen laut erhobener Stimmen bedurft, damit ein einziger Mann vom Justizsystem für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden konnte." Der Fall rufe in Erinnerung, worauf sexuelle Gewalt beruhe, nämlich auf unkontrollierter Macht. Die Konsequenzen, prophezeit Burke, würden nun weit über Hollywood hinaus zu spüren sein – im Alltagsleben überall auf der Welt.

Dass der Jury-Spruch ein Meilenstein ist, liegt auf der Hand. Als die New York Times und der New Yorker im Herbst 2017 akribisch recherchierte Berichte über den sexualisierten Machtmissbrauch Weinsteins veröffentlichten, war es der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und MeToo entstehen ließ. Wenn nun Weinstein von zwölf Geschworenen, sieben Männern und fünf Frauen, für schuldig befunden wird, bedeutet dies in den Worten von Rebecca Solnit nichts weniger als eine Wende.

Keine Rache, sondern eine Warnung

Die kalifornische Schriftstellerin hat soeben in einem Memoirenband mit dem ungeschminkten Titel Recollections of My Nonexistence geschildert, was ihr in jungen Jahren an sexueller Gewalt widerfahren ist. Sie habe Weinstein hinter Gittern sehen wollen, schrieb sie nach dem Urteil, jedoch nicht aus Rache, sondern als Warnung für Männer wie ihn, dass das Zeitalter der Straflosigkeit beendet sei.

"Dass es Leute gibt, die gewillt sind, den Frauen zuzuhören. Dass es manchmal Folgen hat, was wir sagen." – Der wichtigste Effekt, glaubt Solnit, sei einer, der sich nicht beziffern lasse: Es seien all die Verbrechen, die nun nicht begangen würden, weil die potenziellen Täter jetzt, da mit Konsequenzen zu rechnen sei, ebendiese fürchteten.

Aussage gegen Aussage

Der Prozess in einem New Yorker Gerichtsgebäude, dessen abgewetzte Schäbigkeit einen Kontrast zur Glitzerfassade Hollywoods bildete, wie er schärfer kaum sein könnte, hat eines gezeigt: Die Vorwürfe der MeToo-Bewegung sind justiziabel. Auch wenn dies in den Details komplex ist. Da Beweise fehlten, stand Aussage gegen Aussage: die der Produktionsassistentin Mimi Haleyi, 2006 von Weinstein zum Oralsex gezwungen, und die der Schauspielerin Jessica Mann, 2013 von ihm vergewaltigt, gegen jene dieses ehemals mächtigen Moguls, der beteuerte, mit beiden ausschließlich einvernehmlichen Sex gehabt zu haben. Donna Rotunna, Weinsteins Chefanwältin, verteidigte ihren Mandanten, indem sie den beiden zumindest eine Mitschuld gab.

Lasse sich eine Frau von einem Mann auf ein Hotelzimmer oder in eine Privatwohnung einladen, sollte sie wissen, was passieren könne, argumentierte sie. Sie selbst, legte die knallharte Juristin in einem Interview nach, sei sexuell noch nie angegriffen worden, weil sie sich eben noch nie "in diese Lage" gebracht habe.

"Es ist kompliziert"

Im Falle Jessica Manns, begründete Rotunno, könne man von Vergewaltigung schon deshalb nicht sprechen, weil Täter und Opfer auch danach noch freundschaftliche Beziehungen unterhielten, bis hin zu einvernehmlichem Sex. Die Jury ist dieser Logik nicht gefolgt, sie hat die differenzierte Schilderung Manns für glaubwürdig gehalten. Im Zeugenstand hatte Mann es so erklärt: "Ich weiß, es ist kompliziert, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass er mich vergewaltigt hat."

Auch deshalb könnte der Weinstein-Prozess einen Wendepunkt markieren, kommentieren Jodi Kantor und Megan Twohey, die New York Times-Journalistinnen, deren Enthüllungen am Beginn des Kapitels standen. Denn zum einen verdeutliche das Verfahren, dass sich Verbrechen nicht notwendigerweise nach einem ordentlichen Skript richten. Zum anderen korrigiere es die öffentliche Wahrnehmung darüber, welche Art von Opfern "einen Tag vor Gericht" verdient hätten.

Eines allerdings, glaubt eine Rechtsprofessorin der New Yorker Columbia University, werde sich auch mit dem Weinstein-Prozess nicht ändern: Die meisten Fälle sexueller Belästigung würden auch in Zukunft nicht Gegenstand formeller Klagen sein.

"Wir leben in einer Welt, in der Stigma und Scham nach einer sexuellen Attacke weiter vorhanden bleiben werden", schreibt Suzanne Goldberg in einem Gastbeitrag für die Washington Post. Sie sei nach wie vor real, die Angst vor dem, was geschehen könnte, wenn man sich öffentlich beschwere. (Frank Herrmann aus Washington, 25.2.2020)