Bundeskanzler Sebastian Kurz auf dem Weg zur Downing Street – aufgenommen im November 2018, als er die Vorgängerin von Premier Boris Johnson, Theresa May, besuchte.
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Die Vorzeichen sind diesmal völlig andere: Kämpfte beim letzten bilateralen Besuch von Kanzler Sebastian Kurz die damalige Premierministerin Theresa May noch mit dem Brexit, so fand Kurz am Dienstag ein Land vor, das seit vier Wochen nicht mehr Mitglied der EU ist. Empfangen wurde der österreichische Kanzler von Premierminister Boris Johnson – jenem Johnson, der am Tag des letzten Besuches im Sommer 2018 gerade seinen Job als Außenminister aus Frust über den "weichen" Brexit-Kurs Mays hingeschmissen hatte.

Mittlerweile sind auf der Insel Parlament wie Regierung auf radikalem Trennungskurs von der EU – gute bilaterale Verhältnisse zu den europäischen Partnern sind trotzdem erwünscht. "Unser Ziel ist es, auch weiterhin einen guten politischen und vor allem auch wirtschaftlichen Kontakt aufrechtzuerhalten", erläutert Kurz den Zweck der Reise. 33.000 Auslandsösterreicher leben derzeit in Großbritannien, das Handelsvolumen mit den Briten beträgt sieben Milliarden Euro.

Verhandlungsmandat beschlossen

Damit das auch so bleibt, sollen bis Ende des Jahres die zukünftigen Beziehungen in neue Verträge mit der EU gegossen werden. Das Verhandlungsmandat für die EU-Kommission beschlossen die Europaminister der Mitgliedsstaaten – darunter Österreichs Ministerin und Kurz-Parteikollegin Karoline Edtstadler – am Dienstag.

Ein Statement von Bundeskanzler Sebastian Kurz vor dem Treffen mit Premierminister Boris Johnson.

Die Verhandlungen selbst beginnen noch im März mit einem ambitionierten Zeitplan. Bis Ende des Jahres müssen die zukünftige Handels- und Wirtschaftskooperation, die Zusammenarbeit in Justizfragen, die Mobilität sowie die Sicherheits- und Außenpolitik in Verträge gegossen sein.

Kurz geht dabei von "schwierigen Verhandlungen" aus, nach wie vor sei nicht auszuschließen, dass die EU und Großbritannien Ende 2021 ohne Verträge auseinandergehen. Johnson sie auch im Gespräch mit ihm, Kurz sehr bestimmt gewesen. "Er weiß, was er will, auch wenn er das mit einem gewissen Humor rüberbringt", so Kurz. Die EU wünscht sich ein eher enges Verhältnis, bei dem sich Großbritannien auch an die hohen EU-Standards hält – vergleichbar mit der Schweiz. Dafür verlangt sie aber Garantien gegen Sozial-, Umwelt- und Steuerdumping.

Johnson schwebt ein loses Freihandelsabkommen nach kanadischem Vorbild vor, Kurz wünscht ein engeres Verhältnis, bei dem sich die Briten an EU-Standards halten.
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Die Brüssel-kritische Regierung Johnsons allerdings wehrt sich gegen Kontrollen der EU nach 2021. Sie würde ein loseres Freihandelsabkommen nach kanadischem Vorbild bevorzugen.

Zu vermeiden wäre jedenfalls ein Szenario, das die Wirtschaftsbeziehungen auf ein WTO-Level reduziert. Noch sind die Differenzen groß, auch was die zukünftige Personenfreizügigkeit betrifft. London denkt derzeit über Zugangsbeschränkungen nach, die ab 2021 auch EU-Bürger treffen könnten. Die Einwanderung von Geringqualifizierten soll dabei eingeschränkt und dafür gezielt Fachkräfte angesprochen werden. Arbeitskräfte müssten gute Englischkenntnisse und ein Jobangebot vorweisen.

Es wären die größten Änderungen im britischen Einwanderungsrecht seit Jahrzehnten. Für Beobachter ist das ein Signal dafür, dass in London eine weitreichende Trennung in Vorbereitung ist. (Manuela Honsig-Erlenburg aus London, 25.2.2020)