Willy Brandt und Helmut Schmidt sprachen ein Machtwort. Der deutsche Bundeskanzler und sein Verteidigungsminister ordneten den Geheimflug einer Bundeswehr-Maschine vom Militärflughafen Köln-Wahn an. Ziel: Israel. An Bord: die "Fohlen" von Borussia Mönchengladbach, die einen Tag später, am 25. Februar 1970, in Tel Aviv als erste deutsche Fußballmannschaft ein wirklich historisches Spiel auf israelischem Boden bestreiten sollten.

Ein Vierteljahrhundert nach dem Holocaust markierte Gladbachs 6:0 gegen Israels Nationalelf einen Wendepunkt im Verhältnis von Deutschland und Israel. Die Elf von Trainer und Mitinitiator Hennes Weisweiler, daheim auf dem Weg zum ersten Meistertitel, wurde von 22.000 israelischen Zusehern frenetisch bejubelt, und auf der Anzeigetafel blinkte "Vivat Germania" – bis dahin unvorstellbar.

Gladbach-Spiel bringt Deutschland und Israel näher zusammen.
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"Wir wurden gefeiert von Menschen aus dem Volk, das eine so fürchterliche Geschichte mit uns hatte. Wir fanden das unglaublich", erinnert sich Borussias damaliger Spielmacher Günter Netzer in der ARD-Dokumention Geheimmission Tel Aviv.

Umarmungen mit Tränen

Diplomatie per Doppelpass. Netzers Teamkollege Ulrik Le Fevre beschreibt die Situation nach dem Spiel: "Als wir zum Bus gingen, haben die israelischen Zuschauer uns immer wieder umarmt. Einigen von uns liefen Tränen über die Wangen."

Dabei war der brisante Trip noch 48 Stunden zuvor auf der Kippe gestanden: Terror gegen israelische und jüdische Ziele hielt die Welt in Atem. Zehn Tage nach dem Brandanschlag auf das jüdische Gemeindehaus in München mit sieben Toten explodierten am 23. Februar in Maschinen der Austrian Airlines und Swiss Air mit Ziel Tel Aviv Paketbomben. Das AUA-Flugzeug konnte notlanden, doch beim Absturz der Schweizer Convair starben alle 47 Insassen. "Wir waren", sagt Netzer, "einhellig der Meinung, dass wir nicht nach Tel Aviv sollten."

Günter Netzer war der Spielmacher der legendären "Fohlen", Hennes Weisweiler war ihr Trainer.
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Nur fünf Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel stand aber viel auf dem Spiel. Zwar hatten der frühere Trainer-Ausbilder Weisweiler und Israels Nationalcoach Emanuel "Eddy" Schaffer, Ende der 1950er ein Schüler von "Don Hennes" an der Sporthochschule in Köln, das Match nur als private Freunde angeschoben. Zusehends jedoch war die Austragung für Israel offiziell "eine Prestigesache" geworden, und auch für die deutsche Politik wäre die Absage ein Gesichtsverlust gewesen.

Majore in Zivil

Weil zudem just am Abflugtag der Gladbacher erstmals ein israelischer Außenminister, Abba Eban, die Bundesrepublik besuchte, machten Brandt und Schmidt das Freundschaftsspiel zur Chefsache. Unter strenger Geheimhaltung wurde Weisweilers Team morgens nach Köln gebracht. Die Hoheitsabzeichen der Bundeswehr-Boeing 707 sollten abgeklebt werden, die Majore im Cockpit zivil tragen – 1970 war noch "jeglicher Kontakt deutschen militärischen Personals und Materials mit Israel" verboten.

Doch auch im Gelobten Land war Borussias Gastspiel nicht unumstritten. "Wir sollten keine deutschen Autos fahren oder Zahlungen des Bundestages akzeptieren", schildert Israels damaliger Teamkapitän Mordechai Spiegler. "Warum sollten wir gegen ein deutsches Team Fußball spielen?" 14 Jahre zuvor war übrigens erstmals eine österreichische Mannschaft in Israel angetreten – der Kapfenberger SV bestritt auf Einladung gleich fünf Partien, die erste am 12. Februar 1956 gegen Hapoel Petah Tikva (2:2).

Mehr Bedeutung hatte der Auftritt der "Fohlen" aus Gladbach. "Der deutsche Botschafter teilte uns mit, dass vorher kein Mensch und auch nicht Politik es geschafft hatten, in Israel solch eine Akzeptanz für unser Land zu schaffen", berichtet Netzer. Weisweiler ließ "sein" Spiel, das so viel zwischen Deutschland und Israel verändert hatte, öffentlich unkommentiert. Von der Trainerlegende ist nur ein Satz nach der Heimkehr in den deutschen Winter überliefert: "Endlich hatten wir mal wieder grünen Rasen." (sid, fri, 25.2.2020)