In der Welt des Spielzeugherstellers Brio – hier auf der Nürnberger Spielzeugmesse – ist die Umgestaltung eines Schienennetzes einfach. Davon kann man im kleinen, vom Föderalismus geprägten Alpenland Österreich nur träumen. Hier gleicht jede Tarifänderung einer Herkulesaufgabe.

Foto: AFP / Christof Stache

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Wien – Das Herzensprojekt von Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) wird zu einer Herzensaufgabe für Verkehrspolitik und Verkehrsträger in Österreich. Denn die Jahreskarte für alle Öffis, die für ein Bundesland 365 Euro kosten soll, für zwei Länder 730 und für ganz Österreich 1095 Euro wird vor allem finanziell ein Kraftakt. "Der seit 2012 nie an die Inflation angepasste Preis des 365-Euro-Tickets kann dann wieder nicht erhöht werden", warnen Vertreter von Verkehrsträgern, die nicht genannt werden wollen. "Der einbetonierte Preis wird damit aufs Neue einzementiert", sagt ein anderer.

Nicht ohne Preiserhöhungen

Als mahnendes Beispiel gilt der Branche Wiener Linien. Die Wiener Verkehrsbetriebe sind quasi das erste Opfer ihres marketingtechnisch als unschlagbar gepriesenen Flat-Tarifs. Seither hat es niemand gewagt, an der 365-Euro-Schraube zu drehen, und der Kommunalbetrieb muss Kostensteigerungen bei Energie und Gehältern alljährlich schlucken. Nun werde "dieser Wahnsinn" auf ganz Österreich ausgeweitet, warnt ein ÖBBler, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Eine Preiserhöhung müsse möglich sein, pflichtet ihm ein in Linienplanung und Vertrieb von Fahrkarten versierter Insider eines Verkehrsverbunds in Westösterreich bei.

Wenn viele Pendler einmal eine Österreichcard haben, werden die ÖBB-Fahrkartenautomaten weniger frequentiert sein.
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Dass das Projekt komplexer ist, als sich das wahlkämpfende Mandatare vorgestellt haben, räumt man mittlerweile auch im Verkehrsministerium ein, wo erste Vorgespräche mit Gebietskörperschaften und Verkehrsverbünden geführt wurden und eine große Gesprächsrunde mit allen Akteuren im ersten Halbjahr vorbereitet wird.

Prompt machen erste Umsetzungsideen die Runde: Um "quick wins" zu realisieren, wird in Erwägung gezogen, in einem ersten Schritt nur den Dreier des 1-2-3-Tickets zu realisieren. Das wäre quasi im Alleingang mit der ÖBB möglich, denn deren Fernverkehr spielt im bundesländerübergreifenden Personenverkehr die tragende Rolle.

Horrortrip für Verkehrsverbünde

Den sieben Verkehrsverbünden in Österreich gilt genau dies als Horrorvorstellung. Ein Alleingang mit dem ÖBB-Personenverkehr würde bedeuten, dass der Staatsbahn Einnahmenausfälle in Millionenhöhe ersetzt würden – die Rede ist von rund 20 Millionen Euro. Ein singuläres Dreier-Ticket wäre quasi der Eisbrecher, weil dadurch die ÖBB-Österreichcard deutlich billiger würde. Profitieren würden auch Wien-Pendler aus St. Pölten oder Wiener Neustadt – oder dem Burgenland.

Vor kurzem hörte sich DER STANDARD am Hauptbahnhof Wien um und wollte wissen, für wen sich das 1-2-3-Ticket lohnen würde.
DER STANDARD

Die Burgenländer wären beim 1-2-3-Ticket entgegen der landläufigen Annahme Profiteure der neuen Öffi-Karte – zumindest teilweise. Wohl müssten sie die teuerste Variante für drei Bundesländer kaufen, um öffentlich nach Wien zu kommen, diese wäre mit 1095 Euro aber immer noch erheblich billiger als aktuelle VOR-Jahreskarten. Eisenstadt–Wien etwa kostet im Verkehrsverbund VOR bei Vorauszahlung 1501 Euro, ist also um 406 Euro teurer als das Österreich-Ticket. Gleiches gilt für Pendlerzüge von Neusiedl am See nach Wien.

Im Ministerium kann man einem 3er-Ticket nichts abgewinnen. Ein Österreich-Ticket allein mit der ÖBB würde der Grundidee des 1-2-3-Tickets widersprechen, stellt ein Sprecher klar.

Druck zum Tarifwechsel

Druck zum Tarifwechsel käme durch ein solches Österreich-Ticket auch für die Zwei-Bundesländer-Front, denn die Pendlerei St. Pölten–Wien oder Wiener Neustadt–Wien wäre selbst mit der neuen Österreich-Jahreskarte billiger als die aktuellen VOR-Jahreskarten, die bei Vorauskassa 1663 bzw. 1501 Euro kosten. Auch das sehen Verkehrsverbündler als ernsthafte Bedrohung ihres Geschäftsmodells, das eine flächendeckende Versorgung mit Öffis vorsieht.

Verlierer im Umland der Städte

Zu den Verlierern gehörten nach dieser Rechnung hingegen Mattersburger, die nach Wiener Neustadt pendeln oder von Neudörfl oder Neufeld an der Leitha. Womit die Problemzone umrissen ist, die vom Öffi-technisch teils leidlich erschlossenen Wiener Speckgürtel von Vösendorf über Perchtoldsdorf, Purkersdorf, Klosterneuburg bis Langenzersdorf reicht. Sie zahlen jetzt 620 Euro pro Jahr, um hundert Euro weniger als für das angekündigte Zwei-Bundesländer-Ticket um zwei Euro pro Tag. Für sie müsste ebenso eine Sonderregelung entwickelt werden wie für rund 51.000 Burgenländer, die nach Wien auspendeln und aufgrund der geografischen Lage nie in den Genuss des Zwei-Bundesländer-Tarifs kämen. Stockerauer hingegen zahlen aktuell 1079 Euro – fast so viel wie die künftige Österreich-Jahreskarte kosten soll.

Gefahr für die Verbünde

Das dämmerte inzwischen auch der Arbeitsgruppe im Verkehrsministerium, die parallel zum Ticket auch an den dazugehörigen Öffi-Verbindungen tüftelt. "Die Fahrgäste werden dort mehr werden, wo die Züge ohnehin schon voll sind", warnen ÖBBler. Wohin die Reise geht, formulierte ÖBB-Konzernbetriebsratschef Roman Hebenstreit bereits im Jänner offenherzig: Abschaffung der Verkehrsverbünde mit ihren Tarifstrukturen und dem Wettbewerb im Busbereich. Ein ÖBB-Entscheider formuliert es – im Off – eleganter: "Wenn die Finanzierung zentral erfolgt, muss auch die Steuerung zentral erfolgen."

Rollmaterial dringend gesucht

Tarife und der (föderale) Streit um die Einnahmen sind das eine Problemfeld, das notwendige Rollmaterial ein weiteres. Für neue Zugverbindungen braucht es Wagenmaterial und zwar hurtig. Da die Schnellbahnzüge für Vorarlberg von Bombardier ("Talent 3") mit einem Jahr Verspätung Anfang April endlich anrollen sollen – die technischen Tests laufen auf Hochtouren– zieht man bei der Staatsbahn ÖBB nun wieder in Erwägung, aus dem bestehenden Rahmenvertrag mit dem kanadischen Zugausrüster doch zusätzliche Elektrotriebzüge zu ordern. Das war aufgrund der Pannenserie zwischenzeitlich verworfen worden.

Etwas länger wird die Anschaffung von Doppelstock-Zügen für die Durchbindung von Regionalzügen vom südlichen Niederösterreich bis an die tschechische Grenze nach Breclav oder Laa an der Thaya dauern. Diese Ausschreibung für rund 150 Züge läuft noch. Hier gilt der der ÖBB-Haus- und Hoflieferant, Siemens, als Favorit – wie auch beim Kauf weiterer "Railjets". Letztere kann die Staatsbahn aus dem bestehenden Rahmenvertrag aus 2018 im Volumen von 1,5 Milliarden Euro abrufen. (Luise Ungerboeck, 27.2.2020)