Harvey Weinstein galt lange als "too big to fail". In Hollywood wusste man schon lange über ihn Bescheid und machte daraus kein Geheimnis. Der Oscar-Moderator Seth MacFarlane scherzte 2013 auf offener Bühne, die nominierten Nebendarstellerinnen müssten nun endlich nicht mehr so tun, als würden sie den Filmmogul attraktiv finden. Und die Sängerin Courtney Love rief auf einem roten Teppich in Richtung junger Schauspielerinnen: "Wenn Harvey Weinstein dich zu einer Privatparty im Four Seasons einlädt, geh nicht hin!"

Das Urteil gegen Weinstein hätte viel früher kommen sollen. Aber entscheidend ist, dass es kam. Der Fall ist paradigmatisch für sexualisierte Gewalt. Auf gesellschaftlicher Ebene, weil er die verschwiegenen Netzwerke einflussreicher Männer deutlich vor Augen führte. Er zeigte, dass die ungleichen Macht- und Besitzverhältnisse für Frauen in Gewalt enden können.

Auch auf juristischer Ebene ist der Fall Weinstein beispielhaft: Seit den ersten öffentlichen Vorwürfen 2017 haben sich über 80 Frauen zu Wort gemeldet. Doch diese Stimmen spielten beim Prozess in New York keine Rolle. Dort wurde nur der Vorwurf der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung zweier Frauen verhandelt – während unzählige andere verjährt sind oder nie strafrechtlich relevant waren.

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Harvey Weinstein wurde am Montag schuldig gesprochen.
Foto: REUTERS/Jane Rosenberg

Jahrelang sah keine Frau auch nur eine geringe Chance, Weinstein vor Gericht zu bringen – geschweige denn ein Urteil gegen ihn zu erwirken. Doch dank der bisher größten feministischen Bewegung gegen sexualisierte Übergriffe, die der Fall Weinstein bekanntlich auch lostrat, war es eben nicht mehr nur eine. Auf Weinstein bezogen wurden es dutzende, und durch den Hashtag MeToo Millionen Betroffene, die von ähnlichen Strukturen berichteten, die sexualisierte Gewalt begünstigen.

Wichtiger Meilenstein

Auch wenn Weinstein am Montag nur für Vergewaltigung und sexuelle Nötigung verurteilt wurde und ausgerechnet von jenem Anklagepunkt freigesprochen wurde, der laut vielen Berichten auf Weinstein wohl perfekt passt – "Predatory sexual assault", also ein "raubtierhaftes" Verhaltensmuster des Täters –, ist dieses Urteil ein wichtiger Meilenstein. Denn einer der Kernbotschaften von MeToo wurde mit diesem Urteil Rechnung getragen: den Betroffenen glauben. Das Gericht hat den Hauptbelastungszeuginnen Mimi Haleyi und Jessica Mann geglaubt. Denn wie bei vielen Prozessen dieser Art fehlten haptische Beweise, es stand Aussage gegen Aussage.

Das war aber auch jene Ausgangslage, die den Prozess streckenweise zu einem Musterbeispiel für eine Täter-Opfer-Umkehr werden ließ, die Weinstein-Verteidigerin Donna Rotunno laufend betrieb: Haleyi und Mann hätten in Wahrheit Weinstein benutzt. Sie diskreditierte sie als berechnend und behandelte sie gleichzeitig, als könnten sie nicht bis drei zählen: "Sie sind ziemlich oft verwirrt, nicht wahr, Miss Mann?" Dass man mit so etwas noch immer rechnen muss, zeigt aber auch: Es ist noch viel zu tun. Denn die Diskreditierung von Opfern beginnt oft lange vor einem Prozess – und sie verhindert oft den Gang vor Gericht.

Es braucht dringend einen Kulturwandel und endlich auch eine kritische Selbstreflexion der Beschuldigten. Plácido Domingo macht es gerade vor: Lange bestritt er, gegenüber Frauen übergriffig geworden zu sein. Nun entschuldigte er sich öffentlich und kündigte an, volle Verantwortung übernehmen zu wollen. Es ist etwas in Bewegung, so viel steht fest. (Beate Hausbichler, 25.2.2020)