Vielleicht kommt ja noch was. Denn was der Bundeskanzler bis jetzt als Indizien für "rote Netzwerke" in der Justiz präsentierte, taugt bestenfalls als schlechte Verschwörungstheorie: Eine 1997 in SPÖ-Kreisen geäußerte Bemerkung habe dazu geführt, dass die Staatsanwaltschaft 23 Jahre später von Sozialdemokraten unterwandert sei, die parteiisch gegen türkise Politiker vorgehen würden. Vertrauen in das Rechtssystem stellt man mit solchen substanzlosen Verdächtigungen eher nicht her.

Sucht man in Österreich nach nicht bloß unterstellten politischen Netzwerken in der Rechtsprechung, lohnt sich ein Blick zurück in die Erste Republik. Dass Justitia damals auf dem rechten Auge eher blind war, wird von Zeithistorikern seit langem vermutet. Unbekannt war bis jetzt, ob dahinter ein System steckte. Neue Recherchen deuten nun darauf hin, dass tatsächlich ein rechtsnationales Netzwerk die Justiz, aber auch andere Teile des Staates unterwandert hatte. Es handelte sich dabei um einen Verein namens Deutscher Klub, der nun erstmals im Detail erforscht wurde.

Andreas Huber, Linda Erker und Klaus Taschwer, "Der Deutsche Klub. Austro-Nazis in der Hofburg". € 25,– / 299 Seiten. Czernin Verlag, Wien 2020.
Czernin Verlag

Nur "arische" Männer zugelassen

Dieses Sammelbecken der deutschnationalen antisemitischen Elite war 1908 ursprünglich als gemeinsames Dach von schlagenden und nicht-schlagenden "nationalen" Studentenverbindungen gegründet worden. Entsprechend hoch war der Anteil der Korporierten im Deutschen Klub, in den selbstverständlich nur "arische" Männer aufgenommen wurden. Das Protegieren klappte mit einem solchen Verein natürlich besser als mit einzelnen Burschenschaften, Corps oder Sängerschaften, weil man nun Beziehungen weit über die eigene Korporation und deren Mitglieder hinaus herstellen konnte.

1919 hatte der Verein bereits mehr als 1.000 Mitglieder insbesondere aus dem Wiener Bürgertum, der im damaligen "dritten Lager" politisch bestens vernetzt war: Nicht weniger als 17 Minister der Bürgerblockregierungen der Ersten Republik gehörten früher oder später dem Verein an, darunter sechs Justizminister.

Hohe Richter als Vereinsmitglieder

In der Mitgliederliste des Deutschen Klubs scheinen aber auch die zwei Präsidenten des Obersten Gerichtshofes von 1919 bis 1938 auf: die beiden Burschenschafter Julius Roller (Präsident bis 1927) und Franz Dinghofer, der den OGH von 1928 bis 1938 leitete. Der bekennende Antisemit Dinghofer dient der FPÖ trotz seiner NSDAP-Mitgliedschaft und Tätigkeit als "Ariseur" bis heute als Namenspatron eines eigenen Instituts und mehrerer Auszeichnungen.

Klubmitglied war zudem der von 1931 bis 1934 amtierende Präsident des Verwaltungsgerichtshofes Wenzel Kamitz. Im Verfassungsgerichtshof gehörte mit Julius Sylvester zwar nur ein Amtsträger dem Verein an – neben den drei Stellvertretern Ernst Ganzwohl, Karl Gottfried Hugelmann und Otto Lutz. Hinzu kamen aber Dutzende weitere Richter und Staatsanwälte sowie prominente Rechtsanwälte wie Arthur Seyß-Inquart.

Neues Licht auf alte Prozesse

Mit dem neuen Wissen über das Netzwerk des Deutschen Klubs erscheinen einige der umstrittensten Gerichtsverfahren der Ersten Republik in einem etwas anderen Licht – wie etwa jenes gegen den Mörder von Hugo Bettauer im Jahr 1925. Der Schriftsteller, der in seinem Buch "Die Stadt ohne Juden" (1922) den herrschenden Antisemitismus kritisierte und sich als Publizist für sexuelle Aufklärung einsetzte, war am 10. März 1925 in seinem Redaktionsbüro in der Josefstadt (8. Wiener Gemeindebezirk) vom Zahnarztgehilfen Otto Rothstock niedergeschossen worden und erlag 16 Tage später seinen Verletzungen.

Die "Illustrierte Kronen-Zeitung" berichtete auf der ersten Seite über das Attentat auf Hugo Bettauer.
ANNO/ÖNB

Zur Verteidigung des Mörders, der vorübergehend der NSDAP angehört hatte, rückte ein Vorstandsmitglied des Deutschen Klubs aus: Walter Riehl, eine eher verdrängte Nebenfigur der österreichischen Geschichte. Der Anwalt, der dem Attentäter eine unentgeltliche Vertretung vor Gericht anbot, hatte zunächst als radikaler deutschnationaler Politiker einige Bekanntheit erreicht. Bereits 1918 referierte er im Deutschen Klub über "die Notwendigkeit einer deutschen nationalsozialistischen Parteigruppe", deren österreichische Leitung er auch übernahm.

Das Datum erstaunt: Walter Riehl trug bereits im Juni 1918 in den Räumlichkeiten des Deutschen Klubs über die Notwendigkeit einer deutschen nationalsozialistischen Parteigruppe vor.
ÖNB

Das Hakenkreuz als Parteisymbol

Außerdem war Riehl, der gleichzeitig mit Hitler das Hakenkreuz als Parteisymbol erfand und diesen für dessen erste Vorträge nach Österreich holte, Autor der ersten Publikation, die den Begriff "Nationalsozialismus" im Titel trug und Herausgeber einer rechtsextremen Wochenzeitung. In den Vereinsräumlichkeiten des Deutschen Klubs plante er 1921 den Antisemitentag in Wien mit, bei dessen Eröffnung der christlichsoziale Politiker Anton Jerzabek gegen Juden hetzte. Nach der Schlusskundgebung der dreitägigen Veranstaltung kam es vor dem Rathaus zu heftigen antisemitischen Ausschreitungen.

Walter Riehl war unter anderem Anwalt, Mitorganisator des Antisemitentags 1921, Vorstandsmitglied des Deutschen Klubs und Herausgeber der "Deutsche Arbeiter-Presse", die ab 1919 den Zusatz "nationalsozialistisches Wochenblatt" trug.
Forum-Verlag/gemeinfrei

Fast auf den Tag genau vier Jahre später schoss dann Otto Rothstock auf Hugo Bettauer. Zu Beginn des Prozesses ließ es sich Walter Riehl nicht nehmen, ihm zugesandte "Zustimmungsschreiben" zu Rothstocks Tat zu verlesen. Weder der Vorsitzende noch der Staatsanwalt schritten dagegen ein, wie die linksliberale Zeitung "Der Tag" berichtete: "Der Staatsanwalt, der in satter Behäbigkeit den rotgeränderten Talar des Anklägers ausführte, gab sich kaum Mühe, den Schein zu wahren. Das, was er Anklagerede nannte, war in Wahrheit ein Plädoyer für den Angeklagten und charakterisiert sich am besten dadurch, dass es nicht einmal in einem Strafantrag gipfelte."

Im Antisemitismus vereint

Beim kritisierten Staatsanwalt handelte es sich um Franz Bucek, seit vielen Jahren Mitglied des Deutschen Klubs. Auch der Vorsitzende Ernst Ramsauer wies Verbindungen zum Verein auf und referierte dort. Zudem war Ramsauer Mitglied der Deutschen Gemeinschaft, eines mit dem Deutschen Klub eng vernetzten antisemitischen Geheimbunds, in dem Deutschnationale mit rechten Christlichsozialen gemeinsame Sache machten.

Freispruch für den Mörder von Hugo Bettauer: Sowohl der Anwalt des Mörders wie auch der Staatsanwalt waren Mitglieder des Deutschen Klubs. Der Richter hielt dort zumindest einen Vortrag.
ANNO/ÖNB

Es darf vermutet werden, dass diese Konstellation dazu beitrug, dass sechs der zwölf Geschworenen den Mörder "seiner Sinne völlig beraubt" sahen und ihn damit freisprachen. Linke Zeitungen kritisierten, die Geschworenen hätten "der über sie niederprasselnden Verhetzung, der ungehemmten, von keinem Staatsanwalt als Vertreter des staatlichen Rechtsgedankens gewahrten Demagogie erliegen" müssen. Der Angeklagte kam in eine psychiatrische Klinik, die er nach gerade einmal 18 Monaten wieder verlassen konnte. Der Oberste Gerichtshof unter Klubmitglied Julius Roller hatte einem Rekurs Walter Riehls Folge geleistet.

Der Schattendorf-Prozess in neuem Licht

Zwei Jahre später verteidigte Riehl gemeinsam mit zwei Kollegen im folgenreichsten Prozess der Ersten Republik jene rechten Frontkämpfer, die am 30. Jänner 1927 in Schattendorf zwei Menschen getötet und fünf verletzt hatten. Dieser Prozess endete wie einige andere Tötungsdelikte rechtsextremer Täter mit einem Freispruch – und bis heute wird darüber gestritten, wie es zu diesen Urteilen kommen konnte. Der Zeithistoriker Gerhard Botz, der sich ausführlich damit befasst hat, erklärte sie unter anderem mit der "oft konservativen Einstellung der Richterschaft".

Beim Richter im Schattendorf-Prozess steht dies außer Zweifel. Ernst Ganzwohl, Vorsitzender der Vereinigung der österreichischen Richter, war seit Ende 1925 Mitglied des Deutschen Klubs. Der Vorsitzende und einer der Verteidiger fanden sich also im Mitgliederverzeichnis desselben antisemitischen rechtsextremen Vereins. Ende 1927 trat auch Anwalt Hans Bleyer-Härtl dem Deutschen Klub bei.

Karikatur in der Zeitung "Der Morgen" unmittelbar vor der Urteilsverkündung im Schattendorf-Prozess.
aus: Der Morgen / ÖNB

"Ohne Furcht vor der Journaille"

Der überzeugte Nationalsozialist veröffentlichte 1939 ein Buch über seine Anwaltstätigkeit, in dem er zum Schattendorf-Prozess rückblickend festhielt: "Neun Tage lang, jeden Tag vom Morgen bis zum sinkenden Abend, stürmten wir gegen die Anklage an im Beweisverfahren, das vom Vorsitzenden Hofrat Ganzwohl ohne Furcht vor der Journaille durchgeführt wurde, wobei den Vorsitzenden die beiden Beisitzer aufs beste unterstützten."

Bei diesem Schlüsselprozess der Ersten Republik fand sich ebenfalls keine Mehrheit der Geschworenen für eine Verurteilung der Täter. Am Tag nach dem Freispruch protestierte die aufgestachelte Wiener Arbeiterschaft mit Streiks und spontanen Demonstrationen gegen das Urteil.

Bild nicht mehr verfügbar.

Eskalation des Misstrauens in die Rechtsprechung: Am 15. Juli 1927 brennt der Justizpalast. Bei den Unruhen werden mindestens 84 Demonstranten getötet.
Foto: Archiv Gerald Piffl/Imagno/picturedesk.com

Die Kundgebung verlief anfangs friedlich, eskalierte aber, als berittene Polizei eingriff. Demonstranten drangen gewaltsam in den Justizpalast ein und setzten diesen in Brand. Die Polizei reagierte mit äußerster Gewalt und schoss in die Menge. Am Ende des 15. Juli 1927 zählte man 89 Tote, darunter fünf Angehörige der Exekutive.

Jener Mann, der den umstrittenen Schießbefehl erteilt hatte – der langjährige Wiener Polizeipräsident und mehrmalige Bundeskanzler Johann Schober – war wenig später im Deutschen Klub zu Gast und wurde von Klubobmann Richard Faber für die "unschätzbaren Verdienste um die Erhaltung des Staatswesens gelegentlich der Juliereignisse" gewürdigt. Bereits vor dem Besuch hatte der Deutsche Klub eine Spendenaktion für die Hinterbliebenen der am 15. Juli gefallenen Polizeibeamten initiiert.

Der Anfang vom Ende der Republik

Der weitere Verlauf der österreichischen Geschichte bis zum "Anschluss" darf als bekannt vorausgesetzt werden: Ab 1927 war die Spaltung zwischen der rechtskonservativen Koalition und den oppositionellen Sozialdemokraten endgültig unüberbrückbar geworden und ließ Österreich in eine Diktatur, einen kurzen Bürgerkrieg und dann in den Nationalsozialismus schlittern, dem in Wien nicht zuletzt die Mitglieder des Deutschen Klubs den Weg bereiteten.

Weniger bekannt ist, dass im März 1938 dann die große Stunde dieses Vereins schlug, dessen Mitglieder seit zwei Jahrzehnten auf den "Anschluss" hingearbeitet hatten, zunächst noch als Deutschnationale, dann aber immer mehr als "Austro-Nazis". Fünf der neun Minister der "Anschlussregierung" Arthur Seyß-Inquarts gehörten dem Verein an, wie etwa der neue Justizminister Franz Hueber, ein Schwager von Hermann Göring.

Die "Anschlussregierung" im Bundeskanzleramt. Justizminister Franz Hueber (4. v. links.), Bundeskanzler Seyß-Inquart (5. v. l.), halb von diesem verdeckt Unterrichtsminister Oswald Menghin, Sozialminister Hugo Jury (2. v. r.) und Handelsminister Hans Fischböck (1. v. r.) waren Mitglieder des Deutschen Klubs. Land- und Forstwirtschaftsminister Anton Reinthaller (4. v. r.) gehörte dem Verein nicht an. Er wurde 1956 erster Bundesparteiobmann der FPÖ.
Narodowe Archiwum Cyfrowe/gemeinfrei

Zahllose weitere Leitungspositionen – von der Nationalbank bis zur Nationalbibliothek, vom Burgtheater bis zum Tiergarten Schönbrunn, von der Handelskammer bis zur Akademie der Wissenschaften – wurden im Zuge der radikalen "braunen" Umfärbung durch Vereinsmitglieder besetzt.

Riehls weitere (ÖVP-)Karriere

Nicht ganz so gut lief es in der NS-Zeit für Walter Riehl, der sich früh mit Hitler zerstritt, dennoch Anfang der 1930er-Jahre für die NSDAP im Wiener Gemeinderat saß, dann aber wieder aus der Partei ausgeschlossen wurde. Riehl bemühte sich nach dem "Anschluss" – unter anderem mit Abhaltungen von Tanzabenden für Nazis – vergeblich um Wiederaufnahme in die Partei.

Nach dem Krieg gelang es ihm dann doch noch, in einer Partei Fuß zu fassen: Er trat 1947 auf Vermittlung von Leopold Kunschak der ÖVP bei. Als Dank forderte er die "Ehemaligen" auf, diese Partei zu wählen, "um nicht dauernd als sogenannte ,Faschisten‘ abseits zu stehen". Bei Riehls Begräbnis 1955 am Hietzinger Friedhof hielt dann kein "Alter Kämpfer" die Grabrede, sondern der spätere ÖVP-Handelsminister Otto Mitterer. Anwesend war auch sein Parteikollege Felix Hurdes, amtierender Präsident des Nationalrats. (Andreas Huber, Linda Erker und Klaus Taschwer, 29.2.2020)