Ein Maskierter posiert in Venedig für Fotos. Die offiziellen Feierlichkeiten in der italienischen Lagunenstadt wurden wegen des Ausbruchs des Coronavirus im Land abgesagt. Psychologen plädieren indessen für einen bewussteren Umgang der Medien mit Bildern in der Berichterstattung.

Foto: AFP/ANDREA PATTARO

Prinzipiell ist die Angst eine sehr vernünftige Emotion. Sie hat das Überleben unserer Spezies gesichert. Sichergestellt, dass man sich nicht leichtfertig in lebensbedrohliche Gefahr begibt und abwägt, wie man sich und andere schützt. "Allerdings sind stark emotional geprägte Entscheidungen und Verhaltensweisen oft unverhältnismäßig und zumindest im Nachhinein unvernünftig", sagt der Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler von der Universität Wien. Die Frage, die ihm gestellt wurde: Wie verhältnismäßig ist die Angst vor dem Coronavirus, vor allem wenn man die Todesfälle etwa im Vergleich zur jährlich wiederkehrenden Influenza betrachtet?

Bereits im Jahr 1981 veröffentlichten die beiden Psychologen Amos Tversky und Daniel Kahnemann im Fachmagazin Science eine Studie zu dem Thema. Sie erforschten unter anderem, wie Menschen irrationale Entscheidungen treffen, wenn sie mit Risiko konfrontiert sind.

Krankheit in Asien

Die Psychologen schufen dazu die hypothetische Situation, dass in Asien eine noch unbekannte Krankheit aufgetreten ist und sich die USA darauf vorbereiten. Es ist dabei wahrscheinlich, dass 600 US-Bürger an der Krankheit sterben.

Um dagegen vorzugehen, konnten die Teilnehmer der Befragung aus zwei Optionen wählen: Entweder sie unterstützen eine Behandlung, durch die 200 Menschen gerettet werden, oder sie entscheiden sich für eine Vorgehensweise, bei der eine 33-prozentige Chance besteht, dass alle Betroffenen gerettet werden, aber auch die 67-prozentige Chance, dass keiner geheilt werden kann. 72 Prozent der Teilnehmer haben sich für die erste Variante entschieden.

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Irrationale Entscheidung

Dann formulierten die Wissenschafter die Auswahlmöglichkeiten um: Die erste Behandlungsmöglichkeit stellte sicher, dass nur 400 Menschen starben. Bei der zweiten Möglichkeit herrschte eine 33-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass niemand umkommt, aber gleichzeitig eine 67-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass alle Erkrankten sterben. 78 Prozent der Befragten entschieden sich in dem umformulierten Szenario für die zweite Option. Das zeigte, dass Verluste von größerer Bedeutung sind als Gewinne und der Mensch mehr Risiken in Kauf nimmt, wenn von Todesopfern und nicht von Geheilten gesprochen wird.

Was zur Angst vor dem Coronavirus beiträgt, ist zudem der unbekannte Faktor, sagt die Sozialpsychologin Katja Corcoran von der Karl-Franzens-Universität in Graz. Denn im Gegensatz zur Influenza würden auch die Experten noch nicht sehr viel über das Virus wissen und vorsichtig agieren.

Das führe dazu, dass Menschen etwa auch selbst tätig werden wollen, um sich zu beruhigen – wie etwa Gesichtsmasken zu kaufen, obwohl sie gegen eine Ansteckung nur wenig ausrichten.

Bewusste Berichterstattung

Medien sollten sich dessen bewusst sein, dass sie durch die Macht der Bilder die Angst unterstützen, und hinterfragen, welche Berichte sie wie veröffentlichen, sagt Corcoran. Auch Kirchler von der Universität Wien plädiert für entschärfende Bilder, Metaphern, Geschichten – denn nur trockene Sachinformationen würden bei den Menschen nicht mehr ankommen. Oft gelinge es nicht, allein mit sachlicher Berichterstattung "emotional aufgeschaukelten Vorstellungen" entgegenzuwirken, so der Wirtschaftspsychologe.
Prinzipiell sollten sich die Medienmacher die Frage stellen, wie viele Menschen überhaupt Angst vor dem Virus haben und ob man jener Gruppe, die Angst habe, zu viel Platz einräume. (Bianca Blei, 26.2.2020)