Den Angriff des Kanzlers auf die Justiz lässt Rupert Wolff nicht auf selbiger sitzen. Der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags drängt aber auch auf Reformen.

STANDARD: Sie kritisieren die Äußerungen von Bundeskanzler Sebastian Kurz über die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Als unsachliche Einmischung der Politik in die Justiz?

Wolff: Es spricht nichts gegen Kritik, wenn sie notwendig und konstruktiv ist. Aber die Kritik von Kurz, wonach die WKStA politisch motiviert agiere und es "rote Netzwerke" gebe, ist überzogen – weil das so nicht ist.

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Anwaltskammerpräsident Rupert Wolff will, dass Beförderungen von Staatsanwälten ohne weisungsbefugte Spitzenbeamte entschieden werden. Das würde die Unabhängigkeit fördern.
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STANDARD: Sie fänden aber gar nichts dabei, wenn Parteien ihre Leute in der Justiz unterbrächten?

Wolff: Grundsätzlich ist das nicht vorwerfbar – außer wenn ungeeignete Jobkandidaten ausschließlich wegen ihrer politischen Ausrichtung aufsteigen. Aber das gibt es bei uns nicht. Und die Posten im Verwaltungs- und im Verfassungsgerichtshof werden traditionell politisch besetzt, auf Vorschlag der Regierung, von National- und Bundesrat. Das ist in vielen EU-Staaten so, und die Höchstrichter bleiben bis zu ihrer Pensionierung – egal, wie sich Regierung, Nationalrat und Bundesrat dann zusammensetzen.

STANDARD: Ein Schuss des Kanzlers vor den Bug der Justiz?

Wolff: Vielleicht ist ihm das so rausgerutscht? Oder steckt der Versuch dahinter, die Staatsanwaltschaft zu schwächen? Da ist den bösen Gedanken Tür und Tor geöffnet. Ich glaube ja, dass es damit sein Bewenden hat. Die Justiz soll wie bisher in Ruhe und ohne politische Zurufe arbeiten.

STANDARD: Die Kritik des Kanzlers an langen Verfahren teilen Sie aber. Kann man das mit mehr Budget in den Griff bekommen? Der Justiz fehlen bis zu 120 Millionen Euro.

Wolff: Man hat die Justiz ausgehungert und die Folgen zunächst gar nicht bemerkt. Aber Geld allein reicht nicht, das System ist reformbedürftig. Die schlechte personelle Ausstattung in den Staatsanwaltschaften und beim nichtrichterlichen Personal ist nur ein Grund für lange Verfahren. Es liegt auch an den Karenzregelungen der Justiz für Staatsanwältinnen und Richterinnen, die ihre Arbeitszeit bis zum Schuleintritt des Kindes um bis zu 50 Prozent reduzieren können. Toll für Frauen, eine extrem schwierige Herausforderung für die, die mit der Nachbesetzung befasst sind.

STANDARD: Nein, die Frauen sind schuld?

Wolff: Nein, aber daraus resultierende häufige Richter- und Staatsanwaltswechsel. Der Justizapparat müsste zudem die Rechtsmittel der Beschuldigten schnell und gründlich bearbeiten, aber da hakt es: Er agiert gründlich, aber nicht schnell. Die Folgen sehen wir etwa bei den Eurofighter-Ermittlungen.

STANDARD: Die wurden an die WKStA übertragen, davor hat man einen Staatsanwalt neun Jahre mit dem Riesenakt alleingelassen. Ist das nicht ein Versagen der Fachaufsicht, des Ministeriums?

Wolff: Ja, da gehören Teams eingesetzt. Und es fehlt am Mut, Ermittlungsverfahren einzustellen, wenn sie zu lange dauern. Gemäß der Menschenrechtskonvention sind überlange Verfahren nicht erlaubt. Und davon haben wir genug, nehmen Sie nur Meinl-, Refco-, Buwog- oder Teile des Eurofighter-Verfahrens. Wenn man nach Jahren nicht mehr als diffuse Vorwürfe hat und den vermeintlichen Gauner nicht dingfest machen konnte, muss man Verfahren einstellen. Das wäre ein Zeichen für einen starken Rechtsstaat und keine Schwäche, und es würde die Unschuldsvermutung stärken.

Strafrechtssektionschef Christian Pilnacek und die WKStA gerieten sich bei der Causa Eurofighter schwerst in die Haare.
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STANDARD: Stichwort Eurofighter: Strafsektionschef Christian Pilnacek sagte der WKStA in der berühmten Dienstbesprechung im April 2019, sie solle Teile des Verfahrens "derschlagen". Die Staatsanwälte sahen darin eine Weisung, die aber schriftlich erfolgen und im Akt vermerkt werden müsste ...

Wolff: Ja, aber es fehlt auch am Mut der Adressaten solcher Dienstbesprechungen. Wer sich unter Druck gesetzt fühlt, weil jemand herumschreit und auf den Tisch haut, und das als Weisung empfindet, der muss den Mut haben und sagen: "Herr Sektionschef, ich bestehe auf einer schriftlichen Weisung." Den Teufel wird er tun und eine Weisung schreiben.

STANDARD: Und die Karriere der Mutigen wäre vorbei.

Wolff: Das muss ausgeschlossen sein, negative Karriereauswirkungen dürfte so etwas nicht haben. Daher gehört das System der Beförderungen reformiert, es muss losgelöst werden von weisungsbefugten Spitzenbeamten. Dazu gibt es bereits Vorschläge der Richtervereinigung: Über Beförderungen soll ein Personalsenat entscheiden, der nur aus Richtern bzw. Staatsanwälten besteht. Heute entscheidet der Minister, der weder an den Vorschlag des Senats noch an die Reihung gebunden ist.

STANDARD: Die Staatsanwälte müssen ihre Vorhaben der Oberbehörde melden; die Berichte liegen dann mitunter lang dort herum. ImFall Stadterweiterungsfonds in Summe rund zwei Jahre. Soll man die Berichtspflicht einschränken?

Bis Akten wie hier am Richtertisch landen, vergehen nicht selten viele Jahre.
Foto: Elmar Gubisch

Wolff: Diese unwürdige Berichtspflicht führt zu unglaublichen Verzögerungen. Da lässt man Staatsanwälte romanhaft darstellen, was sie bisher getan haben, sie schreiben einen Monat dran, wie am Schulaufsatz "Meine schönsten Ferien". Dann führt man die Akten per Schubkarren ins Ministerium, dort liegen sie in der Ecke, weil es gerade Wichtigeres zu tun gibt. Das ist irrwitzig. Man sollte dringend auf mündliche Berichte umstellen und endlich den elektronischen Strafakt umsetzen. Es muss schon einiges getan werden, um die Stellung der Staatsanwälte zu stärken und sie zu fördern. Wenn man sie schon in der Weisungskette lässt.

STANDARD: Weisungen kommen vom Justizminister, der Regierungsmitglied ist. Wäre ein Bundesstaatsanwalt besser?

Wolff: Die Örak und ich sind da ganz offen. Wir werden zu diesem Thema eine Expertenrunde bilden, fachlich diskutieren und eine Empfehlung erarbeiten. Nächste Woche haben wir dazu einen Termin mit der Justizministerin. Denn die jetzige Situation – der Justizminister als Organ der Exekutive greift per Weisung in die unabhängige Justiz ein – widerspricht der in der Verfassung verankerten Gewaltenteilung. Das ist nicht schön. (Renate Graber, 27.2.2020)