Kaum taucht in irgendeinem Mitgliedsland der Europäischen Union ein gröberes Problem auf, welches grenzüberschreitende Wirkung hat, ertönt von rechten Parteien der Ruf nach Abschottung, nach Wiedereinführung der vor 25 Jahren abgeschafften Grenzkontrollen, nach mehr Kontrolle, nach mehr Nationalstaat. Dabei kommen im Grunde stets die gleichen populistischen Mechanismen zum Tragen. Man spielt mit berechtigten Ängsten der Bürger und erzeugt gefährliche Illusionen.

Beispiele: Nach 2008 drohte in der Finanz- und Wirtschaftskrise mit dem Absturz von Griechenland auch gleich die ganze Währungsunion zu kippen. In Frankreich begann der extrem rechte Front National von Marine Le Pen, den Euro infrage zu stellen, die Wiedereinführung von Franc, D-Mark und Schilling zu fordern – und das Ende der EU, der offenen Grenzen.

Checkpoint in Italien.
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In Deutschland entstand die AfD als Anti-Euro-Partei, die sich kaum zehn Jahre später als FPÖ-Bruderpartei zur rassistischen Bewegung entwickelte.

Die EU-Staaten haben dieser nationalistischen Verführung bei der Griechenlandkrise widerstanden. Ein – nicht perfektes – System von Hilfen hat die Abwehrkraft der Eurozone gestärkt, was den kleinen Ländern nutzt.

So ähnlich, aber anders gelagert, war das bei der Flüchtlingswelle 2015, als mehr als eine Million Menschen auf der Balkanroute irregulär über die Grenzen Richtung Norden wanderten. Die EU als Ganzes begann 2016 mit restriktiver Politik an den EU-Außengrenzen. Mehrere Mitglieder, voran Deutschland und Österreich, nutzten trotzdem die Ausnahmeregeln des Schengenabkommens. Sie führten an ihren Grenzen wieder permanente Kontrollen ein. Bis heute.

Ob das auch nachhaltig wirkt, ist mehr als fraglich. Nicht umsonst hoffen praktisch alle EU-Staaten nach vier Jahren wechselseitiger Blockaden, dass es vor dem Sommer endlich gelingen wird, in Brüssel ein "großes EU-Migrationspaket" über die Bühne zu bringen. Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Asyl- und Migrationspolitik im Binnenmarkt nur gemeinsam erfolgreich sein kann.

Wirtschaftseinbruch

Nun ist es im Fall der Coronaviruskrise wieder so weit. Italien ist am meisten betroffen, ein Hotspot. Wissenschafter wissen zwar nicht genau, warum. Aber was hört man dazu von Europas Rechtspopulisten, von Lega-Chef Matteo Salvini bis hin zum früheren FPÖ-Innenminister Herbert Kickl? Genau: Grenzen dicht! Mit Italien sei "der Grenzverkehr auf ein Minimum zu beschränken". FPÖ-Chef Norbert Hofer assistiert ihm.

Kickl scheut nicht davor zurück, die Virusepidemie mit Ausländerfeindlichkeit zu verknüpfen. Er fordert, dass "illegale Einwanderer bzw. Asylwerber ab sofort in Quarantäne zu nehmen" seien. Was ist davon sachlich zu halten? Wenig bis nichts.

Vor aller Augen zeigt sich gerade, dass es umgekehrt ist: Es ist das offene Europa – enge Zivilschutzkooperation zwischen EU-Institutionen, Regierungen der Mitgliedsstaaten, Ministern –, das uns Bürger schützt. Coronaviren haben keine Reisepässe. Es ist absurd zu glauben, man könnte sie an der Grenze "kontrollieren". Regionen oder Dörfer müssen isoliert werden, sie erhalten jede Hilfe von Staaten und aus Brüssel. Wirtschaftlich ist das, was die FPÖ fordert, geradezu fahrlässig. Italien ist Österreichs zweitgrößter Handelspartner. Sich von diesem Land abzuschotten wäre so, als schrie man förmlich nach einem Wirtschaftseinbruch und mehr Arbeitslosigkeit. (Thomas Mayer, 26.2.2020)