Ulrike Holzer, stellvertretende Obfrau von Pro Rare Austria, hat selbst einen Sohn mit einer seltenen Erkrankung, und kennt die Nöte. Ihr Sohn ist 36 Jahre und kommt gut mit der Erkrankung zurecht.

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Wenn nur ein paar Menschen in einem Land von einer Erkrankung betroffen sind, dann ist eine Vernetzung über die Grenzen hinaus eine große Hilfe. Social Media bietet dafür viele Möglichkeiten.

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Es gibt 400.000 Menschen in Österreich, die an einer seltenen Erkrankung leiden. Die Zahl ist beeindruckend, doch die Kranken teilen sich in viele Untergruppen auf. Es gibt Erkrankungen, die manchmal sogar nur zwei Menschen in Österreich betreffen. Pro Rare ist ein Verein, der Menschen mit seltenen Erkrankungen unterstützt. Aktuell gibt es Support für 74 unterschiedliche Erkrankungen. Zu 70 Prozent treten seltene Erkrankungen im Kindesalter auf. Pro Rare Austria betreut deshalb auch vor allem die Eltern. Ulrike Holzer ist selbst Mutter, ihr Sohn ist heute 36 Jahre alt. Sie gibt ihre Erfahrungen als stellvertretende Obfrau weiter.

STANDARD: Sie vereinen sehr viele Gruppen unter dem Dach von Pro Rare Austria. Was können Sie für Menschen mit seltenen Erkrankungen tun?

Holzer: Wir stehen allen, die sich an uns wenden, mit Rat und Tat zur Seite. Wenn man von einem Arzt erfährt, dass das eigene Kind eine seltene Erkrankung hat, ist das wirklich ein Schock. Man fühlt sich erst einmal total allein. Denn es kann ja so vieles bedeuten, auch dass es wenige Behandlungsmöglichkeiten oder kaum Expertise zu einer Erkrankung gibt. Und dann geht das Leben ja auch weiter. Man muss weiter die Probleme lösen, die eine Erkrankung mit sich bringt. Pro Rare unterstützt diese Menschen bei ihrer Suche nach Experten. Es können sich Patientenorganisationen, aber auch Einzelpersonen an uns wenden.

STANDARD: Was bedeutet Hilfe dann genau?

Holzer: Vernetzung ist ein Schlüsselwort in unserem Alltag. Pro Rare ist mit anderen Organisationen in der EU im Rahmen von Eurordis sehr gut vernetzt, wir versuchen Kontakt zu anderen Erkrankten und ihren betreuenden Ärzten herzustellen. Und weil die oft nicht dieselbe Sprache sprechen, gibt es eine Plattform mit Dolmetschservice, auf den wir dann hinweisen können.

STANDARD: Was bringt der Erfahrungsaustausch?

Holzer: Er ist auf vielen Ebenen hilfreich. Psychologisch, weil man sich weniger allein fühlt, wenn man weiß, wie es anderen damit geht. Es geht dabei oft um viele praktische Dinge, die es zu lösen gilt. Da sind die Erfahrungen anderer und vielleicht auch deren Ärzte plötzlich sehr hilfreich. Wenn man eine seltene Erkrankung hat, dann wissen ja auch Mediziner oft nicht Bescheid, weil sie damit einfach keine Erfahrung haben. Viele Eltern werden deshalb ja dann auch selbst initiativ.

STANDARD: Würde diese Vernetzung nicht auch ohne Pro Rare passieren?

Holzer: Pro Rare hat extrem viel mehr Erfahrung, die für Betroffene sehr wertvoll ist und die wir weitergeben. Wir vertreten auch die Interessen dieser Patientengruppe nach außen. Dieses gemeinsame Vorgehen ist sehr wichtig. Das Internet und die sozialen Medien sind für Menschen mit seltenen Erkrankungen auf einer sehr persönlichen Ebne ein wirklicher Segen. Es gibt auch immer mehr, die selbst initiativ werden. Das Mädchen mit dem Eagle-Syndrom zum Beispiel, die macht ihre Erkrankung mit einem Blog über die sozialen Medien publik. Das finden wir gut, denn die seltenen Erkrankungen bekommen abgesehen vom Rare-Disease-Tag nicht gerade viel Aufmerksamkeit.

STANDARD: An die ALS Ice Bucket Challenge können sich viele erinnern.

Holzer: Wenn jemandem, der noch dazu prominent ist, ein Eimer kaltes Wasser über den Kopf geleert wird, erzeugt das Aufsehen, und über die sozialen Medien wird es dann verbreitet. Das sind neue Wege, um auf eine seltene Erkrankung aufmerksam zu machen.

STANDARD: Warum schaffen diese Aufmerksamkeit bestimmte seltene Erkrankungen besser als andere?

Holzer: Es gibt drei Faktoren. Zum einen die Erkrankung an sich: Wie gut lässt sie sich für Nichtbetroffene darstellen? Bei den Schmetterlingskindern zum Beispiel ist das sehr eindrücklich darstellbar. Die Erkrankung fühlt sich wie Dornen auf der Haut an, das kann sich jeder vorstellen. Doch es gibt viele andere Erkrankungen, die den Stoffwechsel, das Blut oder auch die Nerven betreffen. Wenn sich Leute kein Bild davon machen können, dann werden diese Leute und ihre Beschwerden oft sehr schnell abgetan. Und die Kranken in ein falsches Eck gestellt, etwa dass sie sich das nur einbilden, es psychisch sei oder Ähnliches.

STANDARD: Was außer der Darstellbarkeit zählt für die Aufmerksamkeit noch?

Holzer: Ohne das Engagement der Angehörigen geht es nicht. Doch das ist nicht einfach. Denn erstens muss man sich als Familie entscheiden, mit einer Erkrankung an die Öffentlichkeit gehen zu wollen, das ist nicht jedermanns Sache. Und zudem sind meist Kinder betroffen, und das bedeutet, dass die Eltern meistens mit dem Lösen vieler praktischer Probleme des Alltags beschäftigt sind. Es kann also sein, dass einem die Kraft für ein weiteres Engagement fehlt. Wir bei Pro Rare sind alle Angehörige von Menschen mit seltenen Erkrankungen und haben diese Hürden erlebt.

STANDARD: Und was ist mit der medizinischen Betreuung?

Holzer: Das ist der dritte Faktor, der zählt. Seltene Erkrankungen haben einen genetischen Hintergrund. Seit der Entschlüsselung des Genoms sind viele Erkrankungen deshalb auch für die Forschung sehr interessant geworden. Sie geben Einblicke darüber, wie der Organismus reguliert ist. Es gibt seltene Erkrankungen, die deshalb intensiver als andere beforscht werden. Und natürlich ist es wichtig zu wissen, wo diese Forschung stattfindet.

STANDARD: Wegen möglicher Studien?

Holzer: Zum Beispiel. Aber auch sämtliche Publikationen zu neuen Erkenntnissen werden online publiziert. Wer es mit einer seltenen Erkrankung zu tun hat, will meist alles Neue wissen und liest auch wissenschaftliche Publikationen, um zu erfahren, ob es unter Umständen neue Medikamente gibt, wer wo was forscht. Bei vielen seltenen Erkrankungen werden ja immer nur die Symptome und nie die Ursachen behandelt.

STANDARD: Und das können medizinische Laien, also die Betroffenen, dann untereinander diskutieren?

Holzer: Durchaus. Wenn es Selbsthilfegruppen für eine Erkrankung gibt, dann kennen sich die Leute wirklich gut aus, auch wenn sie Laien sind. Whatsapp ist ein wirklich wichtiges Tool geworden.

STANDARD: Inwiefern, können Sie ein Beispiel geben?

Holzer: Nehmen wir an, ein Kind mit einer seltenen Hauterkrankung bekommt einen neuen Ausschlag. Die Eltern wissen nicht, was es ist. Dann macht man ein Foto, und wenn man mit anderen in der Whatsapp-Gruppe vernetzt ist, fragt man dort nach. Habt ihr das schon einmal gehabt, was habt ihr getan? Das geht so schnell und so unkompliziert und bringt oft eine schnelle Lösung.

STANDARD: Whatsapp ist als Kommunikationstool aber doch recht unsicher, oder?

Holzer: Aber viel schneller als Foren, und das ist dann wichtiger. Es gibt auch Gruppen, die über Facebook vernetzt sind. Im Grunde ist es gleichgültig, über welche Kanäle man vernetzt ist. Der Austausch mit anderen zählt, vor allem der Austausch mit Menschen, die sich vorstellen können, wie es einem geht. (Karin Pollack, 29.2.2020)