"Subnautica" ist ein Beispiel dafür, dass Early Access großartige Games hervorbringt.

Foto: "Subnautica"

Early Access, das ist: Bezahlen müssen fürs Betatesten, freche Abzocke für halbfertige Games-Ruinen, ein unverschämtes Geschäft mit Hype und Ungeduld. Wenn es um die Beurteilung eines der großen Games-Entwicklungstrends der letzten Jahre geht, mangelt es nicht an Ablehnung und starken Meinungen. Zu oft wurden manche Spielerinnen und Spieler enttäuscht, mit vollmundigen Versprechungen angelockt und dann sitzengelassen.

Das Konzept von Early Access ist simpel: Ich bezahle schon vor der Fertigstellung eines Spiels einen (meist eher niedrigen) Betrag, um schon jetzt spielen zu dürfen. Das erlaubt den meist kleinen Studios, schon während der teuren Jahre der Entwicklung etwas einzunehmen und zugleich wertvolles Feedback von der Zielgruppe einzuholen. Einer der prominenten Urväter und Vorreiter dieses Modells ist immerhin das erfolgreichste Indiespiel der Welt: Schon 2009 entschied sich Marcus Persson, besser bekannt als "Notch", Geld für den Zugang zur Alpha seines kleinen Spiels Minecraft zu verlangen. Mit Erfolg: Acht Monate später konnte er seinen Brotjob an den Nagel hängen und sich auf die Entwicklung seines Spiels konzentrieren. Der Rest ist Geschichte.

Minecraft

Schwarze Schafe

Nicht alle Spiele haben es wie Minecraft geschafft, das Vertrauen ihrer Vorschuss zahlenden Kundinnen und Kunden nicht zu enttäuschen: Frühe Missetäter haben den Ruf des Geschäftsmodells nachhaltig beschädigt. Etwa Industrie-Urgestein Peter Molyneux, der mit Godus seit 2013 im Early Access ist und derzeit schlanke 5.000 negative Reviews auf Steam vorweisen kann. Auch die beinahe unendliche Geschichte der Entwicklung des Zombie-Survival-Sandbox-Pioniers DayZ hat bei vielen Groll gegen das Modell hinterlassen, von Desastern wie The War Z einmal ganz abgesehen.

Denn so manches Early-Access-Spiel bleibt auf ewig im Entwicklungs-Limbo stecken. Manche Studios schaffen es trotz anfänglicher Versprechen einfach nicht, den Marathonsprint bis zur 1.0 zu bewältigen – und manche stehen im nicht unbegründeten Verdacht, ihren Early-Access-Kunden mit voller Absicht das Geld aus der Tasche zu ziehen, ohne jemals eine Fertigentwicklung geplant zu haben. Wenn dann aus dem versprochenen Spielehit eine auf ewig unfertige Baustelle geworden ist, bereuen manche ihren Vertrauensvorschuss.

PlayStation

Wer zu früh kommt, den belohnt das Leben – manchmal

Trotzdem, und bei allem Verständnis für die Schmerzen eventuell gebrannter Kinder: Gut, dass es Early Access gibt. Nicht nur, weil dadurch den meist kleinen Indie-Entwicklern die Chance gegeben wird, ihre Spielidee überhaupt zu realisieren; nicht nur, weil dank diesem Modell nachgewiesenermaßen schon Spielehits wie The Long Dark Dead Cells, Rim World, Rust, Subnautica, Slay the Spire, PUBG und viele andere großartige Titel finanziert werden konnten – obwohl schon diese unvollständige Aufzählung zeigt, was für tolle Spiele durch eine Early-Access-Phase gegangen sind.

Nicht nur diese wirtschaftlichen Argumente und Erfolgsgeschichten wiegen meiner bescheidenen Ansicht nach die Einwände und Vorbehalte gegen Early Access auf. Der mindestens ebenso große Wert liegt für mich in einem anderen Umgang mit den Spielen selbst, die ich im Early Access unterstützt und gespielt habe.

Es mag kitschig klingen, aber: Einem Early-Access-Spiel dabei zuzusehen, wie es langsam größer, vollständiger und besser wird, ist ein ungemein befriedigendes Erlebnis, das Entwickler und Community zusammenschweißt – und das über Jahre.

Mega Crit

Dem Spiel beim Wachsen zusehen

Zugegeben: Manche Spiele eignen sich besser dafür, auch halbfertig Spaß zu machen. Die Rogue-like-Struktur von EA-Hits wie dem genannten Slay the Spire, aber auch von Darkest Dungeon, Hades oder Dead Cells bringt mit sich, dass man es zum einen gewohnt ist, wieder und wieder von vorn zu beginnen, und zum anderen, dass zusätzliche Spielelemente wie neue Umgebungen, Waffen oder sogar Spielerklassen relativ einfach "modular" später hinzugefügt werden können.

Diese Updates im Entwicklungsverlauf haben dabei durchaus Eventcharakter: Ich hatte etwa im bildhübschen Hades schon viele Stunden verbracht und es irgendwann beiseitegelegt – bevor mich ein Update mit neuen Göttern, Waffen und Levels wieder in die griechische Unterwelt lockte. Manche Spielelemente verändern sich durch diese Updates, andere werden gar verworfen oder völlig umgestaltet – und das Feedback der Community hat immer Gewicht.

Es klingt vielleicht paradox, aber: Ich persönlich habe zu wenig Zeit für Games-as-a-Service-Riesen wie Destiny oder andere sich ständig updatende Multiplayergiganten, deren Geschäft es letztlich ist, ihre Spielerschaft mit kontinuierlich nachgeliefertem Content endlos bei der Stange zu halten. Wenn allerdings kleine, halbfertige Early-Access-Spiele wie Caves of Qud, Noita oder Stoneshard spannende Meilensteine in ihrer Entwicklung erreichen, motiviert mich das regelmäßig dazu, sie erneut zu spielen und mich darüber zu freuen, was sich alles geändert hat. So gesehen begleiten mich Early-Access-Spiele für weitaus längere Zeit als jedes fertig gekaufte Spiel, das noch dazu im Gegenteil oft erst mühsam mit nachgereichten Patches nach der Versionsnummer eins weiterentwickelt wird.

HypeTrain Digital

Ein Vertrauensvorschuss, der sich gut anfühlt

Wenn ich also den Gegenwert einer Kinokarte plus Popcorn für ein Early-Access-Spiel wie Stoneshard ausgebe, das weiß Gott noch Jahre von seiner Fertigstellung entfernt ist, investiere ich einen Geld- und Vertrauensvorschuss, der mich weitaus emotionaler bindet als die traditionelle Transaktion "Geld gegen Ware". Ich freue mich über das, was da ist, nehme die noch erwartbaren technischen Mängel zur Kenntnis und habe in gewisser Weise schon nach wenigen Stunden den Unterhaltungsgegenwert meiner Investition wieder hereingespielt – nur dass ich mich vielleicht in zwei Monaten über neue Charakterklassen und ein neues Speichersystem freuen darf. In einem halben Jahr lockt mich vermutlich der neue Story-Arc nochmal ins Spiel, und irgendwann 2021, wenn auch dank meiner Vorausinvestition die Entwicklung fertig ist, starte ich in ein Abenteuer, das irgendwie auch mir seine Existenz verdankt – ein schönes und noch dazu ziemlich einzigartiges Gefühl.

Das Beste an Early Access ist aber wohl dies: Wer damit nichts anfangen kann, braucht einfach nicht mitzumachen – und darf sich trotzdem über die Spiele freuen, die es nur dank dieses Modells bis zur Fertigstellung gebracht haben. So haben alle etwas davon: Entwickler, Früheinsteiger und Skeptiker. Wenn das keine Win-win-win-Situation ist. (Rainer Sigl, 1.3.2020)