Dave Camp ist "Senior Vice President for Firefox" bei Mozilla.

Foto: Mozilla

Es gab eine Zeit, da machte es den Anschein, als könnte nichts den Aufstieg von Firefox bremsen. Doch dann kam Google mit seinem Chrome und mischte den Browsermarkt gehörig auf. Die Konsequenz für Firefox: Der Mozilla-Browser wird zunehmend in eine Nischenrolle gedrängt. Auf dem Desktop sind die weltweiten Markanteile mittlerweile nur mehr einstellig, und auf Smartphones schaffte es Firefox ohnehin nie, eine relevante Verbreitung zu finden.

Für die weitere Entwicklung des Browsers ist Mozillas Senior Vice President Dave Camp zuständig. Im Interview mit dem STANDARD erklärt er, wie es mit Firefox weitergehen soll. Besondere Hoffnungen legt er dabei auf das Thema Privatsphäre, aber auch auf die nächste Generation der mobilen Firefox-App. Und er macht klar, warum man technisch weiter eigene Wege beschreiten will.

Als zusätzliches Service gibt es das Interview auch im englischsprachigen Original.

STANDARD: Mit dem neuen Microsoft Edge setzen nun fast alle Browserhersteller auf die Chromium-Basis von Google. Warum nicht Firefox?

Dave Camp: Unserer Meinung nach ist es für das Web – und somit sowohl für Entwickler als auch Nutzer – am besten, wenn wir direkt beim Standardisierungsprozess mitreden können. Zudem ist Diversität gut für die Nutzer. Also investieren wir weiter in eine eigene Plattform, um das sicherzustellen.

STANDARD: Aber besteht dabei nicht die Gefahr eine Abwärtsspirale? Wenn sich Webseitenentwickler immer stärker auf Chromium fokussieren und andere Rendering Engines vernachlässigen, wird das unweigerlich zu immer mehr Problemen für Firefox-Nutzer führen – und das könnte sie zu anderen Browsern vertreiben.

Camp: Das ist zweifellos eine Herausforderung. Aber wir schlagen uns seit den ersten Tagen des Internet Explorer mit Kompatibilitätsproblemen herum. Genau deswegen ist es wichtig, bei den Standardisierungsgremien involviert zu sein, um zu sichern, dass unsere Implementationen gut getestet und kompatibel sind. Und im Endeffekt ist das eine Herausforderung, die es wert ist, da sie zu besseren Webstandards führt.

STANDARD: Betrachten wir das Thema noch langfristig: Sollten die Nutzungszahlen von Firefox weiter zurückgehen, wäre dann in drei oder fünf Jahren ein Wechsel auf Chromium noch immer ausgeschlossen?

Camp: Nichts ist jemals komplett ausgeschlossen. Im Endeffekt geht es darum, das zu tun, was am besten für die Nutzer ist. Aber derzeit sind wir glücklich mit unserer Rendering Engine Gecko, wir investieren weiter in diese und haben keine Pläne, auf Chromium zu wechseln.

Es ist eine Google-Welt, in der der Firefox lebt – trotzdem will man weiter auch bei der Rendering Engine eigene Wege beschreiten.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

STANDARD: Derzeit wirkt es so, als würden alle nur mehr über Privacy- oder Security-Verbesserungen im Browser reden. Themen wie neue Funktionen oder auch Performance sind dabei zunehmend in den Hintergrund getreten. Sind wir an einem Punkt angekommen, wo es nur mehr iterative Verbesserungen in dieser Hinsicht gibt?

Camp: Vor einigen Jahren haben wir im Rahmen von "Firefox Quantum" sehr viel Zeit investiert, um die Rendering Engine schneller und besser zu machen. Unser großer Fokus dieses Jahr ist, diese Verbesserungen in die Android-Version zu übernehmen. Diese neue Version, basierend auf den Quantum-Verbesserungen, soll im zweiten Quartal veröffentlicht werden. Was allgemeine Verbesserungen an der Plattform oder bei der Performance betrifft: Das ist natürlich etwas, das wir uns immer anschauen. Aber derzeit liegt unser Fokus vor allem auf Privatsphäre und Sicherheit.

STANDARD: Was sind die weiteren Pläne für die experimentelle Rendering Engine Servo, an der Mozilla nun schon einige Jahre arbeitet? Wird diese Gecko irgendwann ablösen, oder bleibt sie ein experimentelles Projekt?

Camp: Servo ist eine großartige Testumgebung für neue Technologien, und für solche Dinge nützen wir es auch. Also etwa die neuen Web-VR-Dinge (für die Nutzung von Virtual-Reality-Inhalten im Browser, Anm.) an denen wir derzeit arbeiten. Aber es gibt keine Pläne, Servo in eine vollständige Rendering Engine zu verwandeln.

STANDARD: Die Basis von Gecko ist mittlerweile ziemlich alt. Würde es nicht irgendwann Sinn ergeben, neu anzufangen?

Camp: Eine Rendering Engine zu bauen, ist ein sehr komplexes Unterfangen. Es ist also kein Zufall, dass es derzeit nur zwei große Implementationen des Webs gibt – der Webkit-Zweig (aus dem auch Googles Blink/Chromium hervorgegangen ist, Anm.) und eben unser Gecko-Zweig. Da ist es langfristig besser unsere Ressourcen auf eine Engine zu konzentrieren, und Servo als etwas beizubehalten, mit dem wir experimentieren können.

STANDARD: Die Kommunikation von Mozilla stellt derzeit ganz klar das Thema Privatsphäre in den Vordergrund. Das scheint also ein Bereich zu sein, wo man sich erhofft, Chrome Marktanteile wegschnappen zu können. Wenn man sich aber die aktuellen Zahlen ansieht, dann ist da nicht viel von einer Bewegung in diese Richtung zu bemerken – ganz im Gegenteil. Heißt das, dass sich die Nutzer gar nicht so sehr für das Thema Privatsphäre interessieren, wie man aus der öffentlichen Diskussion glauben könnte?

Camp: In dieser Hinsicht spielen viele Faktoren eine Rolle. Es gibt sicherlich einige Hürden auf mobilen Plattformen, die man sich näher ansehen sollte. Ich glaube auch, dass wir den Nutzern noch besser erklären müssen, was wir tun. Aber im Endeffekt sind viele dieser Verbesserungen derzeit noch neu, und es braucht Zeit, bis das Bewusstsein dafür größer wird. Der neue mobile Browser wird ein Moment sein, wo die Nutzer dann das gesamte Bild sehen können – und ich bin mir sicher, dass sie es mögen werden. Das wird dann auch jener Zeitpunkt sein, an dem wir Veränderungen sehen werden.

STANDARD: Bei den meisten Privatsphärenverbesserungen geht es um das Blockieren von Trackern. Gleichzeitig gibt es aber zahlreiche andere Wege, die Nutzer von Webseiten eindeutig zu identifizieren. Und einige davon nutzen Funktionen, die Webentwickler brauchen, um herauszufinden, was ein Browser so kann. Insofern: Ist es überhaupt realistisch all diese Formen des "Fingerprintings" zu unterbinden?

Camp: Das ist ein Thema an dem wir mit der Enhanced Tracking Protection bereits arbeiten. Wir testen dort gerade zusätzlichen Schutz gegen Fingerprinting. Die erste Implementation nutzt dabei eine Liste, auf der in dieser Hinsicht bekanntermaßen problematische Seiten vermerkt sind – und blockiert dann dort das Laden der betreffenden Skripte. In Zukunft wollen wir aber ein solches Verhalten automatisch erkennen und unterbinden. Das Schwierige dabei ist, dass diese Schnittstellen aus einem guten Grund existieren. Wir haben die ja damals nicht mit dem Ziel entwickelt, um die Nutzer auszuspionieren. Aber es gibt gewisse Wege, um herauszufinden, ob solche Skripte wirklich für die Funktionalität einer Seite wichtig sind, oder ausschließlich dazu dienen, ein Profil zu kreieren. Dafür arbeiten wir mit Disconnect zusammen.

Die Tracking Protection soll Firefox-User vor spionierenden Seiten schützen.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

STANDARD: Publisher beschweren sich oft darüber, dass Tracker-Blocker und Adblocker ihrem Geschäft und damit der Möglichkeit, den eigenen Betrieb aufrechtzuerhalten, schweren Schaden zufügen. Ist das etwas, das in Ihre Entscheidungen einfließt?

Camp: Natürlich denken wir darüber nach, aber unser Priorität bleiben immer die Interessen der Nutzer. Wir wollen den Nutzern alle Tools geben, mit denen sie selbst bestimmen können, was mit ihren Daten passiert. Und wenn wir tun, was für die Nutzer am besten ist, dann wird die Industrie folgen. Und das sieht man ja auch. Apple setzt ebenfalls stark auf Privacy, und selbst Google macht sich mittlerweile Gedanken darüber, wie sie die Privatsphäre ihre User besser schützen können.

STANDARD: Apropos: Google will so etwas wie eine die Privatsphäre respektierende Art der Datensammlung einführen. Ist so etwas überhaupt möglich?

Camp: Wir sind davon überzeugt, dass es für Firmen möglich ist, verantwortungsvoll mit den Daten der Nutzer umzugehen. Im Endeffekt geht es darum, dass die Nutzer wissen, was mit ihren Daten passiert, und dass sie eine gewisse Kontrolle darüber haben. Wir selbst setzen deswegen auf ein Bündel aus Technologien, die genau das in den Vordergrund stellen.

Wir werden uns die Vorschläge von Google ansehen, und einige davon werden sicher sinnvoll sein, andere hingegen eher im Interesse der Werbetreibenden als der Nutzer. Das ist auch einer der Gründe, warum wir eine eigene Rendering Engine haben wollen, um unsere Vorstellungen in diesem Bereich uneingeschränkt durchsetzen zu können.

STANDARD: Derzeit ist das finanzielle Auskommen von Mozilla praktisch zur Gänze von Suchmaschinendeals abhängig – was auch heißt, dass das Geld vor allem von Google kommt. Das ist natürlich ein schwierige Situation. Wie planen Sie unabhängiger zu werden?

Camp: Die Verknüpfung von Suchmaschinen und Browser ist ein gängiges Modell, das auch weiterhin gut für uns funktioniert. Aber die Nutzer brauchen mehr als einen Browser, um ihre Privatsphäre und Sicherheit online zu schützen. Und da suchen wir nach neuen Wegen der Monetarisierung. Wir haben etwa unlängst einen VPN in privater Beta veröffentlicht, bei dem wir ein Abomodell verwenden.

STANDARD: Aber ist das wirklich etwas, worum man ein tragfähiges Geschäftsmodell aufbauen kann? Der Firefox VPN ist nicht viel mehr als ein bestehender Services – Mullvad – unter einem anderen Namen und für den gleichen Preis. Viel Geld wird da wohl kaum herausschauen ...

Camp: Klar, aber Mozilla gibt es auch nicht, um Unsummen an Geld zu machen. Trotzdem glaube ich, dass wir uns im VPN-Markt abheben können, indem wir klar machen, was wir für die Nutzer tun, und dass wir keine Daten über sie sammeln. Und das ist auch nur eine unsere Initiativen. Wir sind jedenfalls davon überzeugt, dass wir etwas finden, das bei den Nutzern gut ankommen wird.

STANDARD: Mozilla musste erst vor kurzem 70 Mitarbeiter kündigen. War es das, oder kommt noch weiterer Stellenabbau?

Camp: Wir haben neue Einnahmequellen im Blick und unsere Suchmaschinendeals laufen weiter sehr gut. Es ist nie lustig, Mitarbeiter zu kündigen, aber das Geschäft von Mozilla ist stabil.

STANDARD: Trotzdem: Gehen die Marktanteile zurück, schwinden auch die Einnahmen ...

Camp: Das ist natürlich richtig, und entsprechend strengen wir uns sehr an, um mehr Nutzer für den Firefox zu gewinnen. Gleichzeitig muss man aber betonen, dass Marktanteile nicht der einzige relevante Faktor sind. Es geht auch um die Zeit, die die Nutzer dann im Browser verbringen, und die wächst weiter.

STANDARD: "Progressive Web Apps" werden seit Jahren mit schöner Regelmäßigkeit als das "nächste große Ding" für das Web bezeichnet. Manche Verfechter glauben sogar, dass sie native Apps ablösen könnten. Aber bisher ist davon wenig zu merken. Warum?

Camp: Es gibt einige technische Herausforderungen im Vergleich von Web und nativen Plattformen, die eine größere Nutzung verhindern. Und wir arbeiten weiter daran, solche Probleme auszuräumen. Gleichzeitig ist es eine große Entscheidung für Entwickler, auf andere Plattformen zu wechseln, also wird das seine Zeit brauchen.

STANDARD: Könnte es nicht einfach auch sein, dass das Web im Vergleich zu mobilen Apps an Bedeutung verloren hat?

Camp: Das ist definitiv eine Möglichkeit. Aber was wir – und ich glaube auch unsere Nutzer – am Web schätzen, ist, dass es dabei eine Art Vermittler gibt. Ich kann Firefox statt Google oder eine Facebook-App nutzen, um auf Facebook zuzugreifen. Und weil ich Firefox nutze, habe ich dann die Möglichkeit zu kontrollieren, wie weit sie mich tracken können. Dazu kommt, dass die Entwicklung von Inhalten, also Artikeln, Videos und all diesen Sachen, mit denen die Nutzer wirklich ihre Zeit verbringen, noch immer vor allem im Web stattfindet. (Andreas Proschofsky, 28.2.2020)