Die Reichweite war ja lange Zeit keines der wichtigen Themen bei Motorrädern mit E-Antrieb. Die Dinger waren in der Regel so hässlich, die Sitzposition derartig räudig, das Fahrverhalten so mies, dass man über jeden Meter, nach welchem dem Ding eher der Saft ausging, dankbar sein musste. Das ändert sich jetzt gerade dramatisch. Den Anfang machen Zero und seltsamerweise Harley-Davidson. Wieder einmal sind es also die Amerigganer, die uns die E-Mobilität schmackhaft machen.

Zero gehört zu den Pionieren der fahrbaren E-Mobilität auf zwei Rädern.
Foto: Zero Motorcycle

Wirklich angefangen hat alles erst 2019 mit der Zero SR/F. Das war schon ein überraschend gutes Motorrad. Und jetzt legen die Kalifornier mit der SR/S eine verkleidete Version nach. Das S steht übrigens wenig überraschend für Sport, obwohl das Fahrgeräusch der Maschine kaum anders klingt. Sagen wir, wenn Tiroler ein knochentrockenes S spricht. Also schon mit ein bisserl Kratzen im Hals. Denn ganz lautlos ist die Zero nicht. Man hört den Motor recht gut beim Arbeiten. Und gleichzeitig ist der Antrieb so leise, dass sie auch am Sonntag um fünf Uhr früh vorm Schlafzimmer ihres Nachbarn Vollgas geben können, und es wird ihn nicht stören. Vorausgesetzt sie knallen ihm dann nicht völlig unkontrolliert in seinen neuen Wagen.

190 Nm Drehmoment

Denn ein bisserl vorsichtig muss man schon sein mit der Bedienung des rechten Drehgriffs am Lenker. Vor allem im Sportmodus. Da liegt dann das volle Drehmoment von 190 Nm quasi sofort an. Und wenn man darauf nicht gefasst ist, könnten die folgenden Sekunden recht hektisch ablaufen.

Die Zero SR/S gibt es in Blau und Grau. Obwohl, es reicht zu wissen, dass es sie in Grau gibt.
Foto: Zero Motorcycle

Nähert man sich der SR/S aber mit ein wenig Respekt und beginnt einmal im Street-Modus, braucht man sich nicht zu fürchten. Die Beschleunigung ist dann immer noch sehr fein und die Traktionskontrolle wacht sorgsam über das Geschehen. Wer mit den gesammelten Werken von italienischen Heldensagen sozialisiert wurde, kann aber auch im Regen-Modus loslegen. Dann kommt dem Hinterradl nicht einmal der kleinste Rutscher aus und die Beschleunigung ist auch für Nichtprofis leicht zu beherrschen. Neben den zehn selbst zu definierenden Fahrmodi gibt es auch noch einen Eco-Modus. Wie sich der anfühlt, wird mir aber ewig ein Geheimnis bleiben. Dafür macht der Sport-Modus zu viel Spaß. Und auch die etwas ökologischere Art auf zwei Rädern zu fahren darf nun durchaus sportlich sein.

Vorbei sind die Zeiten, wo man die Kraft eines Ringers brauchte, um ein E-Motorrad in Schräglage zu bekommen. Die SR/S darf man sogar als kurvengierig bezeichnen. Zum Hang-off verleitet sie trotzdem nicht.
Foto: Zero Motorcycle

Obwohl, so auf den ersten Blick, da kam schon so etwas wie Ernüchterung auf, wenn nicht gar die Frage, ob das S nicht für Senioren stehen könnte. Denn wenn man genau schaut, dann ist die Verkleidung gar nicht so wild gezeichnet. Der Windshield ist groß und ragt weit nach oben. Der Lenker ist höher positioniert, die Rasten niedriger, man sitzt also aufrechter und geschützter als auf anderen Vollverkleideten. Aber ja doch, es ist eine S wie Sport und keine R wie Racing oder Rundrücken.

Der Windshield ragt weit und recht flach nach oben. Doch das hat einen guten Grund.
Foto: Zero Motorcycle

Durch die aufrechtere Sitzposition ist man nicht nur entspannter unterwegs, man kann sich auch besser auf dem Bock bewegen. Und der etwas große Windshield hat einen ganz eigenen Nutzen. Macht man sich hinter diesem klein, etwa auf Autobahnetappen, dann ergibt sich eine erhöhte Reichweite von 13 Prozent. Auf einmal ist die Reichweite also doch ein Thema.

Bremserei

Kein Thema waren bis vor kurzem auf E-Motorrädern halbwegs vernünftige Bremsen. Die meisten Einscheibenlösungen hätten besser auf ein offenes Pedelec gepasst als auf ein Motorrad. Zero macht damit jetzt Schluss und montiert vorn zwei Scheiben, die mit einer Vehemenz zupacken, dass dieser Tage beim Anbremsen gleich einmal die Rotzglocke am Visier anläutet. Weniger packend und weit weniger gut dosierbar ist, zumindest auf dem Testbike, die Hinterbremse. Doch das kann mehrere Gründe haben. Fahrwerksspezialisten werden da über die Abstimmungsfeinheiten eines E-Bikes philosophieren und Rekuperation mal Fußbremse rechnen und dann die Wurzel aus der Traktionskontrolle ins Spiel bringen. Wer weniger kompliziert an die Sache herangeht, wird merken, dass diese Testmotorrad noch fast keine Kilometer auf der Uhr hat, es also auch gut sein kann, dass die hintere Scheibe noch so gut wie jungfräulich ist, und sich nach ein paar Manövern schon einschleifen wird.

Zero verbaut auf der SR/S eine konzentrische Schwinge, wodurch die Kraft des Motors in jeder Situation gleichmäßig übertragen wird. Die Dosierbarkeit der Hinterradbremse überzeugte bei der ersten Testfahrt nicht wirklich.
Foto: Zero Motorcycle

Ein wildes Manöver ist es auch, von einem Fahrmodus in den anderen zu wechseln. Dazu muss der Gasgriff nämlich geschlossen sein. Dann drückt man gefühlte zwei Sekunden auf den Menü-Knopf am Lenker, im Display beginnt der Fahrmodus zu blinken, dann wählt man aus, bestätigt, und weiter geht es. Klingt jetzt einmal harmlos. Ist es aber nicht. Etwa wenn man gerade mit seiner Bande unterwegs ist, sagen wir im Street-Modus, und kaum fängt das Kurvengeschlängel an, sticht den vor dir der Hafer und er dreht seinen Gasgriff einmal um die eigene Achse. Bis du da im Sportmodus bist, um nicht hinten abzureißen, bist du Letzter in der Partie und kannst den Rossi zu seinen Glanzzeiten nachmachen.

Neben den Fahrmodi kann man auch die Traktionskontrolle in verschiedenen Stufen arbeiten lassen. Sport ist dabei schon was für Personen mit Motorraderfahrung.
Foto: Zero Motorcycle

Obwohl, das hat dann irgendwie eh auch wieder sein Gutes. Du duckst dich hinter dem Windshield, hebst die Ellenbogen und schießt mit einem Dreh am Gasgriff los. Sogar die 234 Kilogramm schwere Premiumversion – die Griffheizung, Schnellader und Alu-Lenkerenden hat – fühlt sich viel leichter an. Das liegt vermutlich am tiefen Schwerpunkt. Der kommt einem auch in der Kurve zugute. Die SR/S lässt sich so einfach auch durch depperte Kurven zirkeln, wie kein anderes aktuelles E-Motorrad. Und weil das alles so kinderleicht geht, bist auch wieder extrem früh am Gas. Was heißt, du musst beim Einlenken lange draußen bleiben, weil am Kurvenausgang wirst du vermutlich schon beim Ersten wieder innen durchwollen.

Wenn man auf den Schnelllader verzichtet, hat man dort, wo konventionelle Bikes einen Tank haben, genug Stauraum für Telefon, Geldbörsel und Verbandspackerl. Oder ein Ladekabel. Greift man zum Schnelllader, kriegt man hier gerade noch die Papiere und eine leere Brieftasche unter.
Foto: Zero Motorcycle

Sie merken es vielleicht schon, es ist ein richtiger Spaß, dieses Motorrad sportlich zu fahren, eben weil es so präzis ist. Das hat übrigens auch Bosch ziemlich überrascht. Die haben einiges an Elektronik beigesteuert und sind eher das Arbeiten mit Einspritzzeiten und Drosselklappen gewohnt, was ein bisserl Verzögerung bedeutet, bis diese befohlene Kraft am Hinterrad ankommt. Da reagiert der E-Motor viel, viel schneller, was eben wieder diese Präzision zugutekommt. Was auch zu diesem Kapitel hier gehört, das ist die konzentrische Schwinge, die dafür sorgt, dass der Antriebsriemen konstant auf Spannung ist.

Im Vergleich zur SR/F wurden die Sitzplätze ein wenig größer dimensioniert.
Foto: Zero Motorcycle

Spannend wurde es auch nach rund hundert Kilometern, sagen wir, recht ambitionierter Fahrt. Da nahm die Leistung der SR/S nämlich merkbar ab. Plötzlich fehlte ein Alzerl der Spritzigkeit. Ein Blick auf den Tacho, der natürlich bei der Zero ein Display ist, das sich an eine App koppeln lässt und so zu allem möglichen Schmafu fähig ist, offenbarte, dass die Reichweite nun auf einmal doch zum Thema wird. Die Reichweitenangaben im Prospekt erreicht man wohl am ehesten im Eco-Modus: Das sind mit dem normalen Akku 175 Kilometer, 219 sind es mit dem Power Tank. Betrachtet man nur die Fahrten in der Stadt, reicht eine Ladung laut Zyklusmessung für 259 Kilometer, mit dem Power Tank 323 Kilometer. Wer statt zu rekuperieren lieber die Bremse fordert, wird dabei – wenig überraschend – Abstriche machen müssen. Aber die Pause kommt nicht ungelegen. Und sie muss mit dem optionalen Rapid Charger auch nicht länger als eine Stunde dauern. Dann ist der 14,4-kWh-Akku wieder voll.

Innovativ ist die Position der Spiegel, die unter dem Lenker direkt an der Verkleidung befestigt sind. Damit sieht man deutlich besser, was hinter einem passiert, nur den Helm kann man in Fahrpausen darauf nicht gescheit aufhängen.
Foto: Zero Motorcycle

Und noch etwas wird auf einmal zum Thema. Der Preis nämlich. Der ist nicht angelehnt an die Preisgestaltung mancher Billig-Fernost-E-Roller, sondern liegt bei mindestens 21.720 Euro respektive 23.940 Euro für die Premium-Version. Um das Geld überlegt man sich natürlich schon gut, ob man sich die Zero daheim in die Garage stellt, wo sie übrigens an der normalen Schukodose in rund vier Stunden voll geladen ist. Wer gern ausgedehnte Motorradreisen unternimmt, wird da nicht einmal mit der Wimper zucken, bevor er den Kopf zu beuteln beginnt. Wer aber gern einem flotten Sonntagsrunderl frönt, der ist hier gut beraten. Die Runde kann sogar tagesfüllend sein, wenn man Schnellladestationen mit angeschlossenem Kaffeehaus auf dem Weg hat. Ideal ist diese Zero sicher für Pendler, die gern mit dem Motorrad fahren. Die werden sich nach ein paar Jahren sogar ziemlich ins Fäustchen lachen. Denn je länger und je mehr man die Zero fährt, desto günstiger wird sie im Vergleich zu konventionellen Motorrädern. Aber diese Rechnung kennen wir eh auch schon von den E-Autos, bei denen es auch gerade zwei beherrschende Themen gibt. Den Anschaffungspreis und die Reichweite. Endlich sind die Motorräder auch so weit. (Guido Gluschitsch, 4.3.2020)

Ein gemütliches Sonntagsrunderl ist schon drinnen, wenn man nicht dauernd im Sportmodus schwer am Gas hängt. Tut man es doch, reicht unterwegs eine Ladestation mit angebautem Kaffeehaus.
Foto: Zero Motorcycle