Christophe Slagmuylder präsentiert das Programm der Festwochen 2020; die Eröffnungsrede hält am 16. Mai die indigene Schauspielerin Kay Sara.

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Christophe Slagmuylder ist nicht der Mann für die großen Knaller. Der belgische Festivalleiter, der nun sein zweites Jahr als Chef der Wiener Festwochen einläutete, bevorzugt handliche Formate und hat zudem mit klassischem Sprechtheater wenig am Hut. Er räumt bevorzugt jenen Arbeiten Raum ein, die aus neuen Kollaborationen – auch zwischen den Kunstsparten – entstehen sowie Bühnenwerken, die nicht ohnehin auf den heimischen Theater- und Opernbühnen anzutreffen sind – die von jeher obligatorische Burgtheater-Koproduktion ausgenommen. Diesmal ist es Alice Birchs 2020 oder das Ende in der Inszenierung von Katie Mitchell (Akademietheater ab 13. 6.).

Lied von der Erde

Birch beschreibt in ihrem Stück, wie sich Endzeiterfahrungen unmittelbar auf den menschlichen Körper auswirken. Von solchen Untergangsfantasien ist das Festival durchzogen. Wir leben in Bertolt Brechts "finsteren Zeiten", so Slagmyulder. Neben der Zunahme rechtsnationaler Politik ist es vor allem der Klimawandel bzw. die anthropozäne Welt und ihre Folgen. Viele der Arbeiten spielen deshalb mit dem Bewusstsein für das Ende, aber auch mit dem Ringen um eine notwendige neue Zukunft.

Darunter etwa Toshiki Okadas Eraser Mountain oder Heiner Goebbels’ Everything that happened and would happen oder Philippe Quesne, der in Farm fatale von den Kammerspielen München mit einer Vogelscheuchen-Résistance den Vorgeschmack auf eine Landwirtschaft der Zukunft gibt. Quesne stellt zudem im Auftrag der Wiener Festwochen seine erste Musiktheaterarbeit vor: Das Lied von der Erde mit dem Klangforum Wien unter Emilio Pomárico (Theater an der Wien, ab 10. 6.).

Ungewohnte Konstellationen

Der Musiktheaterbereich ist in diesem Jahr angewachsen, und auch hier ist es Slagmuylders Credo, anstelle kanonisierter Opernliteratur neue Arbeiten in ungewöhnlichen Konstellationen hervorzubringen. Bekannter Protagonist dieser Kunst ist Romeo Castellucci, der sein im Sommer 2019 in Aix-en-Provence erstmals gezeigtes Requiem nach Mozart in die Halle E bringen wird.

Auch im Tanz spielt Musik eine entscheidende Rolle: Anne Teresa De Keersmaeker zeigt die Weltpremiere ihres Solos Die Goldberg Variationen mit Pianist Pawel Kolesnikow (Theater an der Wien, ab 31. 5.); Markus Schinwald arbeitet für die nach Hans Holbeins Totentanz gearbeitete Performance Danse Macabre mit dem Komponisten Matthew Chamberlain und dem Ensemble Phace zusammen (F23, ab 23. 5.). Livemusik gibt es auch in den Arbeiten von Boris Nikitin, Eszter Salamon, Tim Etchells sowie in Suite N˚4 (Ensemble Ictus) der Gruppe Encyclopédie de la parole.

Einer der politischsten Regisseure Europas kehrt 2020 wieder: Tiago Rodrigues, Intendant des Nationaltheaters Lissabon, zeigt Catarina oder von der Schönheit, Faschisten zu töten als Weltpremiere im Burgtheater (28./29. 5.). Darin wird konkretes politisches Handeln auf der Bühne umgesetzt: Ein fragwürdiger Richter soll gekidnappt werden. Unter Sprechtheater rangiert zudem die legendäre Wooster Group aus New York, die das erste Mal nach zwanzig Jahren wieder zu den Festwochen kommt, diesmal mit Bertolt Brechts The Mother (Die Mutter). Von der Volksbühne Berlin reist Susanne Kennedy mit ihrer schillernden Ultraworld an.

Eröffnungsrede von Milo Rau

Maria Hassabis Performance Times eröffnet in der gleichnamigen Ausstellung in der Secession das Festival am 14. Mai. Auf eine Rede der indigenen Schauspielerin Kay Sara (gemeinsam mit Milo Rau) folgt am Eröffnungswochenende auch die an Christoph Schlingensiefs Containeraktion Bitte liebt Österreich! anno 2000 erinnernde Schule für Integration von Tania Bruguera. Ebenso Teil der Eröffnung ist Marlene Monteiro Freitas Tanzstück über das Böse, Mal, im Akademietheater.

Der Otto-Wagner-Pavillon auf dem Karlsplatz dient als Festivalzentrum. Für die 46 Produktionen, davon 15 Weltpremieren, sind 42.000 Karten aufgelegt. Beethoven bestimmt den Auftakt auf dem Rathausplatz (15. 2.), mit dabei u._a. das Koehne Quartett, Anka thie Koi und Helge Schneider. (Margarete Affenzeller, 27.2.2020)