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Wladimir Putin erfindet sich neu – und bleibt doch der Alte. Sein Interview mit der noch aus Sowjetzeiten bekannten Nachrichtenagentur Tass wurde in völlig neuem Stil geschnitten und aufbereitet: das Studio im schwarzen Design, das Frage-und-Antwort-Spiel mit interaktiven Grafiken und Texten aufgepeppt. Und in verdauliche Häppchen aufgeteilt, um dem bisher eher beschaulichen Erzählstil neue Geschwindigkeit zu verleihen und Putin so hip wie den neuesten Blogger aussehen zu lassen.

Doch inhaltlich blieb er bei seiner Linie: Stärke zeigen und Macht demonstrieren. Die Sommerproteste, die erstmals seit 2012 das System Putin ins Wanken gebracht hatten, verurteilte er einmal mehr scharf: "Heute wirft man eine Flasche, morgen einen Stuhl, und dann werden sie Autos kaputtschlagen", warf er den Demonstranten vor und verteidigte gleichzeitig die Polizeigewalt mit den Worten: "Grundlos schlägt niemand mit dem Gummiknüppel um sich."

Gibt so einer kampflos sein Amt auf? Die von Putin angestoßene Verfassungsreform gibt darauf keine eindeutige Antwort. Vorgestellt als Änderung zugunsten einer besseren Gewaltenteilung zwischen Judikative, Legislative und Exekutive, entpuppen sich die Vorschläge immer stärker als eine Zementierung der präsidialen Macht. Der Staatschef kann künftig viel stärker die Justiz beeinflussen, indem er Richter des Obersten Gerichts entlässt oder den Generalstaatsanwalt ernennt.

Bleibt er, oder geht er?

Die Amtszeit des Präsidenten will Putin dabei jedoch auf zwei Perioden begrenzen. Damit ist 2024 endgültig Schluss für ihn im Kreml. Oder doch nicht? Wladislaw Surkow, jahrelang für die Innenpolitik in der Kreml-Verwaltung zuständig und zuletzt Ukraine-Berater von Putin, erklärte nach seinem Abgang, "die rechtliche Logik führt zur Notwendigkeit, die Zählung der präsidialen Amtszeiten noch einmal von vorn zu beginnen".

Durch die neue Verfassung gehe es um eine neue Art der Präsidentschaft. Mit anderen Worten: Surkow schlägt vor, die zwei (mit Unterbrechung vier) Amtszeiten, die Putin schon gedient hat, zu annullieren, weil mit der neuen Verfassung alles von vorn anfängt.

Widerspruch kam aus dem Parlament: Senator Andrej Klischas, Mitglied der Arbeitsgruppe für die Verfassungsreform, sagte, dass mit der Reform keine Annullierung der Amtszeiten einhergehe. Der Leiter des Duma-Ausschusses für Gesetzgebung, Pawel Kraschennikow, sprach von einer "Verschwörungstheorie", die juristisch nicht relevant sei.

Die Antwort des Kremls fiel kryptischer aus. Putins Sprecher Dmitri Peskow wies darauf hin, dass es sich bei Surkows Aussage nicht um die offizielle Position des Kremls, sondern die private "Meinung eines Russen handelt, auch wenn er sehr kompetent ist und Autorität hat". Das kann man als Dementi verstehen, aber die Aussage lässt dem Kreml genug Handlungsspielraum, um die Operation Verlängerung durchzuziehen, sollte das Verfassungsgericht die bisherigen Amtszeiten doch annullieren. (André Ballin aus Moskau, 27.2.2020)