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Das Tragen der Masken und damit deren Anblick ist das Zeichen einer unsichtbaren, an den lebensnotwendigen Atemvorgang gebundenen Gefahr.

Foto: Getty Images / The Burtons

Als ich ein Kind war, im obersteirischen Faschingszentrum Bad Aussee, stand die spätwinterliche Verkleiderei in hoher Blüte. Bürger, Bauern und Salinenarbeiter streiften durchgeknallte, konfettibunte Paillettenkostüme über, mit Halskrausen und spitzen hohen Hüten im selben Stil.

Die Gesichter der Vermummten waren mit Ku-Klux-Klan-artigen Schleiern verhängt, in die rotumrandete Augenlöcher und ebensolche Mundöffnungen geschnitten waren. Das hatte bei allem Verständnis für Tradition und Devianz und trotz der nachgewiesenen Ungefährlichkeit, mit der diese "Flinserl" genannten Gestalten durch den Marktflecken zogen, auch etwas Irritierendes, Bedrohliches.

Ein anderes Genre des faschingsdienstäglichen "Maschkera"-Personals stellten die "Pless" dar. In alte weiße Kleidung gesteckt, trugen sie umgestülpte Bienenkörbe auf dem Kopf und segneten die Gegend mit szepterartigen Stöcken, an denen ein nasser Fetzen befestigt war. Dass sich im Inneren von Bienenkörben stechende Honiginsekten aufhalten mochten, irritierte mich als Kind weniger.

Trommelweiber

Größeren Eindruck machten "Ainhaimischen" und "Gästen" nämlich die Trommelweiber, allesamt und ausschließlich Männer, die sich aus den Angehörigen der diversen Ausseer Musikkapellen rekrutierten.

Die Trommelweiber waren in bäuerliche Frauenunterwäsche der Gründerzeit gesteckt, weiß wie Schnee, wallend, rüschenreich, für heutige Begriffe jedenfalls völlig unerotisch, alles verhüllend nämlich. Diese entsexualisierten Transgenderwesen schlugen in großer Hingabe das namensgebende Instrument: die Trommel.

Das eigentlich Unheimliche an ihnen aber waren ihre Masken: emotionslose Gesichter, früher wohl aus Holz geschnitzt, modernen Zeiten geschuldet aber aus dünnem bemaltem Plastik gezogen. Ein kleiner Mundschlitz (und winzige Löcher für die Nase) erlaubte das Atmen, Augenöffnungen die Sicht.

Was auch immer die Trommelweiber taten oder ließen, es geschah mit demselben seelenlosen Gesichtsausdruck. Wenn niemand zusah, schoben die maskenmüden Crossdresser ihre Kunstgesichter hoch, um Luft und Persönlichkeit zu schnappen.

Die gefährliche Volltrottelmaske

Zu Hause hatten wir (aus gleichem Faschingsanlass) eine solche Maske, die wir Kinder die gefährliche Volltrottelmaske nannten und die wir auch unterm Jahr anlasslos aufsetzten, um uns einander zu schrecken und bis zur Besinnungslosigkeit zu erheitern. Die gefährliche Volltrottelmaske war nicht nur Anblick, sondern auch Selbsterfahrung.

An der vom Typus moderaten Clownmaske imponierten fragend hochgezogene Brauen, weit aufgerissene Augen, zu Knödeln verzogene, rotglühende Bäckchen, eine knolligrot angelaufene Trinkernase und ein ins Groteske verzogener Lachmund, der uns an das betäubende Komödienlächeln Boy Goberts erinnerte und an den ewig gültigen Spruch: Das Grinsen ist der Schmuck der Dummen.

Der mimische Gesamteindruck und die Unveränderlichkeit desselben besorgten das Volltrottelhafte der gefährliche Volltrottelmaske. Was an ihr aber war das Gefährliche? Das Material selbst war es. Die Ränder der Maske waren scharf, und sie schnitten ein, wo sie Haut berührten. Kam man mit der Zunge am Mundschlitz an, zog man sich schmerzhafte Schnitte zu.

Die Wimpern unserer Augen stießen ständig an und erzeugten ein lautes, unzuordenbares Kratzen. Zudem zwang die gefährliche Volltrottelmaske zu ungefährlicher Volltrottelsprache, zu einem würdelosen, hallenden Lallen. Das weitaus Unangenehmste am Tragen der Maske aber war sofort und übermäßig ausbrechender Schweiß, der als kalter nasser Tau an der Innenseite der Maske kondensierte.

Dazu kam der Eigengeruch der gefährlichen Volltrottelmaske: Er hatte etwas vom Nachgeschmack billigen Kantinenessens, gemischt mit dem seltsamen Geruch, der den Laschentaschen der Schulheftumschläge jener Zeit entströmte.

Nicht ganz fremd dem Geruch, der aus der Innenseite von Mutters Kunsthaarperücke (auch so ein Utensil der 60er-Jahre) entgegenschlug. Die gefährliche Volltrottelmaske war die erste Maske meines Lebens und auch die letzte, die ich je ohne äußeren Zwang aufsetzen sollte.

Erinnerungen an Atemberaubendes

Das Atemraubende hatten die Schutzmasken aus den Baumärkten genauso gut drauf wie die Gummigasmaske, die meine Brüder vom Bundesheer mitgenommen hatten, um uns Zivilistinnen mit ABC-Romantik zu beeindrucken. Auch die stets schlecht sitzenden und Wasser nur ungenügend abhaltenden Tauchermasken der adriatischen Strandurlaube verstärkten meine Maskenphobie.

Untertroffen nur vom bitter-pelzigen Geschmack des Schnorchelmundstücks. Maskentragen blieb etwas Unangenehmes, Irritierendes. Wer das freiwillig tat, so der Befund, der sich über die Jahrzehnte einstellte, hat ein Problem. So viel zum Maskentragen.

Warum aber irritiert mich (wie so viele andere) auch der Anblick von Masken? Insbesondere der gerade in Konjunktur stehenden Gesundheitsmasken? Sollten Gesundheitsmasken nicht Fetische der Sauberkeit sein wie die weißen Mäntel der Ärzte, rein und heilig, sauber und sicher?

Und da evident ist, dass sie das nicht sind, warum sind die Atemschutzmasken unserer Zeit so negativ besetzt? Seien sie weiß wie die Wegwerfmasken der asiatischen Hochleistungspassanten oder türkis wie die Operationskluft der Chirurgen.

Ihr Tragen und damit ihr Anblick ist das Zeichen einer unsichtbaren, an den lebensnotwendigen Atemvorgang gebundenen Gefahr. Einer statistisch gesehen kleinen, aber existenten Todesgefahr, die ausgerechnet jenem Vorgang innewohnt, den wir weder kontrollieren noch vermeiden können. Dem Atmen selbst.

Schnabelmaske mit Abwehrpotpourri

Die Faschingszeit und die Harmlosigkeit der dort verwendeten Masken mag den Blick nur ungenügend verschleiern auf eine Vielzahl von Masken, die ausschließlich mit der Vanitas verbunden sind. Die Totenmasken der Ägypter ebenso wie jene von jüngeren Prominenten aus Klerus, Dichtkunst und Tondichterei.

Horrorclowns tragen Maske (Hannibal Lecter!). Harmlosere Gesichtsfutterale kennen wir von Guitar-Shredder Buckethead (Porzellangesicht und Pappeimer-Hut), vom Rapper Cro (Panda-Maske) und vom frühen Sido (Totenschädel-Maske).

Im Zuge von Corona-Quarantänen und Pandemie-Vorkehrungen wurde jüngst der venezianische Karneval abgesagt. Ausgerechnet jenes Fest, das gänzlich im Zeichen der Maske steht. Eines der tradierten Maskengenres der Lagunenstadt ist die Vogelmaske.

Der Larventypus imponiert durch Augenöffnungen aus Glas und eine reiherschnabelförmige, ellenlange Nase. "Dottore della peste", Pestdoktor, heißt diese Maske. Sie hat ihren historischen Ursprung in der Kleidung der Pestärzte früherer Epochen.

Der Schnabel der Maske war mit einem Abwehrpotpourri aus Amber, Kampfer, Minze, Myrrhe, Nelke, Rose, Styrax, Wacholder und Zitronenmelisse gefüllt. Man glaubte, diese Kräutermischung würde vor der Pest schützen. Der Anblick der Schnabelmaske sollte bald das symbolhafte Zeichen für die Epidemie selbst werden.

So wie das heute mit der Atemschutzmaske geschieht. Genährt von der Irrationalität aller Angst ist sie ein Signum für die Gefahr. Nicht eines für dessen Eindämmung. (Andrea Maria Dusl, 1.3.2020)