Die Abfahrten des neuen georgischen Skigebiets Tetnuldi reichen oft bis in die Dörfer Swanetiens.

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Für die Bergfahrt muss man derzeit noch auf einen Mix aus Allrad-Skitaxi und Sessellift zurückgreifen.

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Drei Liftanlagen befinden sich derzeit an den Hängen des 4.858 Meter hohen Berg Tetnuldi im zentralen Kaukasus.

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Mestia ist der Hauptort der historischen Region Swanetien. Die Stadt gehört wegen ihrer Steintürme zum Unesco-Welterbe.

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Mit ernster Miene erhebt sich der georgische Gastgeber. Er greift zum Schnapsglas, das randvoll mit Tschatscha gefüllt ist. Die Gespräche am Tisch, der mit hausgemachten Köstlichkeiten bis auf wenige freie Quadratzentimeter bedeckt ist, verstummen. Nur das Knistern des Feuers durchbricht die Stille. Mit dem selbstgebrannten Tresterbrand vor der Brust beschwört Beko die gerade geborene Freundschaft. Am Ende eines langen Monologs klirren die Gläser, Hochprozentiges rinnt durch die Kehle. So wird an diesem Abend noch viele Male angestoßen: auf die Kinder, die Mütter, die Väter – und natürlich aufs Skifahren, das Völker verbinde. Aufs Tiefschneefahren im neuen Skigebiet Tetnuldi träfe das natürlich erst recht zu.

Imposante Bergriesen

Über 30 Millionen Euro hat die Weltbank in den Bau der drei neuen Sesselliftanlagen in Swanetien im Nordwesten Georgiens investiert, erzählt am nächsten Morgen Goga, Bekos Bruder, während er seinen Vier-Rad-Kleinbus rasant über die schneebedeckte Passstraße steuert. Damit soll der Wintertourismus angekurbelt werden, in einer Region, die jahrhundertelang von der Außenwelt abgeschnitten war. "Im Sommer", sagt Goga, ein Bär von einem Mann, "haben wir schon viele Gäste." Sie kommen im Rahmen von Studienreisen oder zum Wandern ins Enguri-Tal, das von den imposanten Kaukasus-Bergriesen flankiert wird und dessen Hauptort Mestia wegen seiner markanten Wehrtürme zum Unesco-Welterbe zählt.

Goga, der wie David einige Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet hat, fährt die Gäste zu den Ausgangspunkten der Trekkingtouren. Wie viele andere junge Swanen, die zwischenzeitlich ihr Glück im Ausland versucht hatten und jetzt wieder in die Heimat zurückgekehrt sind, hat auch er mit seinem Bruder Beko ein neues Gästehaus gebaut. Und dank der neuen Liftanlagen unterhalb des 4.858 Meter hohen Mount Tetnuldi erhofft man sich jetzt in Mestia ein wachsendes Wintergeschäft.

Spontane Einheimischentarife

Noch ist davon nichts zu spüren. An diesem kalten, sonnigen Morgen stehen nicht mehr als ein Dutzend Autos auf dem Parkplatz des Skiresorts Tetnuldi. Es herrscht eine sehr entspannte Atmosphäre – auch vor der kleinen Holzhütte, in der eine freundliche Dame Tageskarten für umgerechnet 13 Euro das Stück verkauft. Verglichen mit den Ticketpreisen in den Alpen ein lächerlicher Preis, für die Einheimischen dennoch viel Geld. Geld, das sie sich offensichtlich sparen können: Anders als die zahlenden Gäste aus dem Ausland mogeln sich Locals beim Sessellift elegant am Drehkreuz vorbei – unter den Augen des Bergbahnpersonals, das beide zudrückt.

Die Namen der Sessellifte sind leicht zu merken, folgen aber einer skurrilen Logik: T2 ist der erste von drei Liften und endet auf 2.700 Meter Höhe. T4 führt zum höchsten Punkt des Skigebiets bis auf 3.165 Meter. Er ist an diesem Tag außer Betrieb. Ein Sturm habe die Piste teilweise wegblasen und Felsen freigelegt, erklärt der Liftboy den enttäuschten Freeridern. Bleiben die Nordhänge, die T3 erschließt. Eine traumhafte Spielwiese für Tiefschneefahrer: leicht kupiertes Gelände mit sanften Übergängen, baumfrei, nicht zu steil und nicht zu flach.

T2, T3, T4 – fehlt nur noch T1. In naher oder ferner Zukunft soll eine weitere Bahn vom Tal zur Station T2 gebaut werden. Bis dahin ist man auf hilfreiche Geister wie Goga und sein Allrad-Skitaxi angewiesen. Die Talabfahrt endet an einem Flusslauf, wo ein halbstündiger, mühsamer Marsch durch knietiefen Schnee in Richtung Tsaldashi beginnt. Hagere Kühe schleppen sich dort über die menschenleere Dorfstraße. Nur die rauchenden Kamine zeugen davon, dass dieser Ort auch während des harten kaukasischen Winters bewohnt ist.

Wehrtürme und Gastfreundschaft

In Mestia führt David durch sein Heimatdorf, ein Ensemble aus urigen Steinhäusern und imposanten Wehrtürmen, den Wahrzeichen Swanetiens. Vor nicht allzu langer Zeit sei im Tal Kidnapping noch eine beliebte Einnahmequelle gewesen, erzählt der Wirtschaftswissenschafter. Erst Micheil Saakaschwili, von 2003 bis 2013 umstrittener georgischer Staatspräsident, habe in der Region für Sicherheit gesorgt. "Swanetien ist inzwischen ein friedlicher Ort, wir legen sehr großen Wert auf Gastfreundschaft", betont David, der nach der Rückkehr in die georgische Heimat eine alternative Genossenschaftsbank gründete.

Von der kriegerischen Vergangenheit der Swaneten zeugen heute nur noch die Wehrtürme. "Sie waren auch Statussymbol", erklärt David auf dem Dach eines der imposanten Bauwerke mit Blick auf die Skyline von Mestia. "Je höher der Turm, umso angesehener war die Familie." In den angrenzenden Steinhäusern lebten bis zu 40 Menschen und im Winter noch einmal annähernd so viele Rinder unter einem Dach. Letztere spendeten Wärme. Einer der archaischen Höfe, die mehrere Jahrhunderte überstanden haben, kann heute noch besichtigt werden. Der Rundgang durch dunkle Räume lässt erahnen, wie entbehrungsreich das Leben hier früher gewesen sein muss.

Natürliche Barriere

Am nächsten Morgen gibt es auf dem Parkplatz des Skiresorts schlechte Nachrichten: "Heute kein Liftbetrieb – technische Probleme". Goga schlägt einen Ausflug nach Ushguli vor. Mit 2.200 Meter Seehöhe gilt es als Europas höchstgelegenes Dorf, das permanent bewohnt wird. Allein die einstündige Autofahrt auf dem schmalen, schneebedeckten Weg durch das enge Tal bleibt unvergesslich.

Von den ehemals 100 Wehrtürmen in Ushguli, die viele Jahre Schutz vor Feinden, aber auch vor Lawinen boten, stehen heute noch 30. "Es fehlt das Geld, um sie zu restaurieren", erklärt Goga, nachdem er die Ski vom Autodach geladen hat. "Die Leute hier sind arm." Vor einem der bescheidenen Steinhäuser werden die Felle für eine kleine Skitour aufgezogen. Am Ende des Aufstiegs reißt die Wolkendecke auf und gibt den Blick frei auf den Schchara – mit 5.200 Metern Georgiens höchster Berg und natürliche Barriere zu Russland. Selbst in Ushguli gibt es dank vereinzelter Skitourengeher erste Anzeichen eines beginnenden Wintertourismus. Eine beachtliche Zahl an Guesthouse-Schildern zeugt davon.

Abenteuerlich

Am Tag der Abreise ist Tauwetter angesagt. Goga empfiehlt, in aller Früh aufzubrechen – nicht ohne Grund, wie sich herausstellt. Immer wieder muss der erfahrene Mann am Steuer Steinkolosse umkurven, die sich von auftauenden Hängen gelöst haben. "Nicht mehr lange, dann wird der Pass gesperrt", prophezeit Goga und erzählt die Geschichte von seinem Vater. Der verbrachte zwei Wochen in einem Tunnel, weil er sich wegen des Steinschlags nicht mehr heraustraute. "Das war vor dem Ausbau der Straße", fügt Goga rasch hinzu, als er in die besorgten Gesichter seiner Passagiere blickt. Ein kleines Abenteuer ist eine Reise nach Mestia aber bis heute. (Roland Wiedemann, 6.3.2020)

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