Russische Armeefahrzeuge patrouillieren auf der Schnellstraße M4 im Norden Syriens.

Foto: Delil SOULEIMAN / AFP

Russland macht die Türkei für die tödliche Eskalation in Syrien verantwortlich: Laut dem russischen Verteidigungsministerium hat die Armee von Bashar al-Assad in der Provinz Idlib den Versuch einer massiven Offensive der Rebellen abgewehrt. Bei den Gefechten sei auch eine Gruppe türkischer Soldaten getötet worden, bestätigte Moskau. Doch das sei nur geschehen, weil sich die türkischen Soldaten unter die Terroristen gemischt hätten, betonte ein Sprecher des Ministeriums. "Laut den von türkischer Seite an das russische Zentrum für Aussöhnung geschickten Koordinaten wären im Umkreis der Siedlung Bechun keine Soldaten gewesen, und es hätte dort auch keine geben dürfen", so die offizielle Verlautbarung.

Während das Verteidigungsministerium gleichzeitig erklärte, die russische Luftwaffe sei nicht an den Angriffen auf das türkische Militär beteiligt gewesen, hörte sich das in der Reportage des staatlichen Senders VGTRK am Abend noch völlig anders an: "Die syrischen Soldaten werden von der Luftwaffe gerettet – von der syrischen und der russischen. Syrische und russische Flugzeuge stoppen ein ums andere Mal die Milizenkämpfer", еrklärte der Nahost-Korrespondent des Kreml-nahen Senders, Jewgeni Poddubny. Poddubny charakterisierte die Gegner Assads dabei als Al-Kaida-Kämpfer, die von der türkischen Armee "offen unterstützt werden". So nähmen die Türken russische Flugzeuge mit mobilen Luftabwehrraketen unter Beschuss, vermeldete er direkte Zusammenstöße zwischen den Streitkräften beider Länder.

Letzte große Krise 2015

So nah an einem Krieg waren Russland und die Türkei seit 2015 nicht mehr. Damals hatte die türkische Luftwaffe einen russischen Kampfjet an der türkisch-syrischen Grenze abgeschossen, woraufhin Moskau die Beziehungen zu Ankara abbrach. Ein Jahr lang herrschte zwischen den beiden Nachbarn politische Eiszeit. Russland verhängte ein Embargo auf türkische Waren, stellte Charterflüge ein und sprach eine Reisewarnung aus, die den Tourismussektor in der Türkei stark schädigte. Erst nach einer schriftlichen Entschuldigung des türkischen Präsidenten Tayyip Erdoğan im Juni 2016 versöhnten sich beide Länder und bildeten eine komplizierte Allianz in Syrien.

Diese wurde wegen der unterschiedlichen Interessen mehr als einmal auf eine harte Probe gestellt. Während die Türkei – auch militärisch – die eigene Einflusssphäre zu vergrößern sucht, hat Kreml-Chef Wladimir Putin in den letzten fünf Jahren mit seiner Luftwaffe quasi im Alleingang alle Gegner Assads weggebombt, dem syrischen Diktator damit zum Machterhalt und sich selbst zu Militärbasen am Mittelmeer verholfen. Doch bislang achtete Russland dabei stets darauf, die Sicherheitsinteressen der Türken entlang ihrer eigenen Grenze zu beachten. Mit der neuen Offensive der syrischen Armee gegen die von Rebellen gehaltene Grenzregion Idlib musste der Zusammenstoß zwangsläufig kommen.

"Terroristen"

Als Begründung für die syrische Offensive nennt der Kreml die anhaltende Tätigkeit von Terroristen in Idlib. Allerdings pauschalisiert Moskau seit langem alle Gegner Assads als Terroristen. In dem Zusammenhang wirft Russland nun der Türkei einen Bruch des Sotschi-Abkommens vor. Im russischen Schwarzmeerkurort hatten sich Russlands Präsident Wladimir Putin und Erdoğan noch auf die Bewahrung des Status quo in Syrien geeinigt. Doch in dem Abkommen steht auch, dass beide Seiten Terroristen auf dem jeweils unter ihrer Verantwortung stehenden Gebiet bekämpfen. Nach Ansicht der russischen Führung hat die Türkei das nicht nur verabsäumt, sondern sich darüber hinaus mit diesen verbündet, indem sie die Angriffe Assads versucht zu stoppen.

Wie es weitergeht, ist noch unklar. Die Töne aus Moskau werden aber – ähnlich wie in Ankara – immer schärfer: Außenminister Sergej Lawrow lehnte es ab, die Offensive der syrischen Armee zu stoppen. Diese habe ein Recht, weiter gegen Terroristen auf ihrem Gebiet vorzugehen, sagte er.

Der Vizechef des Außenausschusses im Föderationsrat, Wladimir Dschabarow, erklärte, die "illegalen Handlungen" der Türkei drohten einen "ernsten und gefährlichen" Konflikt zwischen beiden Ländern heraufzubeschwören. "Ich hoffe, die Türken machen nicht zweimal den gleichen Fehler in Bezug auf Russland", warnte er vor einem erneuten Abschuss russischer Flugzeuge. Dass es Russland in dem Fall erneut allein bei wirtschaftlichen Sanktionen belassen würde, scheint ausgeschlossen. (André Ballin aus Moskau, 28.2.2020)