Teodor Currentzis (hier 2017 in Paris) nahm auch in Wien das Mikro in die Hand.

Foto: APA/AFP/STEPHANE DE SAKUTIN

Mit Mozarts Da-Ponte-Opern hat der Konzerthaus-Zyklus mit Teodor Currentzis begonnen, sämtliche Beethoven-Symphonien stehen im März noch bevor – ebenfalls mit seinem Orchester musicAeterna aus Nowosibirsk. Dazwischen kam der Shootingstar mit den markanten Gesten und Interpretationen in seiner Rolle als Chef des SWR Symphonieorchesters für ein Programm mit Mahler und Richard Strauss nach Wien – und nutzte diesen Anlass für eine höchst ungewöhnliche Intervention.

Nach Ende des offiziellen Teils ergriff er das Mikrofon, tat seine Überzeugung kund, dass die Musikgeschichte nicht vor 100 Jahren geendet habe, sondern dass es notwendig sei, sich auch mit Neuerem auseinanderzusetzen. Dann bat er das Publikum, nach einer kurzen Pause nochmals für 20 Minuten in den Großen Saal zurückzukehren. Man spiele dann ein neueres Werk.

Intensive Wiedergabe

Erstaunlich viele folgten der Einladung, um eine intensive Wiedergabe von Giacinto Scelsis Okanagon für Harfe, Kontrabass und Tamtam zu erleben – ein Stück, das bereits 1968 entstanden ist, aber durch seine insistierende, fast manische Reduktion auf simple Ereignisse, darunter Schläge auf die Saiteninstrumente, die das Innere der Klänge nach außen kehren, Ton- und Geräuschfelder aufsplittern, noch immer zu faszinieren und zu irritieren vermag.

Zuvor hatte Currentzis keinen Zweifel daran gelassen, dass er auch die beiden großen Werke aus dem späten 19. Jahrhundert bis ins Letzte durchleuchten wollte – mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen. Fulminant, wie er bei Strauss’ Tod und Verklärung das SWR Symphonieorchester jede Geste energetisch beleben und den Klang aufrauen ließ, und grandios, wie die Musiker ihm folgten. Doch bei einer Tonsprache, die derart auf Effekt und Schwung setzt, war dieser Zugang kaum als Plädoyer für die Qualität des Stücks geeignet, sondern offenbarte eher dessen Eindimensionalität.

Der Zauber des ersten Mals

Hofmannsthal Satz, man müsse die Tiefe an der Oberfläche verstecken, trifft auf Strauss voll und ganz zu. Darunter ist sie nicht zu findet, so sehr man die Oberfläche auch ankratzt, statt sie zu polieren. Bei Gustav Mahler liegen die Dinge umgekehrt. Und so war der Methode bei dessen 1. Symphonie wesentlich mehr Erfolg beschieden. Herrlich spröde und zugleich elastisch klangen hier die vielschichtigen Zwischentöne des Derben, Volkstümlichen, Erhaben und Sphärischen.

Um etwas nicht Vergleichbares dennoch zu vergleichen: In einer sehr respektablen Aufführung desselben Stücks mit dem Orchester des Musikgymnasiums Wien arbeitete Manfred Honeck vor wenigen Tagen zwei Aspekte deutlicher heraus: das Andeutungsartige des Pianissimo des Beginns, das bei fast allen Profiorchestern – und auch beim SWR SO unter Currentzis – fast immer viel zu präsent ist, und den Effekt der nach oben gerichteten Schalltrichter der Bläser. Das machten die jungen Musiker unter Honeck toll – inklusive des Zaubers eines ersten Mals, den sich Berufsmusiker erst wieder erarbeiten müssen. (daen, 1.3.20)