Wenn sich die Gewerkschaft mit ihrer Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung durchsetzt, werde darunter die "Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Betriebe leiden". Die Wirtschaftsleistung, werde sich deutlich verringern. Und da in vielen Bereichen eine Verringerung der Arbeitszeit gar nicht möglich ist, werden mehr Überstunden und damit mehr Überstundenzuschläge für Unternehmer anfallen. Die Folge: Die Preise werden steigen.

Mit diesen drastischen Worten warnte Wirtschaftskammerpräsident Rudolf Sallinger in einer Rede vor Unternehmern am 9. Oktober 1968 in Wien vor einer generellen Verkürzung der Arbeitszeit auf 40 Stunden. Er rechnete sogar vor, was der 40-Stunden-Woche Österreich kosten würde: Er prophezeite einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 1,5 Prozent.

Zeitungen berichteten damals intensiv über die Arbeitszeit-Frage. Die sozialdemokratische Arbeiter-Zeitung ging mit Sallinger hart ins Gericht und schrieb von der "Milchmädchenrechnung" des Wirtschaftskammerchefs. Weniger Arbeitszeit bringe mehr Freizeit, ermögliche mehr Erholung. Und durch zunehmende Automatisierung sei es ohnehin geboten, kürzer zu arbeiten, damit alle Arbeit finden, so die Zeitung.

Stempeluhr bei einem Fabrikseingang in Österreich um 1970: Unternehmer stimmten nach zähen Verhandlungen der 40-Stunden-Woche zu.
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Gut 50 Jahre später wird in Österreich wieder intensiv über die Arbeitszeit diskutiert. Anlass sind die Streiks von Mitarbeitern der Sozialwirtschaft für eine 35-Stunden-Woche bei vollen Lohnausgleich. Heute, Montag, verhandeln Arbeitgeber und Gewerkschaften wieder. In den Diskussionen geht es aber längst nicht mehr nur um die Arbeitszeit von Pflegekräften, Sozialarbeitern und Nachmittagsbetreuern.

Der derzeitige Wirtschaftskammerchef Harald Mahrer warnte vergangene Woche davor, dass die Forderungen in der Sozialwirtschaft ein Einfallstor wären, um eine generelle Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen.

Der aktuelle Konflikt ist jedenfalls ein guter Anlass, um sich anzusehen, wie um die Arbeitszeitverkürzung in Österreich in der Vergangenheit gerungen wurde, wer welche Argumente vorbrachte und wer Recht behielt.

Die historischen Etappen sind rasch erzählt: Die staatliche Regulierung der Arbeitszeit begann in den 1880er-Jahren, als in Fabriken eine maximale Arbeitszeit von elf Stunden festgesetzt wurde sowie Sonn- und Feiertage arbeitsfrei geworden sind.

Da der Samstag im Regelfall ein Arbeitstag blieb, bedeutete das eine Wochenarbeitszeit von 60 Stunden und mehr. Erst 1919 wurde eine Kernforderung von Gewerkschaften und Sozialdemokratie, der Acht-Stunden-Tag für Gewerbe und Industrie, umgesetzt, was die 48-Stunden-Woche brachte. Länger gearbeitet werden dufte in der Landwirtschaft.

Angst vor der Revolution

Laut dem Politikwissenschafter Emmerich Tálos geschah dies ohne Widerstand der Christlichsozialen Partei und der Unternehmensverbände: Die teilweise linksrevolutionäre Stimmung in Europa hatte die Unternehmen überzeugt, dass sozialpolitisch etwas gemacht werden müsse, so Tálos.

Weitere Arbeitszeitverkürzungen lehnten die Unternehmer allerdings ab. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg brach die Debatte wieder voll los. Die Gewerkschaften forderten zwar die 40-Stunden-Woche. Sie wollten den Wiederaufbau aber nicht abwürgen, weshalb sie wenig Druck erzeugten, so Tálos. Der Präsident des Gewerkschaftsbunds, Johann Böhm, argumentierte 1955, dass Lohnerhöhungen wichtiger seien als Arbeitszeitverkürzungen, "solange der LebensStandard der Arbeiter noch so bescheiden ist". Und: Eine rasche Absenkung der Arbeitszeit wurde beim ÖGB als Gefahr für die Exportindustrie betrachtet. Die Gewerkschaft setzte zunächst bei der Forderung nach mehr Urlaub an.

Furcht vor Inflation

In den 1960er-Jahren spitzte sich der Kampf um die 40-Stunden Woche zu, wobei es schon Ende er 50er-Jahre zu einer Reduktion auf 45 Stunden gekommen war. Allerdings ist "Kampf" das falsche Wort: Die Sozialpartner rangen um einen Kompromiss.

Der Ökonom Ewald Walterskirchen war damals erste Reihe fußfrei dabei, weil er am Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo in jener Zeit für Arbeitsmarkt zuständig war. Das Spannungsverhältnis in den Verhandlungen beschreibt er heute so: Die Arbeitgeber warnten, ähnlich wie heute im Pflegesektor, davor, dass die kürzere Arbeitszeit zu einem Mangel an Beschäftigten führen werde.

Heute, Montag, findet die siebente Verhandlungsrunde in der Sozialwirtschaft statt. Gelingt keine Einigung, wird kommende Woche wieder gestreikt.
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In Österreich herrschte Ende der 1960er fast Vollbeschäftigung, der Einwand schien also nicht unberechtigt. Ein weiterer heikler Punkt: Inflation. Eine 40-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich würde die ohnehin starken Preissteigerungen anfachen. Deshalb warnte Wirtschaftskammerchef Sallinger vor den Preissteigerungen: Die Öffentlichkeit schien für dieses Argument zugänglich.

Die Furcht vor einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit spielte zwar auch eine Rolle in den Debatten, sagt der pensionierte Ökonom Walterskirchen. Doch keine so zentrale wie heute: Ende der 1960er war die Globalisierung im Frühstadium, von freiem Kapitalverkehr war noch keine Rede. Für Ökonomen war Vollbeschäftigung das zentrale Anliegen, nicht so wie heute die Standortpolitik.

Die Sozialpartner kamen zuerst nicht weiter. Im Mai 1969 unterzeichneten immerhin fast 890.000 Menschen ein SPÖ-Volksbegehren für die 40-Stunden-Woche, wodurch der Druck größer wurde.

Deal mit Nebenabsprachen

1969 schließlich erzielten Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen Kompromiss. Die 40-Stunden-Woche wurde in Etappen bis 1975 bei vollen Lohnausgleich eingeführt. SPÖ und ÖVP gossen die Einigung in ein Gesetz, nur die FPÖ stimmte dagegen.

Teil des Deals der Sozialpartner: Die Gewerkschaften agierten zurückhaltender bei Lohnforderungen. "Dem ÖGB war klar, dass man seinen Anteil am Produktivitätswachstum nicht zweimal einfordern kann", sagt Ökonom Walterskirchen. Parallel einigten sich die Sozialpartner auf größere Gastarbeiterkontingente, um mehr Arbeitskräfte ins Land zu holen.

In der Folge analysierte Walterskirchen die Effekte der Arbeitszeitverkürzung. Ergebnis seiner Wifo-Studie: Er fand keine Belege dafür, dass die 40-Stunden-Woche das Wachstum gebremst hat. Unternehmerchef Sallinger hatte also nicht recht mit seinen Warnungen. Stattdessen gab es einen starken Produktivitätszuwachs: Das kompensierte die geringere Arbeitszeit zu zwei Dritteln. Der Rest wurde durch höhere Beschäftigung wettgemacht – dank Gastarbeiter.

Schwierige Lehren

Lässt sich daraus eine Lehre für den aktuellen Streit um die 35-Stunden-Woche ableiten? Produktivitätszugewinne in der Sozialwirtschaft sind kaum möglich. Zusätzliche Beschäftigte ließen sich aber wohl finden, so Walterskirchen, vor allem, wenn die Löhne in der Sozialbranche steigen würden, was bei Einführung der 35-Stunden-Woche der Fall wäre.

In den 1980er war es mit der generellen Forderung nach Arbeitszeitreduktion vorbei: Die Sozialpartner einigten sich, nur noch branchenspezifisch zu verhandeln. In einigen Branchen sank die Arbeitszeit auf 38,5 Stunden.

Heute gibt es ein paar Kollektivverträge, etwa in der Elektro- und Metallindustrie, mit Freizeitoption. Statt einer Lohnerhöhung kann mehr Freizeit gewählt werden. Wenige Beschäftigte machen davon Gebrauch: In der männlich dominierten Elektroindustrie sind es sechs Prozent. Besonders für viele Männer dürfte eine 40-Stunden-Woche noch eine erstrebenswerte Norm sein. (András Szigetvari, 2.3.2020)