Choreografin und Regisseurin Florentina Holzinger seziert Sterbeszenen aus Actionfilmen für ihre "Études for an Emergency".

Nicole Marianna Wytyczak

Die sogenannten Waffen einer Frau sehen bei Florentina Holzinger etwas anders aus. Denn die "Waffe" – das ist die Frau! Die österreichische Choreografin kommt von den Martial Arts und ist in ihren jüngsten Bühnenarbeiten damit beschäftigt, den weiblichen Kampfkörper ins kulturelle Gedächtnis einzuschreiben. Dieses Narrativ blieb diesem bisher verwehrt – Ausnahmen wie Sarah Connor in "Terminator" und Brienne von Tarth in "Game of Thrones" bestätigen die Regel.

Beim weiblichen Durchschnittstod im Dramen-, Film- und Opernkanon halten sich Ermordung aus Eifersucht, Suizid aus Verzweiflung und depressives Dahinschwinden die Waage. Auch Sigmund Freud meinte: "Tote Menschen in der Kunst sind oft schön und weiblich."

Handelsüblicher Frauentod

Bevor Holzinger ihre "Natural Born Killers" in den als Crashtest-Zentrum (Bühne und Kostüme: Nikola Knežević) eingerichteten Kammerspielen München in Stellung bringt, hält Annette Paulmann – neben Stuntfrauen und Performerinnen das einzige Ensemblemitglied des Hauses – einen charmanten Prolog: Auch sie musste in ihrer 30-jährigen Theaterlaufbahn zigfach den handelsüblichen Frauentod sterben, jetzt sei die Zeit, sich den martialischen Heldentod zu holen! Mit nichts als schwarzen Knieschonern bekleidet, machen sich die zehn Frauen an die Nahkampf-Etüden. Fotografieren sei unerwünscht, explizite Fotos könne das Publikum aber über die Mail-Adresse etude4trees@gmail.com käuflich erwerben. Mit dem Erlös wird jenes Renaturierungsprojekt in der Steiermark finanziert, für das Holzinger bereits in "TANZ" gesammelt hatte.

Etüden behandeln ein spieltechnisches Problem, das es durch vielmaliges Wiederholen zu trainieren gilt, das aber seit Frédéric Chopin dennoch publikumstauglich sein solle. Bei "Étude for an Emergency" heißt die erste Übung: saftige Ohrfeige. Acht Performerinnen watschen sich paarweise ab. Sie treten einander in den Bauch, schleudern sich gegenseitig an die Wand. Zuvor noch wurde mit einem geknebelten Folteropfer (Paulmann), das an zwei mit Kunstblut gefüllten Flaschen angedockt hängt, ein Blutbad angerichtet, damit alles so richtig im Rote-Rüben-Saft schmiert.

Crashtest-Verfahren

Niemand wird verletzt. "Étude" ist ein Werk der Desillusionierung, wie schon Holzingers Vorgängerarbeit "TANZ", die das Ideal der elfenhaft schwebenden Primaballerina als brutale Körperkunst dekonstruierte. Nichts für schwache Nerven (von 16. bis 18. April wieder im Tanzquartier Wien). "Étude" nun, ihre erste an einem Stadttheater produzierte Arbeit, hat eine Altersfreigabe ab 16 Jahren und ist schmerztechnisch leichter verträglich, indes auch konzeptuell weniger ausgegoren. Denn was als Stuntoper geplant war, verläuft bei der Uraufführung am Sonntag als eine vor allem sportliche Auseinandersetzung mit Gewaltszenen in Nummerndramaturgie.

Holzinger löst Actionfilm-Sterbeszenen aus psychologischen oder anderen kausalen Zusammenhängen und ordnet sie choreografisch im puren Crashtest-Verfahren an. Eine Chorleiterin (Sibylle Fischer) dirigiert die einzelnen "Movements": an die Wand knallen, Attacke mit Auto, Autowaschen (haha!), Gemetzel mit Schusswaffen und Molotowcocktails, Raubüberfall mit Baseballschläger. Mit dem Taktstock treibt sie die Körper zur emotional manipulativen Musik an, um die – tja – nackte physische Schlagkraft zu destillieren.

Licht, Blut, Nebel

Von der Ausgangsidee, das Operngenre und seine Sterbenskonventionen mit den Mitteln der Populärkultur zu unterwandern, blieben nur Rudimente erkennbar. Bitte dranbleiben, denn hier könnten Florentina Holzinger und Bruce Willis mit Trauzeuge Romeo Castellucci (als Zeremonienmeister des etüdenhaften Rituals) dereinst Hochzeit feiern.

Die Loslösung aus einem Erzählzusammenhang, also das totale Skelettieren, entzieht dem Vorhaben aber den Bezugspunkt und damit den Boden eines Konflikts. Der Motor des großen Dramas läuft absichtlich leer. Das enthält zwar immer noch das wirksame Moment der völlig ausgehöhlten Bedeutung, also das Wahrnehmen einer Tragik ohne Kern, die auf die perfekte Mechanik reduzierten Bewegungen verlieren aber in den Wiederholungsschleifen notgedrungen an Spannung – trotz der offenherzigen Effekt-Inszenierung mit suggestivem Licht, Nebel und betörendem Operngesang.

Holzinger trifft deshalb Vorkehrungen. Sie unterlegt "Études" mit Pointen, die auf die genuinen Requisiten des Actionfilmgenres Bezug nehmen. Diese ergeben als Kommentare zum entkernten Spektakel dann doch wieder eine Erzählung. Am Ende etwa sprinkeln aus dem zerdepschten Crashtestauto dünne Blutfontänen, als würde das arme Vehikel weinen. (Margarete Affenzeller, 2.3.2020)