Wie lange kann DNA zumindest so weit stabil bleiben, dass Wissenschafter noch etwas damit anfangen können? An einer Antwort zu dieser Frage scheiden sich die Geister. Sogenannte aDNA (vom englischen "ancient DNA") liegt heute nur in Fragmenten vor, in die Erbgut selbst bei idealen Bedingungen rasch zerfällt. Je mehr Zeit vergeht und je ungünstiger die Umstände sind, unter denen die DNA konserviert worden ist, desto kleiner fallen die Bruchstücke aus. Sinnvoll verwertbar sind solche Erbgutteile nach Auffassung von Experten bis zu einer Nukleotid-Kettenlänge von unter 200 Basenpaaren.

Bisherige Rekorde

Die ältesten derartigen DNA-Fragmente sind mehrere Hunderttausend Jahre alt und fanden sich in Fossilien aus dem arktischen Permafrostboden. So schafften es etwa Forscher von der Universität Kopenhagen im Jahr 2013, das Genom eines Pferdes zu sequenzieren, dessen 700.000 Jahre alten Überreste 2003 im Thistle Creek im kanadischen Territorium Yukon ausgegraben worden waren.

Einen neuen Rekord in Sachen uralte Erbinformationen stellte im vergangenen Jahr ein Team um Enrico Cappelini, ebenfalls von der Universität Kopenhagen, auf: Die Wissenschafter analysierten den Backenzahn eines Nashorns aus der Gattung Stephanorhinus, das vor 1,8 Millionen Jahren im heutigen Georgien lebte. Die Experten gewannen dabei zwar keine DNA im eigentlichen Sinn, mithilfe der Massenspektrometrie identifizierten sie jedoch annähernd das gesamte Proteom des Tieres, also den Satz an Eiweißstoffen.

Rekonstruktion von Hypacrosaurus-Jungtieren. In den Fossilien dieser Dinosaurier sollen gut erhaltene Zellen gefunden worden sein.
Illustr.: Michael Rothman/Science China Press

Dinozellen und -Erbgut

Nun aber soll einer internationalen Gruppe von Wissenschaftern etwas gelungen sein, das man bisher nur aus Kinospektakeln à la "Jurassic World" kennt: Das Team um Alida Bailleul von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und Mary Schweitzer von der North Carolina State University will in 75 Millionen Jahre alten Dinosaurier-Fossilen nicht nur gut erhaltene Zellen, sondern gar Erbgutmaterial entdeckt haben.

Eigentlich wollten die Forscher zunächst nur etwas über das Wachstum von Dinosauriern herausfinden. Als Untersuchungsobjekt wählten sie daher das konservierte Nest des pflanzenfressenden Hadrosauriers Hypacrosaurus stebingeri, das man in der Two Medicine Formation in den Rocky Mountains in Montana entdeckt hatte. Von einem frisch geschlüpften Exemplar fanden sich unter anderem die Knochen von Gliedmaßen und Schädelfragmente, die man eingehenden mikroskopischen Analysen unterzog.

Der Holotyp-Schädel von Hypacrosaurus stebingeri befindet sich im Museum of the Rockies in Bozeman, Montana.
Foto: Tim Evanson

Reichhaltiges Knorpelgewebe

Am Rand eines der Bruchstücke bemerkte Bailleul fossilisiertes Knorpelgewebe, das sie näher in Augenschein nahm. Zu ihrer großen Überraschung sei sie dabei auf einige gut erhaltene Zellen gestoßen, so die Forscherin. Zwei Knorpelzellen waren demnach immer noch durch eine interzelluläre Brücke miteinander verbunden, befanden sich also kurz vor dem Abschluss einer Zellteilung.

Im Inneren dieser Zellen erkannten die Wissenschafter schließlich dunkles Material, das einem Zellkern zu gleichen schien. In einer der untersuchten Knorpelzelle fanden sich auch dunkle längliche Strukturen, die morphologisch mit dem Aussehen von Chromosomen übereinstimmen würden, wie die Forscher im Fachjournal "National Science Review" berichten. "Ich konnte es nicht glauben, mein Herzschlag stoppte beinahe", beschreibt Bailleul den Moment der Entdeckung.

Als Nächstes stellte sich die Frage, ob in diesem Dinosaurierknorpelgewebe noch Originalmoleküle erhalten sein könnten. Um das zu beantworten, führte das Team im Labor von Schweitzer in North Carolina immunologische und histochemische Analysen am Schädel eines anderen Hypacrosaurus aus demselben Nistplatz durch. Dabei zeigte sich, dass die organische Matrix, die die versteinerten Knorpelzellen umgibt, auf Antikörper von Kollagen vom Typ II reagierte, einem Protein, das im Knorpel aller Wirbeltiere vorkommt. "Dieser immunologische Test unterstützt die Annahme, dass bei diesem Dinosaurierfossil noch Reste der ursprünglichen Knorpelproteine vorhanden sind", meint Schweitzer.

Links: Zwei mögliche Zellen kurz vor ihrer Teilung. Mitte: Die dunklen Strukturen sollen nach Ansicht der beteiligten Wissenschafter Chromosomen-Fragmente sein. Rechts: Ein Färbeverfahren machte etwas sichtbar, das laut Alida Bailleul und ihren Kollegen Dinosaurier-DNA ist.
Foto: Alida Bailleul, Wenxia Zheng/Science China Press

Färbeverfahren mit überraschendem Ergebnis

Die Forscher isolierten darüber hinaus einzelne Hypacrosaurus-Knorpelzellen und behandelten sie mit zwei speziellen Färbeverfahren (4′,6-Diamidin-2-phenylindol, kurz DAPI, und Propidiumiodid, kurz PI), die auf DNA-Spuren ansprechen. Und tatsächlich stellen die Wissenschafter bei einigen der isolierten Dinosaurierzellen ein positives Ergebnis fest, das dieselben Bindungsmuster zeigte wie in heutigen Zellen. Dass ihre Proben kontaminiert worden sind, schließen die Forscher weitgehend aus. "Dies wäre in unserem Fall keine plausible Erklärung", meinen sie. "Es gibt keinen Mechanismus, bei dem fremdes Erbmaterial durch eine intakte Membran ins Innere einer Zelle gelangen kann."

"Diese aufregenden Resultate untermauern die Vermutung, dass Zellen und einige Biomoleküle über lange Zeiträume hinweg konserviert werden können", sagt Bailleul. "Die Untersuchungen legen sogar nahe, dass auch DNA über mehrere Millionen Jahren erhalten bleiben kann." Das Team hofft, dass seine Studie Wissenschafter dazu ermutigen wird, neue Methoden anzuwenden, um die molekularen Geheimnisse in altem Gewebe aufzudecken. (tberg, 2.3.2020)