Sebastian Kurz möchte die Grenzen schützen, Werner Kogler plädiert für eine Soforthilfe vor Ort. Daraus soll ein gemeinsamer Plan werden.

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Wien – Die Koalitionspartner ÖVP und Grüne verhandelten am Montag über eine Position zur Flüchtlingsfrage, die beide Seiten vertreten können. Dass es keine gemeinsame Position, die ÖVP und Grüne aufrichtig mittragen wollten, geben würde, war rasch klar und absehbar. So gut es eben geht, sollten die Differenzen aber nicht in aller Öffentlichkeit ausgetragen werden. Die Unterschiede konnte man aber auch in den sozialen Medien nachverfolgen. "Wenn der Schutz der EU-Außengrenze nicht gelingen sollte, dann wird Österreich seine Grenzen schützen", postete etwa Bundeskanzler Sebastian Kurz. Sigi Maurer, die Klubobfrau der Grünen, setzte ihren inhaltlichen Schwerpunkt anders: "Europa hat eine humanitäre Verantwortung – auch wenn sich das alles tausende Kilometer von uns entfernt abspielt."

Der grüne Abgeordnete Michel Reimon setzt in dieser Phase wenig auf diplomatische Töne. Er fordert im Gespräch mit dem STANDARD eine rasche Aufstockung der finanziellen Mittel, um den Flüchtlingen vor Ort humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. "Wenn es Innenminister Karl Nehammer schafft, binnen weniger Stunden Polizisten zur Verstärkung der ungarisch-serbischen Grenze loszuschicken, dann können wir von Außenminister Schallenberg auch erwarten, den Betrag für humanitäre Hilfe rasch aufzustocken." Verhandelt wurde zuletzt über einen Betrag von zehn Millionen Euro, der zusätzlich budgetiert werden sollte. Die Hilfe vor Ort, gemeint sind Türkei und Syrien, würde damit von 15 auf 25 Millionen Euro aufgestockt. In einer gemeinsamen Arbeitssitzung, an der am Dienstag Bundeskanzler, Vizekanzler, Innen- und Außenminister sowie die Verteidigungsministerin teilnehmen, sollen Hilfe vor Ort, aber auch Grenzschutzmaßnahmen vereinbart werden.

Erpressung nicht nachgeben

Die ÖVP stellt in ihrer Kommunikation vor allem den Schutz der Grenzen und die Abwehr der Flüchtlinge in den Vordergrund. Dem wollen die Grünen nicht gänzlich widersprechen. In erster Linie sei es wichtig, auf EU-Ebene die Bemühungen für eine umfassende Friedenskonferenz zu forcieren und humanitäre Hilfe zu leisten, ohne dabei den Erpressungsversuchen des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan nachzugeben. Finanzielle Soforthilfe sei eine Maßnahme, die Österreich auch in Eigeninitiative leisten könne.

Was die Grünen gern hätten, dabei bei der ÖVP aber auf Granit beißen, ist eine gemeinsame, solidarische Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU. Da hat die ÖVP jedenfalls die besseren Karten, da auch andere europäische Staaten eine solche gemeinsame Aktion blockieren.

Klar ist, dass sich Österreich nicht in jene Vorgänge einmischen könne und wolle, die sich derzeit an der türkischen Grenze zu Griechenland und Bulgarien abspielen. Es sei nicht möglich, direkt auf türkischer Seite den Flüchtlingen Hilfe angedeihen zu lassen, da die Situation an der Grenze chaotisch sei und von den türkischen Behörden bewusst eskaliert werde. Wer auch immer die Überwindung der Grenze schaffe, werde auf griechischer oder bulgarischer Seite nach den geltenden Gesetzen behandelt.

Kein Krisenmechanismus

Grünen-Klubchefin Maurer sieht derzeit keinerlei Anlass, den zwischen ÖVP und Grünen vereinbarten Krisenmechanismus auszulösen, der Beschlüsse zur Grenzsicherung ohne Einverständnis des Koalitionspartners erlauben würde. Vergleiche zur Flüchtlingskrise vor fünf Jahren seien auch "überhaupt nicht angebracht". Die grüne Perspektive sei in erster Linie eine humanitäre, es gehe darum, Leid zu lindern. Es brauche auch eine Lösung für die Region und die Situation insgesamt, eine europäische Friedensinitiative.

"Mit Grenzen schützen alleine wird es nicht getan sein, das ist offensichtlich", sagt der grüne Abgeordnete Georg Bürstmayr. Es brauche Hilfe vor Ort, "und zwar rasch und wirksam. Einerseits in der Türkei, wo sich Millionen Flüchtlinge aufhalten, andererseits auf den griechischen Inseln, wo die Zustände unhaltbar sind."

Der grüne Vizekanzler Werner Kogler will zum einen eine Soforthilfe für die Krisenregion im Nordwesten Syriens, zum anderen fordert er die Schaffung menschenwürdiger Bedingungen für die Migranten auf den griechischen Inseln. "Wenn das nicht gelingt, sind wir dafür, Frauen und Kinder herauszuholen."

Was das Abkommen mit der Türkei betrifft, sprach sich Kogler für dessen Fortsetzung aus. Das Verhalten des türkischen Präsidenten bezeichnete Kogler als "bösartige Aktion und Hilferuf zugleich". (jan, völ, 3.3.2020)