
In einer Arbeitssitzung beschließt die Regierung, die Grenzen dicht zu halten und den Flüchtlingen in Syrien mit drei Millionen Euro zu helfen.
Wien – Vizekanzler Werner Kogler von den Grünen leistet sich eine Meinung, da fällt ihm auch kein Zacken aus der Krone, wie er feststellt. Aber es ist seine Privatmeinung – und vielleicht noch jene der Grünen. Dass Österreich nämlich Flüchtlinge aufnehmen soll, wenigstens ein paar Frauen und Kinder, die auf den griechischen Inseln ums Überleben kämpfen, wie Kogler feststellt. Aber er muss auch feststellen: "Es ist richtig, das ist nicht Teil des Regierungsübereinkommens." Das sei bloß seine persönliche Haltung, und mit dieser bleiben die Grünen in der Regierung allein.
Von der ÖVP, von Bundeskanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer, kommt dazu ein klares Nein. Österreich wird keine Flüchtlinge aufnehmen, auch nicht wenige, auch keine Frauen und Kinder. Kurz argumentiert das mit dem Erpressungsversuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, dem man keinesfalls nachgeben dürfe, Nehammer argumentiert das mit der kontinuierlichen "Belastung" durch Flüchtlinge, die man ohnedies schon trage, es sei auch eine Belastung der Volkswirtschaft, aber auch eine des gesellschaftlichen Konsens. Kogler bleibt dabei: Österreich sollte wenigstens ein paar Kinder aufnehmen. Konsens darüber gebe es nicht, räumt er ein, dieser zeichne sich auch nicht ab. "Wir sind noch nicht so weit", sagt Kogler.
Kein "Weiterwinken"
Wo es Konsens gibt, da bekennt sich auch Vizekanzler Kogler dazu: Es seien die zwei Prinzipien Menschlichkeit und Ordnung einzuhalten. Das heißt, um es mit Sebastian Kurz auszudrücken: Ein "Weiterwinken" der Flüchtlinge werde es nicht geben, Österreich werde alles unternehmen, um den "Ansturm" der Flüchtlinge zu stoppen. Erst an der griechischen Grenze, da sei Österreich zu jeder Unterstützung bereit, finanziell wie auch personell, an den Routen durch die Balkanstaaten und zuletzt an der eigenen, der österreichischen Grenze, die gesichert und dichtgemacht werde, sollten sich Flüchtlinge so weit durchschlagen können. Zu diesem Zweck wird auch der Assistenzeinsatz des Bundesheeres verlängert.
Aber es wird auch den Flüchtlingen geholfen, und zwar jenen in Syrien. Österreich stellt als Sofortmaßnahme drei Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds bereit, die an das Internationale Rote Kreuz vor Ort gehen sollen. Am Montag war in den Verhandlungen zwischen Grünen und der ÖVP noch von zehn Millionen Euro die Rede. Aber Kogler preist auch die drei Millionen, das sei ein sehr beachtlicher Betrag, der hier losgeeist wurde.
EU macht Geld locker
Weniger kosten lässt sich Österreich Flüchtlingshilfe, die nicht vor der Grenze Europas geleistet wird. Das Hilfswerk UNHCR haben heuer erst 20.600 Euro von Österreich erhalten, heißt es vonseiten der Vereinten Nationen (Uno). Insgesamt sei etwas weniger als eine Million Euro zugesagt worden, vor allem für Venezuela, heißt es vonseiten des UNHCR. Im Vergangenen Jahr habe Österreich rund 3,5 Millionen Euro überwiesen – ein kleiner Betrag im internationalen Vergleich. Schweden zahlte 2019 rund 140 Millionen, die USA mehr als eineinhalb Milliarden.
Viel Geld macht indes auch die EU für Griechenland locker. 350 Millionen Euro stehen zur Bewältigung der angespannten Lage ab sofort zur Verfügung. Insgesamt stellt die EU den Griechen bis zu 700 Millionen Euro in Aussicht, wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag bei einem Besuch an der griechisch-türkischen Grenze sagte. Das Geld solle für das Migrationsmanagement, den Aufbau und das Betreiben der nötigen Infrastruktur genutzt werden. Zugleich drückte sie ihr Mitgefühl für Migranten aus, die "durch falsche Versprechen in diese verzweifelte Situation" gelockt worden seien.
"Geld für türkische Kriegskassen"
Weitgehend einig sind sich Kurz und Kogler auch in der Beurteilung des türkischen Präsidenten, in Nuancen aber durchaus unterschiedlich. Es sei ein verurteilenswerter Erpressungsversuch, dem man keinesfalls nachgeben dürfe, sagte Kurz, hier würden Menschen als Spielball, Waffe und Druckmittel gegen Griechenland im Besondern und die EU im Allgemeinen verwendet. Er sei zwar dafür, die Türkei bei der Versorgung der Flüchtlinge im Land auch finanziell zu unterstützen, es dürfe aber nicht sein, dass es "Geld für die türkischen Kriegskassen" gebe, "um weiter zu morden", wie es der Bundeskanzler drastisch formuliert. Der Pakt mit der Türkei müsse aufrechterhalten werden, aber nicht zu den türkischen Bedingungen, dass die Hilfsgelder an den Staat und nicht an die Flüchtlinge gehen.
Kogler will sich zwar ebenfalls nicht auf die türkische Erpressung einlassen, weist aber darauf hin, dass es bei der aktuellen türkischen Aktion an der griechischen Grenze möglicherweise auch um einen versteckten Hilferuf handeln könnte, weil die Türkei mit der Versorgung von mehreren Millionen Flüchtlingen im Land nicht zurechtkomme und Unterstützung brauche.
"Es hat keinen Sinn zu kommen"
So äußerten sich die Regierungsspitzen nach einem Arbeitstreffen Dienstagfrüh, an dem auch Außenminister Alexander Schallenberg und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (beide ÖVP) teilnahmen. Schallenberg reiste weiter nach Griechenland, um dort die österreichische Unterstützung und Solidarität beim Grenzschutz zu deponieren. "Wir haben jetzt eine Krise, die ein Drittstaat bewusst versucht heraufzubeschwören", sagte er in Griechenland mit Verweis auf die Türkei: "wenn der eine Druck macht, muss man mit Gegendruck reagieren, dann ist die Situation stabil."
Tanner sicherte immerhin den Assistenzeinsatz des Bundesheeres an der österreichischen Grenze zu. Denn, so versichert Innenminister Nehammer in seinem Statement nach dem Arbeitstreffen im Bundeskanzleramt mehrmals: Eine Situation wie 2015, als eine große Menge an Flüchtlingen ohne Kontrolle an der Grenze durchgewunken wurde, dürfe es nicht mehr geben. Im Gegenteil, führt Nehammer aus, die Botschaft an jene Menschen, die jetzt in der Türkei an der Grenze warten, müsse eine ganz klare sein: "Es hat keinen Sinn zu kommen. Wir werden sie nicht aufnehmen. Es hat keinen Sinn, die Grenze zu durchbrechen." Kogler stellt dazu etwas resignierend und halblaut fest. "Wir nehmen niemanden, und was sich woanders abspielt, geht uns nichts an, das wird sich nicht ausgehen." Aber das ist, wie schon festgestellt, nicht Regierungslinie, steht nicht im Koalitionsübereinkommen drinnen. (Michael Völker, red, 3.3.2020)