Informatisch denken heißt auch manchmal den Stecker ziehen – Grundkonzepte der IT können auch spielerisch und ganz ohne Computer vermittelt werden.
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Irgendwann in ihrer Karriere stolpere jede Frau in der Informatik über das Impostor-Syndrom, sagt Martina Lindorfer – selbst Informatikerin an der TU Wien. "Man fragt sich dann: Was mache ich eigentlich hier? Alle anderen sind ohnehin besser als ich. Ich kann das nicht." So beschreibt Lindorfer das aus der Psychologie bekannte Impostor-Phänomen, bei dem Betroffene unter massiven Selbstzweifeln leiden. Wie sich Mädchen und Frauen – trotz des einen oder anderen Zweifels – langfristig ihre Begeisterung für Technik und Informatik erhalten können und nicht irgendwann auf ihrem Karriereweg wieder abspringen, ist längst zur Gretchenfrage geworden.

2010 rief die damalige ÖVP-Wissenschaftsministerin Beatrix Karl eine Offensive aus, um mehr Studierende in die Mint-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) zu locken, insbesondere mehr junge Frauen. Zehn Jahre später hat sich – trotz zig anderer Initiativen – kaum etwas geändert. Waren im Studienjahr 2009/2010 13,9 Prozent der Informatik-Absolventen weiblich, waren es 2017/18 14,9 Prozent. Die vorläufigen Zahlen für 2018/19 lassen immerhin auf einen Aufwärtstrend hoffen. Laut Unidata gab es zuletzt einen Frauenanteil von 17,4 Prozent.

Das Zeitfenster, um die Leidenschaft für Informatik und verwandte Fächer zu festigen, öffnet sich allerdings schon lange vor Uni und Berufsstart, wie die Unesco-Studie "Cracking the Code" aus dem Jahr 2017 belegt: Bis zum Alter von etwa elf Jahren gibt es kaum einen Unterschied zwischen Buben und Mädchen, was das Interesse für Mint-Fächer betrifft. Zwischen 15 und 16 Jahren bricht das Interesse der Mädchen dann aber ein und erholt sich danach kaum. In diesem Alter werden Rollenbilder oft verstärkt, und Lehrer tendieren dazu, die Fähigkeiten von Mädchen und Burschen anders zu bewerten, lautet eine Erklärung der umfassenden Studie.

Exklusiv für Mädchen

Genau in dieser Altersgruppe anzusetzen ist auch Martina Lindorfers Anliegen. Sie erhielt vergangenes Jahr den Hedy-Lamarr-Preis der Stadt Wien, der 2018 zum ersten Mal für innovative Frauen in der IT vergeben wurde. Lindorfer ist auch eine von zehn Informatikerinnen, die im Jänner und Februar an der Initiative "Tagebuch der Informatikerin" teilnahmen, ein Teil des Projekts ADA (Algorithmen Denken Anders) der TU Wien. Dabei tingelten Computerwissenschafterinnen der TU Wien, der TU Graz, der Unis Linz und Salzburg sowie der FHs St. Pölten und Oberösterreich direkt in Klassenzimmer an 17 Schulstandorten, um über ihre Arbeit zu berichten und Fragen zu beantworten. Und zwar exklusiv für 347 Mädchen zwischen 13 und 16 Jahren.

"Auch wenn es negative Aspekte haben kann, Mädchen getrennt von den Burschen anzusprechen, sind wir aufgrund internationaler Erfahrungen davon überzeugt, dass die positiven Aspekte überwiegen", sagt Stefan Szeider von der TU Wien, der gemeinsam mit Agata Ciabattoni (ebenfalls TU Wien) das Projekt ADA leitet. "Die Nachfrage war jedenfalls sehr groß, und wir waren leider nicht in der Lage, alle Anfragen der Schulen zu erfüllen." Im nächsten Jahr soll die Aktion daher ausgeweitet werden.

Frauen beißen sich immer noch die Zähne am hartnäckigen Stereotyp des männlichen IT-Nerds aus – und sind nach wie vor in der Informatik in der Minderheit.
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Im Projekt ADA, das durch die Wirtschaftsagentur Wien und das Umwelt- und Technologieministerium gefördert wird, wurden anhand der Situation in Österreich vier Gruppen von Hindernissen definiert, die dazu führen, dass sich nur so wenige Mädchen nach der Schule für eine IT-Ausbildung entscheiden: das tief verankerte Stereotyp vom hyperintelligenten, männlichen Nerd; ein Peer-Klima, das sich oft an Rollenklischees orientiert; die lückenhafte Vorstellung davon, was Informatik eigentlich ist; und fehlende weibliche Vorbilder bzw. eine negative Sicht der täglichen Realität einer Frau in der Informatik.

Diesen Befund bestätigen auch mehrere Studien der FH Oberösterreich am Campus Hagenberg: Eine Befragung von 100 Schülerinnen der elften Schulstufe zeigte 2018, dass das Fehlen weiblicher Role-Models, zu wenig Informationen über das Fach und große Selbstzweifel entscheidend dafür seien, nicht Informatik zu studieren. Aus einer weiteren Umfrage unter 200 an Informatik interessierten Frauen wurden die dringendsten Anliegen abgeleitet, um ein IT-Studium attraktiver zu gestalten. Vor allem Schnupperkurse und Orientierungsmodule wurden genannt. Außerdem wünschten sich die Befragten, dass die gesellschaftliche Relevanz von Informatik deutlicher wird.

Klimakrise als Mint-Boost

Ob und wie die Klimabewegung einen Einfluss auf das Interesse an Mint-Fächern hat, untersuchte zuletzt eine Studie unter 200 jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern einer Demonstration von Fridays for Future (FFF). Demnach finden zwar mehr als 80 Prozent, dass eine naturwissenschaftlich-technische Ausbildung einen positiven Beitrag zur Klimakrise leisten kann. "Aber nur knapp über zehn Prozent gaben an, dass die FFF-Bewegung einen Einfluss auf die Entscheidung ihrer Berufswahl in Richtung eines Mint-Fachs hat", sagte Victoria Rammer von der FH Oberösterreich bei einer vom ADA-Projekt veranstalteten Podiumsdiskussion.

Dass Mädchen sich eher für IT begeistern lassen, wenn die gesellschaftliche Relevanz und Anwendungsmöglichkeiten besser dargestellt werden, wie manche Studien nahelegen, wollen Stefan Szeider und Agata Ciabattoni so nicht stehenlassen. "Es stimmt nicht, dass Frauen für abstraktes, theoretisches und analytisches Denken weniger geeignet wären als für praktische Anwendungen", sagen die beiden ADA-Projektleiter vom Vienna Center for Logic and Algorithms der TU Wien.

Informatisch denken mit Papier und Bleistift

"Wir verwenden hauptsächlich Papier und Bleistift und schreiben kaum Programme am Computer", sagt Szeider. Das Projekt ADA, das auch an die Computerpionierin Ada Lovelace (1815–1852) erinnert, soll schließlich die Informatik ein Stück weit weg vom Computer und hin zu einem informatischen Denken führen – und so vielleicht ein neues Image abseits des Computerfreaks generieren.

Einigkeit herrscht jedenfalls darüber, dass Schulen eine zentrale Rolle spielen: Deswegen wird im ADA-Projekt, das noch bis 2022 läuft, mit "CS unplugged" eine frei zugängliche Online- und Printmaterialiensammlung ins Deutsche übersetzt, mit der Lehrende die Grundkonzepte der Informatik spielerisch und ohne Computer vermitteln können. Das ganze Paket, das für Kinder ab sechs Jahren geeignet ist, steht ab Ende März auf der ADA-Website zum Download bereit.

"Welchen Zugang die Mädchen zu Informatik haben, hängt stark davon ab, was im Informatikunterricht gemacht wird. Da gibt es sehr große Unterschiede", sagt Lindorfer, nachdem sie zwei Schulen in Wien für je einen Workshop besucht hat. "Die Mädchen waren alle sehr technikaffin, aber es braucht mehr Aufklärungsarbeit darüber, dass Informatik ein Werkzeug ist, durch das sich alle Berufsfelder verändern und dadurch auch neu gestaltet werden." Und daran besteht kein Zweifel. (Karin Krichmayr, 6.3.2020)