Nach dem Tod von Marko Feingold im September 2019 leitet seine Witwe Hanna Feingold die kleine Israelitische Kultusgemeinde in Salzburg.

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Jetzt steht sie plötzlich allein in der ersten Reihe, repräsentiert die Israelitische Kultusgemeinde bei offiziellen Anlässen, bei von antifaschistischen Organisationen initiierten Gedenkveranstaltungen oder bei Medienterminen. Sie kümmert sich um den Erhalt der dringend renovierungsbedürftigen Salzburger Synagoge sowie des jüdischen Friedhofs und organisiert das religiöse Leben der etwa 70 Juden und Jüdinnen im Land Salzburg.

Über fast drei Jahrzehnte war Hanna Feingold als Begleiterin von Marko Feingold bekannt, als "Beiwagerl", wie sie es nennt. Den Hinweis, dass man sie mehr als Managerin des prominenten Holocaustüberlebenden und nicht als "Beiwagerl" wahrgenommen habe, quittiert sie mit einem kleinen Lächeln.

Ehrenamt

Nach dem Tod ihres Mannes, der im September 2019 im stolzen Alter von 106 Jahren als damals ältester Holocaustüberlebender Österreichs verstorben ist, hat Hanna Feingold seine Agenden als Präsidentin der Salzburger Kultusgemeinde übernommen. "Das ist aber kein Erbhof", sagt sie.

Sie habe sich bereits im März vergangenen Jahres der Wahl gestellt, die Gemeinde habe gemeint, sie solle die Geschäfte führen, "weil ich am besten wisse, wie der Hase läuft". Ein Gehalt bezieht sie nicht, die Präsidentschaft ist eine ehrenamtliche Sache.

Dass sie als Frau in einer fast ausschließlich männlich dominierten Religionsgemeinschaft eine Vorbildfunktion hat, ist der 1948 Geborenen durchaus bewusst. In Salzburg ist sie überhaupt die erste Frau in der Funktion, österreichweit waren (und sind) Frauen in der Innsbrucker, der Grazer und der Linzer Gemeinde in leitender Position.

Nachwuchsprobleme

Dass Frauen im Judentum führende Funktionen einnehmen können, sei einerseits Ausdruck der geänderten Stellung von Frauen in der Gesellschaft, gleichzeitig mache man aber auch aus der Not schwindender Mitgliederzahlen eine Tugend: "Wir haben erhebliche Nachwuchsprobleme."

Aktuell zählt die Salzburger Gemeinde gerade einmal 70 Mitglieder. Darunter auch Menschen aus Übersee, die in Salzburg arbeiten. Zugezogene sind die einzigen Neuzugänge der Gemeinde. Einen eigenen Rabbiner könne die Kultusgemeinde nicht finanzieren, berichtet Hanna Feingold. Zu hohen religiösen Feiertagen müsse man einen Rabbiner aus Wien kommen lassen. Auch anderes Personal sei in dem knappen Budget nicht drin, sagt sie. Deshalb mache sie in der Synagoge beziehungsweise den angeschlossenen Büroräumlichkeiten auch gleich "die Hausmeisterin" mit.

Keine Juden, aber Antisemitismus

In Prozenten ausgedrückt liegt die Israelitische Kultusgemeinde (IKG), auf die Gesamtbevölkerung des Bundeslandes Salzburg gerechnet, irgendwo an der zweiten Stelle hinter dem Komma. "Neben einem Juden zu wohnen, ist so wahrscheinlich wie ein Lotto-Jackpot", sagt Frau Feingold.

Vielfach würden sich Juden und Jüdinnen auch gar nicht als solche zu erkennen geben. Viele würden Nachteile im Berufsleben befürchten und erst in der Pension an die Öffentlichkeit gehen, "der Antisemitismus ist immer noch vorhanden". Sie erzählt das Beispiel eines befreundeten Arztes. Der Mediziner ist selbst kein Jude, habe aber im Warteraum seiner Praxis neben vielen anderen Zeitschriften auch eine jüdische Zeitung aufgelegt. Prompt hätten sich einige Patienten über die Zeitung beschwert.

Stellvertreterrolle

Oft würden Juden und Jüdinnen auch nur am Rande als Österreicher und Österreicherinnen wahrgenommen. Immer wieder müsste sie sich für die Politik Israels rechtfertigen und werde in eine "Stellvertreterrolle gedrängt, sagt Hanna Feingold. Als besonders irritierend empfindet die IKG-Präsidentin den Umgang des offiziellen Salzburg mit historisch prominenten Antisemiten. Und da meint sie nicht nur die nach wie vor bestehende Ehrung namhafter Nationalsozialisten mittels Straßennamen wie zum Beispiel jene des Hitler-Bildhauers Josef Thorak.

Antisemit Stelzhammer

Wer zur Salzburger Synagoge im Andräviertel kommt, geht häufig über die Stelzhamerstraße. Nur: "Oberösterreichs Landeshymnendichter Franz Stelzhamer war ein ekliger Antisemit", um es mit den Worten des oberösterreichischen Schriftstellers Ludwig Laher zu sagen.

Wer zum jüdischen Friedhof wolle, müsse über die Valkenauerstraße, nennt Hanna Feingold ein weiteres Beispiel, wie Antisemiten verewigt werden. Hans Valkenauer war jener Bildhauer, der in Salzburg nach der für Jahrhunderte endgültigen Vertreibung der Juden 1498 das Spottbild der "Judensau" angefertigt hatte.

Die Umbenennung solcher Straßen wie auch die Umbenennung der nach prominenten Nationalsozialisten benannten Straßen wäre ihr ein besonderes Anliegen, sagt Hanna Feingold. Die Chancen, dass sie gehört wird, stehen freilich schlecht: Die Stadt Salzburg – explizit ÖVP und SPÖ – lässt Umbenennungsinitiativen seit Jahrzehnten immer wieder im Sand verlaufen.

Keine Second-Hand-Zeitzeugin

Neben ihrer Funktion als IKG-Chefin ist Hanna Feingold aber eben auch die Witwe eines prominenten Holocaustüberlebenden und Zeitzeugen der Nazibarbarei. Ob die ehemalige Finanzbuchhalterin aus Wien das Erbe von Marko Feingold fortführt, danach braucht man Marko Feingolds zweite Ehefrau nach rund 25 Ehejahren nicht erst zu fragen – das Weiterführen der Arbeit ihres "Hofrats", wie sie ihren Mann manchmal liebevoll-streng nannte, ist eine Selbstverständlichkeit.

"Ich kann aber nicht erzählen, was mein Mann erlebt hat", sagt sie. Kommen Schüler und Schülerinnen in die Synagoge, sei sie nicht "Ersatzzeitzeugin", sondern sie erzähle die Geschichte am Beispiel der Synagoge selbst: "Wie hat das Haus vor 1938 ausgesehen, und wie haben wir es zurückbekommen."

Was ihr dabei auffällt: Früher seien pro Jahr bis zu 100 Schulklassen in die Synagoge gekommen, heute wären es vielleicht noch 20 im Jahr. Die meisten wären einfach an der Geschichte ihres Mannes interessiert gewesen, der vier Konzentrationslager überlebt hatte. Mit dem Erlöschen der Zeitzeugenschaft sei das Interesse deutlich zurückgegangen. (Thomas Neuhold, 4.3.2020)