Händewaschen – das soll die effektivste Maßnahme sein, um der Ausbreitung des Coronavirus entgegenzuwirken? Es mag vielleicht seltsam erscheinen, dass eine derart triviale Alltagshandlung einen so wichtigen Beitrag in der Gesundheitsvorsorge leistet. Doch eine Trivialität ist Handhygiene mitnichten. Mitte des 19. Jahrhunderts zerstritten sich Wiens Mediziner über ihre Wirksamkeit, ehe sie zum lebensrettenden Standard wurde. Und doch wird die Notwendigkeit des Händewaschens, vor allem außerhalb der Medizin, bis heute nicht ausreichend beherzigt – mit fatalen Folgen.

Auf der Liste der Maßnahmen gegen die aktuelle Ausbreitung des Virus Sars-CoV-2 stehen Anleitungen zum richtigen Händewaschen dementsprechend weit oben: Denn der Griff mit kontaminierten Händen an Nase, Mund oder Augen kann schon genügen, damit die Erreger über die Schleimhäute in den Körper gelangen und eine Infektion auslösen. Fließendes Wasser, Seife und etwas Geduld (mindestens 20 Sekunden) wirken effektiv dagegen, so die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation. Danach sollte auch das gründliche Abtrocknen nicht zu kurz kommen. Diese Empfehlung ist natürlich längst nicht nur angesichts des Virus Sars-CoV-2 gültig – wie eigentlich schon sehr lange klar ist.

Händewaschen nach dem Toilettenbesuch? Laut einer Studie aus dem Vorjahr greifen nur 60 Prozent nach dem Gang aufs WC zum Seifenspender.
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Mysteriöse Todesfälle

Wie viele gute Geschichten hat auch die des Händewaschens einen Helden. Der Name Ignaz Semmelweis ist dem gelernten Wiener vertraut, nicht zuletzt aufgrund einer nach ihm benannten Klinik. Weniger bekannt ist allerdings, dass der ungarische Arzt wesentlich dazu beitrug, die Medizin aus der Epoche der Volksheilkunde in jene der Wissenschaft zu überführen. Heute erscheint es uns selbstverständlich, dass medizinische Empfehlungen auf empirischen Fakten beruhen und nicht auf Vermutungen, Annahmen und von Generation zu Generation weitergegebenen Weisheiten.

Doch das war nicht immer so. Als Ignaz Semmelweis im Wien der frühen 1840er-Jahre Medizin studierte, wusste man noch nichts von Keimen, die Krankheiten auslösen konnten. Auch die Möglichkeit der Anästhesie stand erst kurz vor ihrer Entdeckung, und antiseptische Operationen waren ebenfalls noch Zukunftsmusik. Die Medizin sah noch sehr anders aus, als wir sie heute kennen. Umso beeindruckender ist, wie sich Semmelweis als angehender Arzt von den medizinischen Praktiken seiner Zeit emanzipierte.

1846 trat Semmelweis seine Stelle als Assistenzarzt in der geburtshilflichen Klinik im Wiener Allgemeinen Krankenhaus an. Dort kam es häufig zu schweren Fällen des Kindbettfiebers, an dem Frauen bald nach der Entbindung starben. Die Wiener Klinik war in zwei Abteilungen gegliedert, und zwischen diesen gab es einen großen Unterschied in der Häufigkeit der tödlichen Erkrankung: Während in der Abteilung 1 gar 29 Prozent der Mütter starben, waren es in der Abteilung 2 nur drei Prozent. Zudem war bekannt, dass Frauen, die ihre Kinder zu Hause oder auf dem Weg ins Krankenhaus zur Welt brachten, weniger oft an Kindbettfieber erkrankten als jene, die in der Klinik entbanden. Der junge Mediziner stand am Anfang seiner Karriere vor einem Rätsel, für das es bisher keine Erklärung gab.

Der ungarische Arzt Ignaz Semmelweis praktizierte in Wien.
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Visionärer "Retter der Mütter"

Könnte es sein, dass die Abteilung 1 einfach zu überfüllt war? Semmelweis studierte die Patientenzahlen und stellte fest: Überbelegung war in der Abteilung 2 ein größeres Problem. Tests mit Seiten- und Rückenlage der Patientinnen wurden durchgeführt – ebenfalls ohne Ergebnis. Es gab aber noch einen anderen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Abteilungen: In jener mit den vielen Todesfällen wurden die Entbindungen ausschließlich von Ärzten und Medizinstudenten durchgeführt, in der anderen von Hebammen.

Semmelweis kam ein Verdacht: Die Ärzte und Mediziner sezierten nahezu täglich die Leichen verstorbener Patienten, bevor sie "mit an der Hand klebenden Cadavertheilen" zurück in die Geburtsklinik gingen, um Frauen bei der Entbindung zu untersuchen. Manche spülten die Hände kurz mit etwas Seife ab, andere wuschen sie überhaupt nicht – desinfiziert wurden sie nie. Wäre es denkbar, dass durch die Hände der Ärzte eine Art infektiöses Material auf die Frauen übertragen wurde und das Kindbettfieber auslöste?

Semmelweis machte sich daran, seine Hypothese empirisch zu überprüfen. Er fertigte Statistiken an und forderte seine Kollegen auf, ihre Hände vor jeder Untersuchung mit Chlorkalklösung zu desinfizieren. Und tatsächlich zeigte sich ein Zusammenhang: Mit zunehmender Handhygiene der Ärzte und Studenten gingen die Fälle von Kindbettfieber zurück. Semmelweis war auf der richtigen Spur, auch wenn er die Ursache nicht erklären konnte: Dass Bakterien die Infektionen auslösten, war noch nicht bekannt.

Die lebensrettende Entdeckung stieß auf Widerstand in der Ärzteschaft. Unter den Medizinern war die Desinfektion keine beliebte Prozedur, und nicht wenige Kollegen hielten es für absurd, dass ausgerechnet die Ärzte, die ihr Leben in den Dienst der Heilung von Patienten stellten, selbst an der Erkrankung schuld sein sollten. "Es gab reichlich Kollegen, die Semmelweis’ Schriften über die Maßnahmen der Waschungen für Unsinn hielten, die ihm Mangel an Kenntnissen vorwarfen oder gar vermuteten, Semmelweis wäre besessen davon, die ärztliche Geburtshilfe anzuschwärzen", schreibt Anna Durnová in "In den Händen der Ärzte" (Residenz-Verlag, 2015) über Semmelweis’ Gegner.

Mangelhafte Handhygiene

Man möchte meinen, 170 Jahre sind ausreichend, damit eine so bahnbrechende und folgenreiche Erkenntnis zu Verhaltensänderungen in der Bevölkerung führt. Im Fall der Handhygiene ist das, wie Studien zeigen, allerdings in einem geringeren Ausmaß der Fall, als wünschenswert wäre. Zwar ist regelmäßiges Desinfizieren der Hände nur bei medizinischem Personal geboten, für alle anderen Menschen ist das gründliche Waschen mit Seife völlig ausreichend – selbst zur Corona-Prävention.

Doch mit Seife wird sparsamer umgegangen, als der Gesundheit zuträglich wäre. Die jüngsten Zahlen zur Handhygienedisziplin der Österreicherinnen und Österreicher stammen aus dem Vorjahr und wurden von einem Hersteller von Hygieneprodukten erhoben. Anonym wurde aufgezeichnet, ob nach einem WC-Gang der Seifenspender betätigt wurde oder nicht. Das Ergebnis: Von 78.200 WC-Besuchern betätigten nur 47.700 den Seifenspender.

Die mangelhafte Handhygiene ist nicht nur angesichts von Grippe- und Coronaviren ein veritables Gesundheitsproblem. Was vielen Menschen nicht bewusst zu sein scheint, ist, dass die eigenen Hände eine unheilvolle Rolle als Mikrobenschleudern spielen können, die alltägliche Infektionen wie Erkältungen oder Magen-Darm-Entzündungen hervorrufen können. Laut einer Studie eines britischen Forscherteams im Fachblatt "The Lancet Infectious Diseases" 2019 sind ungewaschene Hände zudem eine größere Gefahrenquelle für multiresistente Infektionen mit Kolibakterien als verunreinigte Lebensmittel. (Tanja Traxler, David Rennert, 7.3.2020)