Gerald Knaus ist ein österreichischer Politikberater, der auf dem Gebiet des Flüchtlingswesens Expertise, Realismus und Empathie vereint. Seinem Rat sind die deutsche Regierung und die EU gefolgt, das EU-Erdogan-Abkommen ist seine Konzeption. In Österreich wird er von der Regierung nicht zurate gezogen, weil sich seine differenzierten Analysen und Lösungsvorschläge nicht mit dem schlichten heimischen "Kein Durchwinken mehr / Illegale Migration stoppen"-Psalmodieren vertragen.

Dienstagabend war Knaus in der "ZiB 2" und sprach in zweierlei Richtung Klartext: Erstens wird die EU weiter der Türkei und Griechenland dabei helfen müssen, die enormen Lasten der Fluchtwelle aus Syrien und anderswoher zu tragen. Zweitens: Ein gewisses Maß an kontrollierter Verteilung von Flüchtlingen in Europa wird es geben müssen.

Das heißt nicht, dass sich ein 2015 wiederholen soll/darf. Nur etwa ein Drittel der damaligen Flüchtlinge waren Kriegsflüchtlinge aus Syrien. Die anderen waren Afghanen, Nordafrikaner, die sich anschlossen. Auch denen geht es nicht gut, auch sie haben Fluchtgründe, aber viele kamen, weil sie sich in Europa Besseres erhofften. Aktuell an der türkisch/griechischen Grenze gestrandet sind hauptsächlich Afghanen, Pakistaner und Bangladescher.

Die Realität ist, dass Europa nicht die immensen Probleme einer ganzen Weltgegend, etwa den hundertjährigen innerislamischen Krieg, schultern kann.

Werner Kogler, Sebastian Kurz und Karl Nehammer am Dienstag nach einer Sitzung zur Situation in Griechenland.
Foto: Matthias Cremer

In einem hat die "Grenzen dicht"-Truppe rund um Sebastian Kurz ja recht: Ein undifferenziertes Hereinnehmen wie 2015 geht nicht (mehr). Europa muss auch entscheiden können, wer ein Recht auf humanitäre Hilfe hat, wer eine wertvolle Arbeitskraft ist, und wer nicht.

Empathielosigkeit

Das Problem dabei ist einerseits die vollkommene Empathielosigkeit, die Kurz und Co an den Tag legen. Es gibt wieder "hässliche Bilder", aber dem Kanzler entkommt kein Ausdruck des Mitgefühls etwa mit kleinen Kindern, die in Lagern oder im Niemandsland dahinvegetieren. Er trägt damit zu einer Verhärtung der Stimmung bei.

Das zweite Problem ist, dass Kurz keine konkreten, konstruktiven Maßnahmen nennen kann, wie die Krise einzudämmen wäre. In Wirklichkeit fleht die österreichische Regierung zum Himmel, dass Recep Tayyip Erdogan nur blufft. Grenzen dicht? Ein Massenansturm an unseren langen Grenzen im Osten und Südosten wäre entweder nur mit brutaler Gewalt oder eben nicht abzuwehren.

Europa lebt am Rande einer Krisenregion, die sich selbst zerfleischt. Das erfordert eine Mischung aus Empathie mit den Menschen dort und Klugheit im Umgang mit den einzelnen Potentaten. Erdogan ist ein rücksichtsloser Autokrat, aber er hat bisher fast vier Millionen Syrer aufgenommen (und uns abgenommen). Er schickt ein paar Tausend Migranten an die griechische Grenze, aber wer hat 2015 zehntausende an unsere Grenzen geschickt? Das war unser eigener, von manchen geschätzter ungarischer Autokrat, Viktor Orbán.

Es gibt kein Patentrezept für dieses Jahrhundertproblem, aber es gibt mögliche Maßnahmen. Erdogan muss von der EU weiter bei den Kosten für die syrischen Flüchtlinge geholfen werden. Ebenso brauchen die Griechen mehr Hilfe. Die Lager auf den Inseln sind zu verkleinern, ein Großteil der Menschen muss aufs Festland in feste Unterkünfte gebracht werden (es geht um insgesamt 42.000 Menschen auf den Inseln). Und es muss eine kontrollierte, dosierte, teils humanitäre, teils wirtschaftsorientierte Zuwanderung geben. Nichts, was unmöglich wäre. (Hans Rauscher, 3.3.2020)