Simonida Selimovic spielt eine inhaftierte Revolutionärin. Im Hintergrund Karim Rahoma (li.) und Morteza Tavakoli.

Foto: Alexander Gotter

Als das Gerücht die Runde machte, man sehe Ruhollah Khomeinis Gesicht im Mond, kauften sich die des Schahs und seines Regimes überdrüssigen Iraner Sonnenbrillen, weil es auch hieß, man sehe Khameneis Gesicht dadurch besser. Dieses Detail der Weltgeschichte findet man in Lehrbüchern wohl selten, man hört davon in Alireza Daryanavards Stück Blutiger Sommer.

Der Glaube der iranischen Revolutionäre an Khamenei nährte sich aus der Hoffnung. Denn er versprach ihnen Freiheiten für Politik und Weltanschauungen. Als der Schah aber vom Volk gestürzt worden und Khomeini 1979 aus dem Pariser Exil in den Iran heimgekehrt war, zerschlugen sich ihre Hoffnungen aber bald. Von seiner Islamischen Republik hatte Khomeini bisher nicht erzählt. Oppositionelle mussten nun gegen ihn in den Widerstand gehen. Tausende von ihnen wurden auf den Straßen verraten, gefangen genommen und inhaftiert.

Basierend auf Zeugenaussagen, Zeitungsberichten, Tagebucheinträgen und Abschiedsbriefen, Fotodokumenten und persönlichen Gegenständen dieser Menschen, erzählt Daryanavard in seinem neuen Stück derzeit im Wiener Werk X Petersplatz von den Inhaftierungen, der Folter, den Morden des Regimes Khamenei.

Theatererfolg in Wien

Seit 2014 lebt der iranische Regisseur und Schauspieler in Österreich, zuletzt zeigte er hier ebenfalls die Uraufführung Ein Staatenloser und erntete auch mit Stipendien Anerkennung. Bis ihm im Iran das Theatermachen verboten wurde, spielte er auf verschiedenen Bühnen, danach betrieb er in seiner Heimatstadt Buschehr bis zu seiner Flucht ein Untergrundtheater. Jetzt arbeitet er in Wien mit dem Theaterkollektiv Hybrid.

Daryanavard hat für Blutiger Sommer aus all dem Material drei Figuren konstruiert. Man steigt beim Betreten des Zuschauerraumes zu den Darstellern in ein Nebelmeer hinab, in dem sie mit hopsenden Sprüngen die Bühne durchmessen. Sie alle tragen die Sonnenbrillen. Geraldine Massings Bühne, die sich besonders durch ausgeklügelten Lichteinsatz auszeichnet, ist ästhetisch reduziert und sachlich kühl im Kontrast zu den brutalen Geschichten, die die Darsteller bald abwechselnd erzählen werden.

Wie die des Revolutionärs Mehdi (Karim Rahoma), der von der Polizei auf dem Weg in den Untergrund abgefangen und ins Foltergefängnis gesteckt wird. Aus seiner Tasche räumt er während seines Berichts immer wieder sein Hab und Gut: ein kleiner Hausstand für das neue und nun verlorene Leben.

Eindrucksvoll

Soraya (Simonida Selimović) erzählt schwanger im Frauengefängnis von Überläufern und Folterboxen. Der Bauklötze stapelnde Farshid (Morteza Tavakoli), als Sohn von Landesverrätern im Gefängnis geboren, kennt keine andere Welt als die aus Gewalt. Bei wenigen Requisiten liegt der Fokus von Daryanavards hoch ästhetischer Inszenierung auf dem klaren, zunehmend etwas sehr um Folterdetails kreisenden Text. Eindrucksvoll macht sie aber auch das starke, nuanciert agierende Ensemble. (Michael Wurmitzer, 3.3.2020)