Menschen, die auf der Insel Lesbos im Hafen Mytilene am 4. März 2020 auf die Verteilung einer Mahlzeit warten.

Foto: APA/AFP/LOUISA GOULIAMAKI

Aus erster Hand und mit eigenen Augen habe ich von Krieg, zumindest im Vergleich zu vielen meiner ehemaligen Landsleute, wenig mitbekommen: ein bis auf die Grundmauern abgebranntes Dorf und ein herrenloses Pferd, das darin herumirrt; hunderte Granateneinschläge, aber zum Glück immer mindestens drei Kilometer entfernt; elendig lange Kolonnen von Menschen, die flüchten.

Alles andere, was ich über die Schrecken des Krieges weiß, weiß ich aus Erzählungen von Verwandten, Freunden, aus den Medien und aus Büchern. Mein Großvater hat als Halbwüchsiger am Zweiten Weltkrieg teilgenommen, seine Erzählungen waren schonungslos: Hunger, Krankheiten, Märsche in der Kälte, tote Kameraden, tote Zivilisten. Da der Zweite Weltkrieg und die daraus siegreich hervorgegangenen Tito-Partisanen für die jugoslawische Identität maßgeblich waren, hat man uns in der Pflichtschule nicht vor Erzählungen über die Schlachten und das Schlachten geschont.

Wenige Wochen nachdem ich in Österreich angekommen war, wurde einer meiner Schulkameraden von einem Scharfschützen erschossen. Er war 15. Er war bestimmt nicht das einzige Todesopfer unter meinen ehemaligen Mitschülern, aber die meisten von ihnen waren plötzlich auf "der anderen Seite" – und darüber weiß ich auch 25 Jahre später noch zu wenig.

Podcast: Volle Härte gegen Menschen in Not?

Wir sollten uns Hilfe leisten

Ich erzähle das hier, weil sich basierend auf diesen privaten Erfahrungen meine "Privatmeinung" zum Thema Krieg und Flucht gebildet hat. Und meine Privatmeinung deckt sich sogar zum Teil mit der Privatmeinung des Vizekanzlers Werner Kogler, die er am Dienstag kundgetan hat: Gestrandete Menschen kämpfen gerade in der Türkei und Griechenland ums Überleben, und wir sollten helfen. Mit "wir" meine ich die EU. Eine EU, die dringend ein gemeinsames Asylsystem braucht, um diesen Menschen ein ordentliches, faires Asylverfahren zu ermöglichen. Mit ein wenig Anstrengung ist das machbar.

Dafür brauchen wir mutige Politikerinnen, eine einige EU und faire Verteilung der Asylsuchenden, weniger populistische Meinungsmache und mehr Pragmatismus mit einer Prise Empathie und Verantwortungsgefühl. Es geht den meisten Menschen hier in Mittel- und Westeuropa unglaublich gut im Vergleich zum Rest der Welt. Wir leben im Wohlstand, haben stabile Demokratien und genügend Ressourcen, um faire Asylverfahren und Integrationsmaßnahme für jene, die bleiben, zu organisieren. Wir können das leisten, und wir sollten es uns leisten, Menschen von Hunger, Leid und Elend zu erlösen.

Das ist natürlich meine Privatmeinung. Sie deckt sich nicht mit der Meinung unserer Regierung und mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht mit der Meinung der Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher. Das ist bedauerlich. (Olivera Stajić, 4.3.2020)