Mit ihren Publikationen provozierte Strobl: vom süßen Tier zum rohen Stück Fleisch.
Foto: Ingeborg Strobl / Bildrecht Wien / Mumok

Wir haben es hier mit einer Vordenkerin zu tun. Mit einer Kritikerin, die zeitlebens der Gesellschaft einen Spiegel vorhielt. Die 1949 in Schladming geborene Künstlerin Ingeborg Strobl klagte den Konsumwahn an, den neokapitalistischen Umgang mit Tieren, die Verschwendung natürlicher Ressourcen sowie den kommerziellen Kunstbetrieb. "Alle wollen mehr. Nie genug", schreit es von einem ihrer Plakate. Diese Kritik übte sie durch ihre Kunst und ihre Person. Sie lebte sparsam, war politisch aktiv und Mitglied der feministischen Gruppe "Die Damen". Ihren Arbeiten haftet dennoch immer etwas Ironisches an. Hätte die 2017 verstorbene Künstlerin länger gelebt, wäre sie vielleicht noch Klimaaktivistin geworden.

Dass wir das Klima kaputtmachen, habe Strobl schon früh vorhergesehen, erinnert sich der Kurator Rainer Fuchs. Freunde habe sich die eigenwillige Künstlerin nicht immer gemacht. Noch gemeinsam mit ihr konzipierte Fuchs die große Retrospektive, die nun im Mumok eröffnet. Strobl gab sehr genaue Anweisungen, suchte die pinke Tulpe als Plakatsujet aus und bestand auf den Titel Gelebt, an den sie Fuchs vor ihrem Tod noch erinnerte – "und Ingeborg Strobl soll darunter stehen". Es ist ihr Lebenswerk, ihr Vermächtnis, das hier zu sehen ist.

Miami war zu hip

Ihr Nachlass, den Strobl dem Mumok als Schenkung überließ, bildet den Kern der Schau, die sich auf zwei Räume aufteilt und vor allem die Bandbreite ihres medienübergreifenden Archivs betont. Gut verstreut wächst da Gezeichnetes, Gefilmtes, Gedrucktes, Geformtes und in Vitrinen Ausgestelltes zu einem prallen Potpourri zusammen.

Mit einer Fotoreihe, die sich an einer Wand entlangzieht, führte die Künstlerin quasi ein Lebenstagebuch. Jedes Jahr kam ein weiteres Foto hinzu. Es beginnt 1967 in Bibione, wo ein kleiner Bub am Strand spaziert, und endet 2012 mit bunten Verkaufsständen in Arambol im indischen Goa. In persönlichen und witzigen Texten kommentiert sie die Bilder.

Strobl war auch eine Reisende. Sie besuchte damals noch untouristische Orte abseits der Massen, fuhr nach Osteuropa, Afrika und Indien – "dorthin, wo es nicht allzu hip war", erzählt Fuchs. Aus Miami sei sie gleich wieder abgehauen. Sie suchte etwas Ursprüngliches, setzte sich mit den Menschen dort auseinander und lebte oft monatelang vor Ort.

Die pinke Tulpe verblüht in der Fotoserie Tulpe nach und nach. Noch kurz vor ihrem Tod wünschte sich Ingeborg Strobl eben dieses Blumensujet als Ausstellungsplakat.
Foto: Ingeborg Strobl / Bildrecht Wien

Kaputte Tiere

So auch auf einer Sennhütte in den steirischen Hochalpen. In der Installation Rumex alpinus dokumentieren Fotografien die Verdrängung traditioneller Almbewirtschaftung. Über umgefallene Zaunpfähle wuchert der Alpen-Ampfer – die Natur holt sich zurück, was ihr gehört. Der Verfall ist ein wiederkehrendes Thema. Urige Sitzbänke und andere Fundstücke erinnern an die alpinen Orte, romantisch sind sie dennoch nicht: Die Natur ist bei Strobl politisch.

Zentrales Motiv ist dennoch die Darstellung von Tieren. Im gesamtem Œuvre der Künstlerin tauchen diese immer wieder auf, und zwar in allen Formen und Medien. Die Botschaft: Das Verhalten der Menschen soll darin widergespiegelt werden. Löwen oder Nashörner zeichnet sie mit Buntstift auf Papier. Gut scheint es ihnen aber nie zu gehen, oft ist ihnen ein Teil aus dem Körper geschnitten oder etwas Absurdes hinzugefügt.

Rinderhufe und Youtube-Videos

Auch die Keramiken von Ingeborg Strobl haben meist animalische Vorbilder. Um diese Technik zu erlernen, studierte sie nach ihrem Grafikstudium in Wien von 1972 bis 1974 am Royal College of Art in London. Endlich konnte sie die Zeichnung ins Dreidimensionale holen. In Glasvitrinen stranden aufgequollene Fische, denen die Gedärme aus dem Bauch hängen. Klimawandel! In einer anderen werden Rinderhufe zum Motiv eines Geschirrsets aus Porzellan.

Mit diesem "Antidesign" lehnte Strobl die klischeehafte Dekorkeramik ab. Kunst musste mit dem Leben zu tun haben: Alltagsgegenstände oder gefundene Objekte stellt sie in ihrer persönlichen "Wunderkammer" aus. Auch ihre "Drucksachen" haben eigenständigen Kunstwerkcharakter. So findet man Kataloge und Plakate vergangener Ausstellungen (Lentos, Secession, Wien-Museum) ebenfalls in Vitrinen oder an den Wänden. Weiter hinten dürfen Besucher vor einer Sonnenuntergang-Tapete auch selbst Publikationen durchblättern. Diesen demokratischen Zugang bot Strobl auch mit ihren Videoarbeiten, die sie unter ihrem Pseudonym "Inga Troger" auf Youtube stellte.

Am geballtesten spürt man Strobls Kritik in einer drastischen Gegenüberstellung: Hinter Glas kann man niedliche Gegenstände in Hasenform betrachten. Erst dann entdeckt man den Sockel darunter: Tote, gehäutete Hasen sind darauf gedruckt. Wir Tiere! (Katharina Rustler, 5.3.2020)

Ein Rundgang durch die Ausstellung plus Interview mit Kurator Rainer Fuchs:
OTS