Wenn vergessen geglaubte Erinnerungen wieder auftauchen, haben wir manchmal das Gefühl unserem Gehirn, bei der Arbeit zusehen zu können. Stück für Stück kommen die Bausteine der Erinnerung zum Vorschein, als würde sie jemand aus unsortierten Schubladen herauskramen. Doch was genau passiert im Gehirn, wenn wir unser Gedächtnis durchsuchen?

Eine neue Studie, die kürzlich im Wissenschaftsmagazin "Science" erschienen ist, dokumentiert, was tatsächlich passiert, wenn Erinnerungen abgerufen werden. Was aus Tierstudien bereits bekannt war, konnten die Forscher nun erstmals beim Menschen nachweisen: Unser Gehirn wiederholt bestimmte Aktivitätsmuster, kurz bevor uns die Erinnerung bewusst wird.

Wo habe ich es hingelegt? Forscher ergründen, wie wir Dinge im Gehirn abspeichern.
Foto: APA/IMP

Muster beim Wort-Memory-Spiel

An den Experimenten nahmen sechs Epilepsie-Patienten teil, die vorübergehend ein Hirnimplantat besaßen. Mithilfe dieses Messgeräts sollte ihre Gehirnaktivität aufgezeichnet werden, um den Ursprung der epileptischen Anfälle zu ergründen. Dieser medizinische Eingriff bietet Wissenschaftern die seltene Gelegenheit, die Aktivität einzelner Gehirnzellen zu messen. Bei anderen Methoden wie der Elektroenzephalographie (EEG) oder Magnetresonanztomographie (MRT) können lediglich Schwankungen in der Gesamtaktivität größerer Gehirnareale bestimmt werden.

Die Elektroden wurden den Patienten im Bereich des vorderen Temporallappens unter der Schläfe implantiert. Im Experiment mussten sich die Teilnehmer eine Reihe zufällig kombinierter Wortpaare merken. Im späteren Verlauf wurden sie dann gebeten, zu einem Wort, das ihnen auf einem Bildschirm angezeigt wurde, das jeweils zugehörige Wort zu benennen.

Jede Zeile ist eine Gehirnzelle, jeder Stricht zeigt Aktivität an, der zeitliche Verlauf ist von links nach rechts dargestellt. In der Sequenz sind manche Zellen früher aktiv als andere.
Foto: NIH/NINDS/Zaghloul Labor

Während der Lernphase registrierten die Forscher gehäufte Aktivitäten der Nervenzellen, die einem gewissen Muster folgten. Die Zellen waren in einer zeitlichen Abfolge nacheinander aktiv, wie bei einem Orchester, bei dem die einzelnen Instrumente nacheinander einsetzen. Um beim musikalischen Vergleich zu bleiben: Es handelt sich dabei eher um ein Jazzkonzert, bei dem die Melodien sich zwar ähneln, aber Raum für Variationen ist. Die Zellen tauschten allerdings die Reihenfolge, wenn verschiedene Wortpaare gelernt wurden, als würde das Orchester jedes Mal ein anderes Stück spielen.

Wiederholungen beim Abrufen von Erinnerungen

Die gleichen Aktivitätsmuster konnten auch bei der Abfrage der gelernten Wörter beobachtet werden, wie beim Abspielen einer Aufnahme des Orchesters. Während die Teilnehmer nachdachten, wurden die Muster denen der Lernphase immer ähnlicher, bis ihnen das passende Wort einfiel. In den Durchgängen, wo die Probanden das richtige Wort nicht fanden, blieb diese Angleichung aus. "Die Ergebnisse zeigen, dass unser Gehirn individuelle Abfolgen neuronaler Aktivität benutzt, um Erinnerungen abzuspeichern und vergangene Ereignisse wieder abzurufen", sagt Studienleiter Kareem Zaghloul.

Das Video der National Institutes of Health erklärt das Studiendesign: Während des Erlernens des Wortpaares, werden bestimmte Aktivitätsmuster im Gehirn gemessen. In einer Ruhephase fehlen diese Muster. Beim Erinnern an das fehlende Wort, tauchen die gleichen Muster wieder auf.
NIHNINDS

Eine besonders hohe Ähnlichkeit der Aktivitätsmuster wurde erreicht, wenn kurz zuvor auch Signale aus dem mittleren Temporallappen gemessen wurden. Dieser enthält den Hippocampus und andere Gehirnstrukturen, die schon lange als wichtige Zentren für die Gedächtnisbildung bekannt sind. Möglicherweise sitzt dort der "Dirigent" des neuronalen Orchesters. Für Zaghloul sind die neuen Erkenntnisse bedeutend, um herauszufinden, wie die Gedächtnisbildung funktioniert. "Es hilft uns nicht nur, uns selbst zu verstehen, sondern auch wie neuronale Schaltkreise in Gedächtnisstörungen versagen." (Friederike Schlumm, 10.3.2020)