Vermissen Diskussionen, Glauben und Siegeswillen in der SPÖ: rote Kritiker Cap, Weninger, Lercher.
Foto: urban

Es ist ein Lob, das einen zum Auszucken bringen kann. Wann immer sie in irgendeiner Sitzung etwas Kritisches sage, erzählt Katharina Weninger, herrsche um sie herum Schweigen. Doch hinterher, fügt sie an, "klopfen mir dann 17 Genossen auf die Schulter und sagen: 'Wie gut, dass du das ausgesprochen hast.'"

"Oida – warum hast du nichts gesagt?", denke sie sich da regelmäßig: "Es ist vom Bundesparteivorstand bis hinunter in die Bezirksgremien das Gleiche: In der SPÖ wird nicht offen diskutiert."

Zumindest an diesem Mittwochabend darf in einem fahl ausgeleuchteten Parteilokal aber Klartext geredet werden. Die SPÖ im Wiener Bezirk Döbling hat zum "Talk der Generationen" geladen und die Jungpolitikerin Weninger zwischen ein einstiges und ein womöglich künftiges Alphamännchen gesetzt. Der eine, Max Lercher, hat sich nach unfreiwilliger Ablöse als Bundesgeschäftsführer vor eineinhalb Jahren als "Parteirebell" profiliert und wird als Mann der Zukunft gehandelt. Der andere, Josef Cap, hat die Wandlung von einem ebensolchen Rebellen zum Inbegriff des anpassungsfähigen Establishmentvertreters hingelegt, blieb aber dabei – weil rhetorisches Ausnahmetalent – stets unterhaltsam.

"Ich bin kein Nostalgiker", schickt der 68-jährige Cap voraus, um dann aufzuzählen, was der SPÖ seit erfolgreichen Tagen abhandengekommen sei – die Kampagnenfähigkeit etwa und der Blick aufs Wesentliche: "Wir tun uns immer das Hirn zermartern. Doch was tut der Doskozil? Pflege, Mindestlohn – vier, fünf Punkte, die den Leuten wichtig sind." Auf die Erzählung komme es an, sagt Cap und reicht das Wort weiter: "Ihr schaut eh schon so erzählungsbegierig!"

SPÖ-Urgestein Josef Cap erinnert sich an die besseren Zeiten seiner Partei: "Auf die Erzählung kommt es an."
Foto: urban

Die Wurzeln roten Übels

35 Jahre Altersunterschied bedingen nicht unbedingt Widerspruch. Auch Lercher nennt das Burgenland als Positivbeispiel, auch er sagt: "Was zu tun ist, bedarf keiner langen Herleitung." Die SPÖ müsse sich der alltäglichen Sorgen annehmen und einfach etwas für jene tun, "für die diese Partei gegründet wurde. Ich bin keiner, der sagt: Die Arbeiter sind weg, suchen wir uns eine neue Zielgruppe."

Wenn die Partei aber "vor den zentralen Fragen wegduckt, geht Glaubwürdigkeit verloren", setzt der Nationalratsabgeordnete fort: "Bei zehn Schlagzeilen über die SPÖ fühlt sich ein Voest-Arbeiter neunmal nicht angesprochen." Ob er damit das gemiedene Ausländer- und Sozialmissbrauchsthema meint? So konkret wird Lercher nicht, er sagt nur so viel: "Wir dürfen uns das Leistungsthema nicht von den Neoliberalen wegnehmen lassen." Genau, pflichtet Cap bei: "Auch der Heimatbegriff – der gehört uns!"

Viele Wurzeln des Übels legt das Trio frei. Die 33-jährige Weninger, Vize-Bezirksvorsteherin in Meidling und Wiener Chefin der roten Vorfeldorganisation Junge Generation, spannt den Bogen vom technokratischen Funktionärssprech, der junge Menschen abtörne, bis zu den nachwuchsfeindlichen Klüngeln: "Viele Junge hauen den Hut drauf, weil sie nicht ernst genommen und runtergemacht werden." Cap fordert ein Ende der ständigen Selbstbeschäftigung, womit wohl auch die aktuelle Mitgliederbefragung gemeint ist, während Lercher die Kleingeisterei und Anbiederung an den "blinden Marktglauben" anprangert.

Katharina Weninger, Wiener Chefin der Jungen Generation, ortet in den SPÖ nachwuchsfeindlichen Klügel: "Viele Junge hauen den Hut drauf."
Foto: urban

Verschreckt wie die Pinguine

Mit keinem Wort erwähnen die drei die umstrittene Parteichefin Pamela Rendi-Wagner, mehrfach dafür Sebastian Kurz – und das auch positiv. Man könne viel über Kurz schimpfen, sagt Lercher, doch wenn er sich in einer einfachen Sprache an seine Anhänger wende, fühlten sich diese verstanden: "Empathiefähigkeit ist unglaublich wichtig."

Das gelte auch für Glaube und Siegeswillen, sagt Cap und hebt hervor, wie viel Drive der ÖVP-Chef allein dadurch in seine Partei gebracht habe, dass er sie zur Bewegung erklärte. Über den verhärmten Zustand der SPÖ kursierten hingegen schon Witze: "Woran erkennt man Sozialdemokraten? Sie schleichen immer knapp an der Hauswand entlang und stehen zusammen wie die Pinguine."

Max Lercher hat sich seit seinem Abgang als Bundesgeschäftsführer längst als parteiinterner Kritiker etabliert: "Bei zehn Schlagzeilen über die SPÖ fühlt sich ein Voest-Arbeiter neunmal nicht angesprochen."
Foto: urban

Schutz und Gerechtigkeit, Glück und Entfaltung

Ehe der Moderator die Debatte beschließt ("Anschließend kann bei einem Glas Wasser weiterdiskutiert werden"), kommt noch das Publikum zu Wort. "Was war das Revolutionäre am Gemeindebau? Das Häusl in jeder Wohnung", wirft Werner Gruber, Physiker, Fernsehstar und eingefleischter Sozialdemokrat, ein und will wissen, welche Vision die SPÖ denn heute anbietet.

Lercher antwortet weniger bodenständig, aber ambitioniert. Von einem Staat, der schützt und Chancengerechtigkeit schafft, spricht er, und von einem Wirtschaftsraum, der auch Glück und Entfaltung zulässt. Kurz: "Ein System, das dem Menschen gerecht wird und nicht nur dem Gewinn. Das wird eh zwei, drei Jahre dauern." (Gerald John, 6.3.2020)