Georg Kapsch, der Präsident der Industriellenvereinigung, geht nicht von größeren Schäden durch das Coronavirus aus. Allerdings warnt er vor überzogenen Maßnahmen wie Betriebsschließungen, denn dann könnte der Ausfall erheblich werden. Angesichts der Flüchtlingsbilder in der Türkei und in Griechenland spricht er von einem "erbärmlichen Bild, das Europa abgibt". Und auch zur Arbeitszeitverkürzung wartet Kapsch mit einer Ansage auf.

STANDARD: Wegen des Coronavirus purzeln die Konjunkturprognosen. Wie schlimm wird uns die Seuche treffen?

Kapsch: Hier sieht man, was eine absurde Hysterie bewirken kann. Das ist meine persönliche Meinung. Die Auswirkungen halten sich in Grenzen. Wir haben einen Entgang von 600 Millionen Euro Wirtschaftsleistung errechnet. Das sind 0,15 Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts. Das Wachstum reduziert sich also ungefähr auf 0,9 bis 1,2 Prozent. Von einer Rezession in Österreich gehe ich nicht aus, außer die Hysterie entwickelt sich noch weiter.

STANDARD: Die Maßnahmen sollen ja die Ausbreitung des Virus beschränken. Ist das nicht sinnvoll?

Kapsch: Man kann schon präventive Maßnahmen ergreifen, die Frage ist aber, wie weit man damit geht. Mehr Hygienemaßnahmen sind sinnvoll, zumal sich dadurch auch die Grippe weniger ausbreiten könnte. Wenn aber wegen einiger weniger Fälle Produktionen eingestellt werden und damit Wertschöpfungsketten in Europa zum Erliegen kommen, dann kann der Ausfall schon größer werden. Wenn die Irrationalität des Handels noch größer wird, kann das Virus noch erhebliche Effekte haben.

"Wenn jede Gemeinde in Österreich eine Familie aufnimmt, ist das Thema gegessen, sagt Georg Kapsch zum Thema Flüchtlinge. Europa habe hier eine Verantwortung.
APA/Pfarrhofer

STANDARD: Aber bei den Lieferketten sind wir möglicherweise noch nicht am Ende der Fahnenstange. Viele Container, die in den nächsten Wochen aus China ankommen sollten, wurden wegen der Schließung von Fertigungen oder Häfen gar nicht verschifft.

Kapsch: Das ist schon alles eingeplant. Die Frage ist vielmehr, wozu das führt. Nehmen Sie die Pharmaindustrie, in der große Teile der Antibiotika-Grundstoffe aus China kommen. Vielleicht führt das zu einem Umdenken, dass man gewisse Produktionen wieder nach Europa zurückholt. Damit will ich nicht sagen, dass die Verschränkung der internationalen Wirtschaft zurückgedreht wird. Aber bei gewissen Schlüsselthemen sollte Europa wieder eine größere Rolle spielen.

STANDARD: Wo genau?

Kapsch: Wir haben vieles verschlafen. Es gibt beispielsweise keine IT-Industrie mehr in Europa. Die ist in Asien und in den USA. Der Zug ist abgefahren. Ich glaube, in der Telekombranche kann man noch etwas retten oder im Anwendungsbereich. Da haben wir eine starke industrielle Basis. Dass wir bei Artificial Intelligence China und die USA einholen können, glaube ich hingegen nicht.

STANDARD: Auch bei der Elektromobilität ist Europa nicht gerade vorn mit dabei – Stichwort Tesla.

Kapsch: E-Mobilität ist eine Übergangstechnologie, die nicht nachhaltig ist. Solange die Umweltbelastung durch die Batterien derart hoch ist, kann das nicht die Zukunft sein. Aber es ist ein Trend, dem die Politik nachläuft, weil das fesch und fancy ist. Bei Wasserstoff und Brennstoffzelle könnten wir wiederum eine Vorreiterrolle einnehmen.

STANDARD: Zusammenfassend zu Corona: Sollte die Regierung jetzt konjunkturell gegensteuern?

Kapsch: So weit sind wir noch nicht. Ich wüsste auch nicht, welche stimulierenden Maßnahmen man setzen könnte. Ein Konjunkturpaket braucht man in einer Rezession. Was man machen kann, ist, die Rahmenbedingungen bei der Kurzarbeit zu verbessern. Es wäre ausreichend, wenn ein solcher Schritt nur auf Betriebsebene ausgehandelt werden könnte. Außerdem sollten die Hilfen bei Kurzarbeit schon ab dem ersten Monat greifen.

STANDARD: Themenwechsel: Rund um den Kollektivvertragsstreit in der Sozialwirtschaft ist die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wieder in den Fokus gerückt. Wäre das bei Pflege und Co nicht angebracht?

Ich verstehe nicht, wie Sozialdemokraten das verlangen können, denn die 35-Stunden-Woche ist absolut asozial.
APA/Pfarrhofer

Kapsch: Ich verstehe nicht, wie Sozialdemokraten das verlangen können, denn die 35-Stunden-Woche ist absolut asozial. Warum? Weil dadurch jede Dienstleistung teurer wird. Das trifft primär jene, die wenig verdienen. Im Export ist das wegen des Wettbewerbsdrucks ohnehin nicht machbar. Dazu kommt, dass unser Arbeitspotenzial reduziert wird. Angesichts des Fachkräftemangels wäre eine Arbeitszeitverkürzung somit wachstumshemmend und würde zu einer Verringerung des Wohlstands führen.

STANDARD: Andererseits meinen viele Experten, dass die Produktivität bei kürzerer Arbeitsbelastung steigt.

Kapsch: Das ist eine Illusion. Das Argument stimmt sicher, wenn wir von 60 Stunden ausgehen, weil die Produktivität nach beispielsweise 45 Stunden stark hinuntergeht. Wir arbeiten ohnehin schon weniger. Die effektive Arbeitszeit ist deutlich gesunken – auch ohne Teilzeit. Bei Vollzeit gingen die durchschnittlichen Wochenstunden seit 2005 von 37,2 auf 35,1 Stunden zurück.

STANDARD: Noch einmal zur Pflege, hier wird die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung stark mit der psychischen Belastung argumentiert. Haben Sie dafür kein Verständnis?

Kapsch: Schon, aber wer macht denn dann die Arbeit? Wir schreien bei Immigration: nein, Balken runter. Das muss man sich auch überlegen. Und wer zahlt das?

STANDARD: Apropos Migration: Welches Bild gibt die EU aus Ihrer Sicht ab, wenn man sich die aktuelle Lage an der türkisch-griechischen Grenze oder auf Lesbos ansieht?

Kapsch: Europa gibt ein erbärmliches Bild ab. Ich persönlich war immer gegen den Türkei-Deal, weil man so ein Thema nicht outsourcen soll. Welch Wunder: Es funktioniert langfristig offensichtlich auch nicht. Man gibt damit einem Land, dessen demokratiepolitische Haltung bedenklich ist, ein Instrument in die Hand, damit sich die EU nicht mehr damit beschäftigen muss. Jetzt verwendet Herr Erdogan das Thema Flüchtlinge als politisches Druckmittel, was ja wirklich übel ist. Und wir schauen zu, wie Kinder im Niemandsland nächtelang sitzen und sich keiner um sie kümmert. Das Einzige, was wir sagen, ist: Grenzen dicht. Das ist ja keine Antwort auf eine grundlegende Herausforderung. Ich glaube, dass man hier ein humanitäres Zeichen setzen sollte.

STANDARD: Das scheitert aber an der Abneigung gegen die Zuwanderung von Flüchtlingen nach Europa.

Kapsch: Wenn jede Gemeinde in Österreich eine Familie aufnimmt, ist das Thema gegessen. Wenn man alle nach Traiskirchen bringt, dann wird das nicht funktionieren. Europa hat hier eine Verantwortung. (Andreas Schnauder, 8.3.2020)