Kapitalismuskritik: Pro Jahr werden in West- und Zentralafrika 36 Milliarden Maggiwürfel verkauft und einheimische Gewürze verdrängt.
Foto: Adji Dieye

Man muss schon zugeben, dass man auf diese Eröffnung gewartet hat. Nachdem Nicolaus Schafhausen die Kunsthalle als Direktor Anfang 2019 urplötzlich verließ und das mit der politischen Klimaveränderung in Österreich begründet haben wollte, besetzte Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler die vakante Position mit dem kroatischen Kuratorinnen-Kollektiv WHW neu. Es besteht aus Ivet Ćurlin, Nataša Ilić und Sabina Sabolović sowie Ana Dević, die aus Zagreb zuarbeitet. Dass die Abkürzung für "What, How & for Whom" steht, dass sie langjährige Erfahrung haben und sich die Tätigkeit untereinander aufteilen, ist bekannt.

Seit Juni 2019 führt das Frauenkollektiv nun die Kunsthalle Wien, die so oft wegen ihrer benachteiligten Lage – Schafhausen sprach von einer "dysfunktionalen Situation" – kritisiert wurde. WHW betreute die bereits geplanten Ausstellungen und konzipierte das eigene Programm, das bereits im Winter mit Performances gemeinsam mit dem Burgtheater startete. Diesen Sonntag – am Weltfrauentag – eröffnen WHW nun endlich ihre erste Ausstellung. Ein Neuanfang mit politischem Statement.

Und diesen braucht die lange Zeit in der Kritik gestandene Kunsthalle auch. Von vielen Seiten hieß es, Schafhausen hätte diese gegen die Wand gefahren. Die Erwartungen sind dementsprechend hoch. Denn mit WHW soll alles anders werden, verkündete man schon bei der Besetzung vergangenes Jahr: Öffnung, Reflexion und Diskurs hieß es da. Man wolle die räumliche Situation lösen, Menschen außerhalb der Kunstblase erreichen und die Ausstellungen nach außen hin lesbarer machen.

Das ist der Eingang!

So. Jetzt steht man vor dieser "neuen" Kunsthalle und erkennt bereits von außen erste Veränderungen: Der Adler ist weg und temporär auch die Kunsthallen-Schrift. Stattdessen kündigt ein neu designtes Schild die Einrichtung an, über dem Eingang prangt in roten Leuchtbuchstaben von Tim Etchells (seine Arbeiten begegnen einem im Inneren öfter) der Slogan "Songs about being free". Dieser soll als Motto gelten. Ganz verständlich ist er dennoch nicht. Dafür steht auf der Glastür selbst ganz plump: "Das ist der Eingang zur Kunsthalle Wien". Das wäre einmal geklärt.

Betritt man das Haus, kann man sogar noch vor dem Ticketkauf Arbeiten aus der Schau sehen: Die senegalesische Künstlerin Adji Dieye übt Kapitalismuskritik an Maggi (Bild), Banu Cennetoğlu bindet österreichische Zeitungen zu Büchern (zum Durchblättern!), und die ebenfalls immer wiederkehrenden Cartoons von Dan Perjovschi zieren Glasscheiben und Wände. Beschriftungen mit Pfeilen und dem Versprechen nach "Mehr Kunst" sowie die von Mladen Stilinović stammenden, auf dem Fußboden liegenden Brotlaibe (echt!!) lotsen in Richtung Ausstellung.

Provokant und plakativ

Diese Wegweisung mag provokant und plakativ wirken, ist aber geschickt gemacht und deutet auf den doch sperrigen Titel … von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden hin, der aus einem Text des libanesischen Autors Bilal Khbeiz stammt. Die Begriffe sind Werte und Träume, die auf globale Unterschiede hinweisen sollen – the West and the Rest quasi. Eine politische Botschaft, auf die sich die Gruppenausstellung beziehen möchte, die mit mehr als 35 internationalen Künstlerinnen und Künstlern – auch was Geschlecht (25:20) und Alter betrifft – mit Diversität punkten kann. Lokale Positionen findet man aber weniger. Zwar sind mit HC Playner (Sargnagel und Hyänen!), Oliver Ressler oder Monika Grabuschnigg auch einige österreichische Kunstschaffende vertreten, jedoch machen sie nur einen Bruchteil aus.

Ein leidiges Thema, dem sich WHW eigentlich vermehrt annehmen wollten. Bei dieser Ausstellung sei es den Kuratorinnen jedoch wichtiger, "mehrere Stimmen" sprechen zu lassen. Dabei wurde kein strenges kuratorisches Konzept verfolgt, sondern die Idee, einen Überblick zu geben: Was können sie, und wie möchten sie in Zukunft arbeiten? "Diese Schau ist als unsere Visitenkarte zu verstehen", so WHW.

Oben, unten, mittig, dazwischen

Das Vorhaben, den vorhandenen Raum intensiver zu nutzen, wurde erfüllt: Die Ausstellung zieht sich durch das Atrium, wo bereits zwei Videoarbeiten laufen, in den geziegelten Raum, der ansonsten kaum eine Verwendung fand, und durch alle Räume (oben, unten, mittig, dazwischen). Auch mit der Architektur der großen Halle geht die Ausstellung gut um: Früher oft verwaiste Raumecken werden jetzt sehr passend als abgetrennte Zimmer für Film- und Soundarbeiten genutzt. Die bis zur acht Meter hohen Decke reichende Arbeit von Alice Creischer fängt die Vertikale des Raums ein, während Vlatka Horvat Holzplanken auf wackelige Sessel legt und so die Horizontale nutzt. Darauf balancieren Früchte, Murmeln oder Glühbirnen. Eine Metapher für den Weltuntergang?

In dieser konzeptionellen und inhaltlichen Vielfalt vergisst man leider zwischendurch, worum es der Schau eigentlich geht. Was verbindet die einzelnen Arbeiten? Hier soll ein Booklet aushelfen, das kostenlos erhältlich ist und über alle gezeigten Positionen Auskunft gibt. Eine Strategie, die zwar (oft notwendige) Zusatzinformation liefert, aber nicht unbedingt die zugänglichste ist. Dafür darf vieles angegriffen und betreten, ja sogar die Wand bekritzelt werden.

Ein gelungenes Element, das auch die WHW-Ideologie zusammenfasst, ist ein großer Tisch inmitten des Ausstellungsraums. An diesen darf man sich setzen und auf meterlangem Papier Feedback und Fragen hinterlassen. Ob die Kunstblase so irgendwann platzen wird, muss abgewartet werden. Die Richtung stimmt aber schon einmal. (Katharina Rustler, 6.3.2020)