Konrad Paul Liessmann betont, dass beim neuen Ethikunterricht nicht vergessen werden darf, dass die Philosophie die Säkularität in der Ethik gewährleistet.

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An der Uni Wien wird es ab kommendem Herbst kein Bachelorstudium mehr für das Unterrichtsfach Psychologie und Philosophie (PP) geben. Rektorat und Senat haben die Auflassung dieser Studienrichtung beschlossen. Basis für die Entscheidung war eine "Bedarfsprognose" des Bildungsministeriums aus dem Jahr 2018, wonach es bis auf weiteres keine PP-Studierenden bzw. -Absolventen brauche. Der Philosoph Konrad Paul Liessmann war viele Jahre selbst in die Ausbildung der PP-Lehrerinnen und -Lehrer involviert.

STANDARD: Sie sind zwar offiziell seit 2018 im Ruhestand, aber dennoch bis Ende 2021 als Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Uni Wien aktiv. Was sagen Sie zum Aus für PP?

Liessmann: Ich bin ambivalent. Auf der einen Seite verstehe ich die Argumentation der Universität, die ja auch mainstreammäßig ist. Bei (Aus-)Bildungsfragen heißt es ja immer, man muss nach dem Nutzen fragen, danach, wie die Zukunftschancen der jungen Menschen, die wir entlassen, sind. Da muss man klar sagen, dass der Arbeitsmarkt für das Unterrichtsfach PP tatsächlich auf Jahre hinaus gesättigt ist. Außerdem ist es juristisch so, dass die Uni zwar für bestimmte Studienrichtungen Studienplatzbeschränkungen einführen darf, nicht aber für einzelne Lehramtsstudien. Ebenso ist gesetzlich das zeitweilige Aussetzen eines Studiums nicht gestattet, das heißt also: Entweder wir bieten dieses Lehramtsstudium PP an – oder eben nicht. Auf der anderen Seite bedauere ich zutiefst, dass die mit Abstand größte Universität des Landes mit einem bedeutenden philosophischen Institut, das sich mittlerweile auch international sehr viel Renommee erworben hat, keine Philosophielehrer mehr ausbildet.

STANDARD: Im Gegensatz zu den Unis Salzburg und Graz, die das weiterhin tun.

Liessmann: Ja. Dabei lautet ein politischer Stehsatz: Es sollen die Besten an die Schulen gehen und unterrichten, Bildung, Reflexion, kritisches Denken seien so wichtig, gerade in so einer Zeit ... Die Uni Wien müsste doch das Selbstbewusstsein haben, dass sie auch die beste Philosophielehrerausbildung anbieten kann.

STANDARD: Hätten Sie es besser gefunden, wenn die Politik statt "Sein oder Nichtsein" ermöglicht hätte, den Andrang über zeitweilige Zugangsbeschränkungen zu regulieren? Vermutlich ist es leichter, etwas wieder hochzufahren, als etwas, das einmal abgeschafft wurde, wieder einzuführen. In den letzten Jahren fingen in Wien jährlich 400 Personen ein PP-Bachelorstudium an, von denen viele aber schon jetzt Schwierigkeiten haben, einen Praktikumsplatz zu finden.

Liessmann: Natürlich wäre es angenehmer und wohl auch sinnvoller gewesen, mit guten Argumenten Zugangsbeschränkungen, wie sie andere Studien haben, einführen zu können.

STANDARD: Soll die Regierung das ändern?

Liessmann: Wenn möglich, ja. Auch die einzelnen Lehramtsstudien sollten flexibel reagieren können. Ich möchte dazu prinzipiell sagen, dass ich von Anfang an, seit die Lehramtsstudien auf das Bologna-Modell umgestellt wurden, dagegen war, das in der Form zu tun, wie wir es getan haben. Ich habe immer die Auffassung vertreten, dass es klüger wäre, allgemeinwissenschaftliche Ausbildungsgänge auf Bachelorniveau zu machen, die noch völlig offenlassen, ob sich jemand danach für die Wissenschaft, die Wirtschaft oder die Schule respektive Bildungsschiene entscheidet, und erst nach dem Bachelorstudium die Wahl zu offerieren, einen wissenschaftlichen Master oder einen Master of Education mit einer längeren Praxisphase an den Schulen anzuschließen. Jetzt ist es so, dass jemand, der sich für ein Lehramtsstudium entschieden hat, ab dem ersten Semester keine andere Berufschance mehr hat, als Lehrer zu werden, und wenn es dann keine Praktikums- oder Arbeitsplätze gibt, hat diese Person fünf, sechs oder sieben Jahre umsonst studiert. Das war verantwortungslos und ist auch fachlich nicht stimmig. Es kann doch niemand etwas dagegen haben, wenn sich zukünftige Lehrer vorerst einmal grundsätzliche Kenntnisse und wissenschaftliche Methoden aneignen, bevor sie deren didaktisch-pädagogische Anwendung ins Auge fassen. Ich habe das in allen Gremien und auch den damaligen Unterrichtsministerinnen gegenüber mit Vehemenz vertreten. Es ist ungehört verhallt.

STANDARD: Was also tun?

Liessmann: Es ist das erste Mal, dass eine Universität ein Studium auflässt mit einem arbeitsmarktpolitischen Argument. Das gibt es ja sonst nicht. Wir haben phasenweise ja auch viel zu viele Juristen oder Romanisten "produziert". Aber das war nie ein Argument gegen diese Studien. Dass PP abgeschafft wird, ist ein Signal dafür, dass wir Lehramtsstudien eher als Fachhochschulstudien sehen, die auf einen Arbeitsmarkt zugeschnitten sind. Wenn der Markt etwas braucht, bietet man es an, wenn er es nicht braucht, stellt man es wieder ein. Das spräche dafür – was ja auch diskutiert wurde –, die Ausbildung fürs Lehramt nicht, wie es jetzt der Fall ist, gemeinsam mit den pädagogischen Hochschulen durchzuführen, sondern vollständig an diese auszulagern.

STANDARD: Wären Sie dafür?

Liessmann: Nein, ich halte die derzeitige Form der Lehramtsausbildung für einen Irrweg. Ich bin überzeugt davon, dass in einer Wissensgesellschaft die Menschen, die an höheren Schulen unterrichten werden, eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung benötigen. Es muss das Ziel der Universität sein, so eine Ausbildung zu ermöglichen und zu garantieren. Der Lehrberuf ist für mich nicht nur ein Handwerk, nicht nur eine praxisorientierte Ausbildung. Auf der anderen Seite muss ich sagen: Wenn der Zeitgeist so ist, würde die Auslagerung an PHs wenigstens Klarheit schaffen.

STANDARD: Weil?

Liessmann: Dadurch würde eindeutig dokumentiert: Wir betrachten den Lehrberuf eher als einen sozialpädagogischen Beruf, eher als praxisnahe Ausbildungsschiene, eher als pädagogisches Kompetenztraining und nicht als eine Ausbildung, zu deren Kern eine anspruchsvolle, fachwissenschaftliche Expertise gehört. Wir haben jetzt eine seltsame Zwitterstellung der Lehramtsstudien zwischen Praxisnähe und Fachwissenschaft, was dann zu solchen Kalamitäten wie in PP führt. Wer weiß, ob das das einzige Beispiel bleibt.

STANDARD: Könnte der von ÖVP und Grünen ab Herbst 2021 geplante verpflichtende Ethikunterricht für "Religionsabmelder" und Konfessionslose ein Rettungsring werden?

Liessmann: Das ist kein Rettungsring, weil das Studium PP nicht für den Ethikunterricht qualifiziert. Wer PP studiert hat und Ethik unterrichten möchte, muss schon jetzt einen Hochschullehrgang oder einen Zertifikatskurs machen. Für diejenigen, die diese Zusatzausbildung absolvieren, werden sich die Chancen sicher erhöhen, wenn Ethikunterricht in den Oberstufen von AHS und BHS flächendeckend als alternatives Pflichtfach eingeführt wird.

STANDARD: Ist es Zufall, oder hat es die Philosophie in einer zunehmend marktliberalisierten Unilandschaft besonders schwer?

Liessmann: Die Philosophie als Philosophie war an der Uni Wien nie bedroht. Die Problematik betrifft die Frage, welche Rolle Philosophie an den Schulen spielen soll. Und das betrifft auch die Frage, welche Bedeutung ihr als Grundlagenwissenschaft für die Ethik zuerkannt wird. Es besteht die Gefahr, dass sich ein Begriff von Ethik und Ethikunterricht durchsetzt, der sehr viel mit Moralisieren, Weltreligionen, Interkulturalität, Jugendkulturen, Social Media, entwicklungspsychologischen Aspekten und Gesinnungsbekundungen zu hat und fast nichts mehr mit dem, was Ethik eigentlich ist: neben der theoretischen Philosophie die zweite große zentrale Disziplin der Philosophie. Das sollte man auch bei der Gestaltung des Ethikunterrichts ganz stark betonen, gerade wenn Ethik eine säkulare Alternative zum Religionsunterricht sein soll: Die Säkularität in der Ethik ist durch die Philosophie gewährleistet und nicht durch ein Sammelsurium von Weltanschauungen aller Art. Sachlich wäre ein Lehramtsstudium "Philosophie und Ethik", das mit einem Oberstufenfach "Philosophie und Ethik" korrespondierte, die angemessenste Lösung. Ich weiß, dass die legistische und politische Wirklichkeit eine andere ist. (Lisa Nimmervoll, 9.3.2020)