Stephan Hegyi wollte in Rabat starten, doch das Turnier wurde abgesagt. Und er wollte in Japan trainieren, doch auch das ist nicht möglich.

Foto: ÖOC/GEPA pictures/Christian Walgram

Die 32. Olympischen Spiele rücken quasi von Tokio aus noch weiter in die Ferne. Neben der Frage, ob sie wegen des Coronavirus und der diversen Reaktionen darauf überhaupt wie geplant ab 24. Juli stattfinden können, entsteht eine weitere Unsicherheit. Viele Sportarten mühen sich mittlerweile, die Qualifikationsnormen für Tokio auch nur halbwegs aufrechtzuerhalten. Weltweit werden immer mehr Sportevents abgesagt, bei denen es auch um Olympiatickets gehen sollte – sei es, weil eine Weltranglistenplatzierung die Norm ist, sei es, weil nationale Verbände eigene Richtlinien haben, sei es, weil mehrere Landsleute ums Dabeisein rangeln. Vieles ist längst durcheinandergeraten.

Man nehme, nur zum Beispiel, die schöne Disziplin Judo her. Japans Nationalsport würde bei den Spielen im Zentrum des Interesses stehen. Als das Coronavirus ausbrach, waren zunächst nur chinesische Judoka betroffen, die nicht mehr zu Turnieren oder auch Trainingslagern ins Ausland reisen durften. Mag sein, allein im Hinblick auf China hätte sich ein Ausweg gefunden. Die internationale Judo-Föderation (IJF) hätte wie andere Weltverbände Ausnahmen durchgesetzt und Teilnehmerfelder vergrößert.

Kein Training in Japan

Doch mit dem Virus sprang gewissermaßen auch der Bann auf andere Länder über, auf Südkorea, auf Italien, den Iran und so weiter und so fort. In Japan selbst sind mit der Sperre von Schulen und Universitäten auch die Sportmöglichkeiten stark eingeschränkt. Viele ausländische Judoka mussten Trainingslager in Japan canceln. Und dann wurde auch noch der am vergangenen Wochenende geplante Marokko-GP in Rabat kurzfristig abgesagt, ein richtig großes Turnier. Viele Judoka hatten sich vorgenommen, genau dort zu punkten und das Ticket nach Tokio abzusichern.

Um Plätze bei jenen Turnieren, die noch im Kalender stehen, herrscht ein echtes Griss. Viele Sportlerinnen und Sportler werden durch die Finger schauen, so stellt sich die Lage nicht nur im Judo dar. Müssen sich Weltverbände, muss sich das Internationale Olympische Comité (IOC) gar auf Rechtsstreitigkeiten gefasst machen? Der eine oder die andere Aktive könnte ja nachvollziehbar argumentieren, von völlig anderen Kriterien ausgegangen und ohne jegliche Qualifikationschance geblieben zu sein.

Beruhigungsstakkato

Vor den Kulissen ist Beschwichtigung angesagt, die Organisatoren wie die IOC-Granden um Präsident Thomas Bach betonen regelmäßig, dass die Spiele wie geplant stattfinden werden. Das Beruhigungsstakkato trägt zur Beunruhigung bei. Hinter den Kulissen, davon ist auszugehen, werden längst diverse Pläne für den Notfall gewälzt. Das IOC wird da nicht weniger professionell agieren als die Europäische Fußball-Union (Uefa), die im Hinblick auf die in zwölf Städten geplante EM (ab 12. Juni) "Pläne für alles" hat. Uefa-Präsident Alexander Ceferin sagte kürzlich: "Sie wissen nicht, wie viele Sorgen wir haben: Sicherheit, politische Stabilität, Virus. Wir kümmern uns darum, und wir sind zuversichtlich, dass wir damit umgehen können." Dahinter blieb IOC-Präsident Bach zurück, der nach einer IOC-Sitzung betonte, es sei "weder das Wort Absage noch das Wort Verschiebung gefallen".

Völlig neue Situation

Für die einzelne Sportlerin, für den einzelnen Sportler empfehlen sich solche Scheuklappen wahrscheinlich wirklich. Sie müssen ja tun, als ob nichts wäre, und sich, so gut es geht, aufs Training konzentrieren.

Österreichs hoffnungsvollster Judoka Stephan Hegyi legt Gelassenheit an den Tag, doch auch er hat mit neuen Gegebenheiten umzugehen. Der Wiener, der in der Klasse über 100 Kilogramm antritt und mit seinen 21 Jahren schon zweimal EM-Dritter war, wäre in Marokko angetreten und hätte vor den Spielen gerne auch noch in Japan trainiert. "Dort gibt es Partner en masse", sagt er am Rande einer Trainingseinheit in seinem Verein Hakoah, sein Coach Axel Eggenfellner ergänzt: "Für Stephan ist es wichtig, im Training an seine Grenzen zu kommen und diese zu verschieben."

Lage für Hegyi gut

Allein auf nationaler Ebene ist das kaum möglich, da gibt es vielleicht noch ein bis zwei andere Schwergewichte, die sich ab und zu mit Hegyi anlegen können und auch wollen. Demnächst kommt die heimische Elite, auch auf Betreiben von ÖJV-Präsident Martin Poiger, in Linz zum Training zusammen. Insgesamt hofft eine Handvoll heimischer Judoka auf die Olympia-Qualifikation. Hegyi muss sich relativ wenig Sorgen machen. Er liegt um Rang 15 in der Weltrangliste, 18 dürfen auf die Matte, pro Nation aber nur einer, so fallen einige weg, die vor ihm liegen. Auch Eggenfellner, der Hegyi seit Jahren trainiert, würde und will natürlich zu den Spielen reisen. Er baut darauf, dass der Judoverband (ÖJV) vom ÖOC für ihn eine Akkreditierung bekommt. Und er hofft, dass sein Schützling Hegyi das Ziel nicht aus den Augen verliert.

Als Ersatz für Rabat wäre der Grand Slam in Jekaterinenburg (ab 13. März) infrage gekommen. Doch so kurzfristig ließ sich Hegyis Antreten dort nicht organisieren. Nächster Stopp ist demnach der GP in Antalya (ab 3. April), in der Türkei soll danach auch ein OTC (olympisches Trainingscamp) stattfinden – halt ohne Chinesen, Iraner, Italiener, Südkoreaner, Japaner. Was aber, wenn sich die Ausbreitung des Virus in absehbarer Zeit nicht eindämmen lässt? Die vorolympischen Schicksalswochen rücken näher. (Fritz Neumann, 8.3.2020)