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Christine Lagarde muss sich als EZB-Chefin mit zwei neuen Entwicklungen auseinandersetzen: Dem Coronavirus und den jüngsten Verwerfungen am Ölmarkt.
Foto: REUTERS/Vincent Kessler

Christine Lagarde steht unter Zugzwang. Statt wie erhofft zu Beginn ihrer Amtszeit als Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) die Wogen des umstrittenen Lockerungspakets zu glätten, das ihr Vorgänger Mario Draghi hinterlassen hat, muss sie nun selbst tief in die geldpolitische Trickkiste greifen. Allerdings hat sie wenig Spielraum, Draghi hat die Möglichkeiten der EZB mit Minuszinsen und Anleihenkäufen schon fast bis zum Anschlag ausgeschöpft.

Dabei kommt Lagarde kurzfristig sogar ein Glücksfall zugute. Über das Wochenende haben das Ölförderkartell Opec und Russland sowie andere Ölexporteure nach drei Jahren ihre Kooperation zu Grabe getragen. Eine Zäsur am Ölmarkt, die zu einem dauerhaft tieferen Preisniveau führen sollte. Für Lagarde ist dies eine positive Nachricht. Ein tieferer Ölpreis wirkt zunächst wie ein Konjunkturpaket – und stützt somit die ohnedies nicht allzu brummende Wirtschaft in der Eurozone. Gerade einmal um 0,9 Prozent auf Jahressicht wuchs das BIP im Schlussquartal 2019, nun droht die schleppende Konjunktur durch das Coronavirus gänzlich zum Erliegen zu kommen.

Fallende Prognosen

Italien wurde bereits ein um 0,3 Prozent niedrigeres BIP vorhergesagt – wobei diese Prognose erstellt wurde, bevor am Wochenende Teile Norditaliens zur Sperrzone erklärt wurden. Für Österreich geht IHS-Chef Martin Kocher von 0,1 bis 0,3 Prozentpunkten weniger Wachstum aus, sofern die Zahl an Infektionen in Europa nicht noch deutlich steigt.

Bereits jetzt machen sich die Einschränkungen für Wirtschaftstreibende also stark bemerkbar, die Lagarde nun übrigens auch im eigenen Haus auslotet: Die EZB forderte ihre 3700 am Sitz in Frankfurt tätigen Mitarbeiter auf, am heutigen Montag von zu Hause aus zu arbeiten. Dabei handelt es sich jedoch nur um einen Testlauf, sollte es tatsächlich zu Infektionen in der Belegschaft kommen.

Neben höheren Strafzinsen und Anleihenkäufen soll die EZB an einem Paket für Unternehmen arbeiten.
Foto: EPA / Mauritz Antin

Unabhängig davon wird die EZB-Chefin bei der nächsten Zinsentscheidung am Donnerstag ihr geldpolitischen Scherflein beisteuern müssen, um die Krise zu entschärfen – wie es die US-Notenbank Fed in der Vorwoche mit der größten Zinssenkung seit der Finanzkrise vorexerziert hatte. An den Finanzmärkten gilt eine weitere Absenkung des Strafzinses für Einlagen von Banken um 0,1 Prozentpunkte auf minus 0,6 Prozent als abgemacht. Manche rechnen auch mit einer Ausweitung der monatlichen Anleihenkäufe um zehn auf 30 Milliarden Euro.

Firmen unterstützen

Allerdings will Lagarde dem Vernehmen nach vor allem Unternehmen helfen, denen die Viruskrise besonders zusetzt. Die US-Investmentbank JP Morgan Chase erwartet dazu zielgerichtete langfristige Geldspritzen für Banken, um die Kreditvergabe an diese Firmen anzukurbeln. Allerdings müsste die EZB laut JP Morgan dabei die Institute mit "sehr großzügigen" Anreizen locken, um die erhoffte Wirkung zu entfalten.

Gleichzeitig sollen auch höhere Staatsausgaben die Folgen des Coronavirus dämpfen. Dazu will Italien, das in der Vorwoche ein 7,5 Milliarden Euro schweres Paket für Familien und Firmen geschnürt hat, in der EU eine Aussetzung der Schuldenregeln und mehr Flexibilität für den Staatshaushalt erwirken. Die Kommission signalisierte bereits Entgegenkommen.

Milliardenhilfen

Auf globaler Ebene stellte der Währungsfonds, den Lagarde vor ihrem Wechsel in den EZB geführt hatte, Mitgliedsstaaten wegen des Coronavirus Finanzhilfen in Höhe von 50 Milliarden Dollar in Aussicht. Dazu kommen weitere zwölf Milliarden Dollar von der Weltbank, um vor allem ärmere Länder zu unterstützen.

Kurzfristig kommt der tiefe Ölpreis in der Corona-Krise also wie gerufen, auf längere Sicht könnte er der EZB noch Probleme bereiten. Saudi-Arabien will ab April mehr Erdöl fördern und es billiger verkaufen. Dem Hauptziel der Notenbank, die Teuerung auf knapp zwei Prozent zu hieven, würde ein weiter fallender Ölpreis aber schaden – zumal sich die Inflationserwartungen für die Eurozone schon zuvor auf Rekordtief befanden. Christine Lagarde könnte bald wieder unter Zugzwang geraten. (Alexander Hahn, 9.3.2020)