Es gibt noch viel zu tun in Richtung Gleichstellung. Die gute Nachricht: Einstellungen sind wandelbar.

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Ein oft gehörtes Fazit zum Internationalen Frauentag ist, dass sich in punkto Geschlechtergerechtigkeit schon viel getan habe, aber noch immer viel zu tun sei. Auch auf die Politik trifft das zu. Derzeit sind knapp 40 Prozent der Abgeordneten zum Nationalrat weiblich, die Bundesregierung ist sogar mehrheitlich von Frauen besetzt. Traditionelle Männerdomänen wie das Verteidigungs- und das Wirtschaftsministerium werden von Frauen geleitet.

Hinter diesen Entwicklungen steht ein langfristiger Wertewandel. Die gesellschaftlichen Rollenbilder im Jahr 2020 sind andere als noch 1990 und erst recht andere als 1960. Aber wie funktioniert dieser Wandel? Dafür gibt es im Grunde drei unterschiedliche Erklärungsansätze (die auch allesamt gleichzeitig vorliegen können):

  • Alterseffekte sind die Unterschiede, die durch individuell spezifische biologische oder soziale Prozesse, die mit dem Altern einhergehen, entstehen (etwa, wenn alle Menschen im Lebensverlauf konservativer oder liberaler würden, unabhängig vom Zeitpunkt der Geburt oder externen Einflüssen).
  • Kohorteneffekte rühren daher, dass unterschiedliche Generationen in unterschiedlichen Entwicklungsphasen unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt sind (etwa, wenn jede Geburtenkohorte etwas liberalere Einstellungen hätte, diese aber für jedes Individuum im Lebensverlauf konstant blieben).
  • Periodeneffekte gehen auf Ereignisse oder Umstände zum Zeitpunkt der Datenerhebung zurück, die auf alle Befragten zutreffen (zum Beispiel, wenn man Umfragen vor und nach dem Aufkommen der #MeToo-Bewegung macht und die Befragten einmal mehr und einmal weniger konservative Antworten geben).

Nun können Alterseffekte allein aber noch keinen Wertewandel über die Zeit erklären. Wenn alle Jungen liberale Einstellungen hätten und mit zunehmendem Alter konservativer würden (oder umgekehrt), dann würde das im Aggregat noch keine Einstellungsveränderung über die Jahrzehnte auslösen. Umgekehrt können Periodeneffekte nicht erklären, warum jüngere und ältere Menschen sich zum selben Zeitpunkt in ihren Einstellungen unterscheiden. Kohorteneffekte wiederum können uns nicht sagen, warum dieselben Geburtsjahrgänge mit 20 Jahren anders ticken als mit 40.

Um diese verschiedenen Mechanismen etwas aufzudröseln, werden hier Daten aus Befragungen der European Values Study von 1990 und 2018 verwendet – aufgeschlüsselt nach Geburtsjahrgängen. Es handelt sich allerdings nicht um Paneldaten – das heißt, es wurden nicht dieselben Personen zu den beiden Zeitpunkten befragt.

Im Umfragejahr 1990 stimmten 71 Prozent der Geburtsjahrgänge 1920 bis 1939 folgender Aussage zu: "Ein Beruf ist gut, aber was die meisten Frauen wirklich wollen, ist ein Heim und Kinder". Die Jahrgangskohorte 1960 bis 1979 stimmte derselben Aussage zum selben Zeitpunkt nur zu 51 Prozent zu. Ein ähnliches Gefälle zeigt sich für die Umfrage 2018: Ältere Kohorten haben deutlich traditionellere Einstellungen als jüngere.

Betrachtet man die beiden Umfragen isoliert, dann ist ein möglicher Schluss, dass sich Wertewandel durch Generationenaustausch (=Kohorteneffekte) vollzieht. Später geborene Menschen haben weniger traditionelle Einstellungen, und selbst wenn individuelle Einstellungen im Lebensverlauf konstant bleiben, verlieren traditionellere Rollenbilder im Lauf der Zeit an Bedeutung.

Das ist aber nicht alles, wie ein Vergleich derselben Kohorten über die beiden Umfragen hinweg zeigt. So weisen die Jahrgänge 1940 bis 1959 im Befragungsjahr 1990 noch eine Zustimmungsrate von knapp 60 Prozent auf, im Jahr 2018 aber nur mehr 42 Prozent. Auch für die in den 1930er und 1940er geborenen fällt die Zustimmung zwischen 1990 und 2018 um 12 Punkte (von 71 auf 59 Prozent), für die Jahrgänge 1960 bis 1979 sinkt sie von 51 auf 33 Prozent.

Diese Verschiebungen innerhalb einer Jahrgangsgruppe zwischen zwei Befragungszeitpunkten können nicht auf Kohorteneffekte zurückgeführt werden. Anders gesagt: Generationenaustausch kann logischerweise nicht der Grund dafür sein, dass dieselben Kohorten 2018 deutlich weniger traditionelle Einstellungen aufweisen als 1990.

Ein Teil der Erklärung muss also sein, dass Leute ihre Einstellungen im Zeitverlauf ändern. Ob es sich dabei um Alters- oder Periodeneffekte handelt (oder eine Kombination von beidem), lässt sich mit den hier präsentierten Daten nicht letztgültig klären. Wesentlich ist aber der Schluss, dass Einstellungen wandelbar sind – und dass die Verschiebungen innerhalb einer Generation über die Zeit ähnlich groß sein können wie die Unterschiede zwischen Generationen zu einem Zeitpunkt. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 8.3.2020)