In der Unterwäsche des Wiener Labels Miyagi lässt sich bequem Zähne putzen.

Foto: Anna Breit / H&M Naomi Gugler

Umkleidekabine, Verkaufstheke, eine Wand, voll behängt mit Unterwäsche. Astrid Bleier reichen wenige Quadratmeter Raum aus, um Bralettes und Höschen zu verkaufen. In ihrem Geschäft "Amour Fou" nahe der Wiener Barnabitenkirche ist Platz für Nischenware.

"Vor zehn Jahren sind Frauen noch zu Agent Provocateur gegangen und haben sich was Unbequemes für den Mann gekauft. Heute besorgen Frauen Lingerie für sich selbst", meint Bleier.

Zumindest mache sie diese Beobachtung unter ihren Kundinnen: Vor vier Jahren hat die ausgebildete Theaterwissenschafterin ihren Shop im sechsten Wiener Gemeindebezirk eröffnet, im vorletzten Jahr kam eine zweite Filiale in der Herrengasse dazu. Die Unternehmerin hat sich auf fair und nachhaltig gefertigte Unterwäschemarken spezialisiert, darunter viele österreichische Labels wie thezoo oder Eden Garments.

Schlicht und bunt: Bra vom österreichischen Label the Zoo
Foto: the zoo

Wenn man so will, lassen sich an ihrem Sortiment die Umwälzungen auf dem Unterwäschemarkt ablesen: Mit der Absage der Victoria’s-Secret-Show im vergangenen Jahr wurde auch die Ära des Push-up-BHs eingeleitet. Das wiedererwachte Interesse an Wäsche weiß eine neue Generation an Labels für sich zu nutzen, viele erteilen der uniformen, hochgeschobenen Brust eine Absage.

Der veränderte Geschmack schlägt sich im Angebot von Bleiers Shop nieder. "Ich führe nur noch ein Modell mit Bügel", erklärt die Geschäftsinhaberin. Sie beobachtet, dass "der Busen nicht mehr so uniform inszeniert wird: Die französischen Hersteller machen einen Spitzbusen, die deutschen bevorzugen meist eine runde Form."

Auch wenn es das Ideal des perfekt gebauten Hunkemöller-Babes (früher Sylvie Meis, heute Doutzen Kroes) noch gibt, der Zeitgeist ist im Wandel. Und mit ihm die Darstellung weiblicher Körper in der Werbung. "Frauen haben es satt, Bilder, die den männlichen Blick auf den weiblichen Körper spiegeln, immer wieder zu sehen", auch dank Instagram sei ein neues Bewusstsein entstanden, vermutet Bleier.

Mit Dehnungsstreifen

Seit Rihanna 2017 ihr Unterwäschelabel Savage x Fenty gegründet hat und vorführt, dass Unterwäsche sich mit Dehnungsstreifen, Dellen und Körpern so ziemlich jeder Größe, jeder Herkunft und jeden Alters am besten verkauft, springen auch der österreichische Wäschehersteller Palmers oder das Wiener Label Miyagi auf den Zug auf.

Hauptsache bequem: Miyagi macht Wäsche ohne Schnickschnack.
Foto: Anna Breit / H&M Naomi Gugler / Ausstattung von Vintage Shop: Arian Alexander Common

Palmers warb mit dem Spruch "Jede Figur ist eine Bikinifigur", Miyagi produziert statt Spitzenunterwäsche Bodywear für Männer und Frauen. "Wir sind mit Wäsche von Agent Provocateur aufgewachsen. Meist hat man den unbequemen BH zu Hause schon wieder ausgezogen", erinnern sich Veronika Beck und Maria Neffe von Miyagi. "Heute empfinden sicherlich noch viele Frauen einen stehenden Busen als Schönheitsideal. Doch selbst auf dem relativ langsamen österreichischen Markt beobachten wir eine Entwicklung hin zu natürlichen Formen und zu Body-Positivity", sagen die beiden.

Das ist nicht allzu verwunderlich. Unter dem Schlagwort lässt sich derzeit besonders gut Unterwäsche verkaufen. Kaum ein Hersteller, der nicht teilhaben will an der frohen Botschaft: Im Februar veranstaltete die Vorarlberger Wäschemarke Skiny in Wien das "Every Body In. Festival", einen "Tag im Zeichen von Body-Positivity".

Die Grenzen zwischen Swim-, Body- und Sportswear sind fließend: Das Label Margaret und Hermione bewirbt seine Produkte mit diversen Models.
Foto: Anna Breit/ Margaret and Hermione

Neue Wäsche-Unternehmen

Tatsächlich lässt sich beobachten, dass in den vergangenen Jahren auffällig viele Unterwäsche-Labels aufgepoppt sind. Allein in Wien haben sich mehrere neue Wäsche-Unternehmer, meist Frauen, selbstständig gemacht.

Eines dieser jungen Lingerie-Unternehmen heißt Körbchen. Elisabeth Leitner und Victoria Lohninger haben in der Franzensgasse in einem ruhigen Eck des fünften Wiener Gemeindebezirk einen eigenen Shop eröffnet: An den Wänden hängt die Spitzenunterwäsche, ins Eck drückt sich ein Sofa, hinter der geräumigen Umkleidekabine stehen die Nähmaschinen. Leitner und Lohninger legen hier nach wie vor selber täglich Hand an.

Elisabeth Leitner und Victoria Lohninger produzieren die Wäsche für ihr Label Körbchen im fünften Wiener Gemeindebezirk

Unter der Woche rattern die Maschinen bereits ab sieben Uhr morgens, noch bevor um elf Uhr der Shop öffnet. Rund 70 BHs entstehen so in einer Woche. Die beiden Wäschemacherinnen beziehen ihre Materialien aus Überproduktionen, "aus Dresden, wo es noch kleine Manufakturen gibt, die Spitze kommt aus Frankreich, Gummis aus Italien".

"Wir haben von Anfang an BHs ohne Bügel gemacht. Zuerst musste man das allen erklären. Nur die jungen Frauen haben’s gleich kapiert." Mittlerweile ist Aufklärung nicht mehr nötig. Selbst männliche Kunden, unter ihnen vor allem jene unter 40, seien gut informiert, wenn sie das Wäschegeschäft von Körbchen betreten, beobachtet Victoria Lohninger: "Jüngere Männer wissen, was ihre Freundin gerne anzieht, und kennen ihre Größe."

Was nach einer Selbstverständlichkeit klingt, ist alles andere als das. Die meisten Kundinnen kommen aber sowieso selbst, Wäsche ziehen Frauen heute für sich selbst an. (Anne Feldkamp, RONDO, 3.5.2020)

Hinweis: Dieser Artikel wurde vor dem Lockdown geschrieben und erschien im RONDO vom 13.3..