Uhrmacher Peter Stastny sieht Geschäfte wie seines vom Aussterben bedroht. Er nimmt's gelassen.

Foto: Nathan Murrell

"Ich wollte immer schon Uhrmacher werden. Meine Eltern führten einen Branntweiner in Kaisermühlen, der zuvor meinen Großeltern gehörte. Das war mir viel zu laut. Ich hab lieber meine Ruh'. Darum stehe ich allein in meinem kleinen Geschäft für Uhren und Schmuck in der Pilgramgasse im fünften Wiener Gemeindebezirk. Ein größeres hätte ich auch gar nicht gewollt. Vor Jahren hatte ich einmal einen Ferialpraktikanten, der meinte, eh schon alles zu wissen. Darum hab ich ihn jeden Tag zum Spazierengehen in den Park geschickt.

Natürlich erfordert mein Job viel Geduld und Konzentration. Wenn man eine Uhr fünfmal in alle Einzelteile zerlegen muss, bis man den Fehler findet, sollte man kein Heißläufer sein. Da darf der Geduldsfaden kein dünner sein. Geduld erfordert außerdem die sogenannte Erdkunde. So nenne ich es, wenn mir ein Teil hinunterfällt. Jeder Uhrmacher verbringt genauso viel Zeit unter wie auf dem Tisch. Manche Teile sind wirklich winzig klein. Klar kommt mir da hin und wieder ein 'Scheiß drauf' aus. Eine Uhr kann fünf bis sechs Stunden in Anspruch nehmen, in einer guten Woche komme ich auf zehn Reparaturen.

Wenn es nicht auf Anhieb klappt, lege ich die Uhr zur Seite und widme mich einstweilen anderen Aufgaben. Vor allem komplizierte Großuhren zähle ich nicht zu meinen besten Freunden. Also: Geduld, Konzentrationsfähigkeit und logisch denken zu können lauten die Fähigkeiten, die ein Uhrmacher besitzen sollte. Darum waren früher oft Priester und Mönche Uhrmacher. Die verfügten auf jeden Fall über die nötige Zeit.

Zeit ist Zeit

Ich philosophiere nicht viel über das Thema Zeit. Zeit ist Zeit und gehört zu meinem Beruf. Basta. Um 18 Uhr sperre ich zu und denke danach keinen Moment mehr ans Geschäft. Von 12 bis 14 Uhr ist geschlossen, da sitze ich bei meinem Wirten zum Mittagessen und plaudere mit Bekannten oder geh auf die Post.

Nach Feierabend werde ich nicht angerufen, und das Internet kann mir auch schnurz sein. Es klingt eigenartig, aber ich teile mir gewisse Tage ein, an denen ich im Geschäft bin, aber nichts tue. Ich frühstücke dort ein zweites Mal, setz mich hin und lese ein Buch. Wenn Kundschaft kommt, lege ich das Buch natürlich schon zur Seite.

Ich mache diesen Job seit 1983, vor 21 Jahren habe ich mich selbstständig gemacht. Damals habe ich das Geschäft meiner Tante übernommen. Leider werden solche Geschäfte aussterben. Ich denke generell, dass der Einzelhandel in dieser Form eingehen wird. Stattdessen gibt's dann nur noch Einkaufsstraßen und das Internet. Auch meine Branche wird langsam, aber sicher vom Onlinehandel verschluckt. Diese Entwicklung wirkt sich auf ganze Grätzeln aus. Ich finde das schade. Aber was soll's? Ist halt so.

Ich verkaufe keine Uhren um zigtausende Euro. Meine Stücke kann sich im Prinzip jeder leisten. Mir will es einfach nicht in den Kopf, warum manche Leute Unsummen für eine Uhr ausgeben. Was hat ein Konsument davon, wenn er eine Uhr besitzt, die es nur fünfmal auf der Welt gibt? Er kann sie ja noch nicht einmal tragen. Außerdem sieht auch er nur ein Gehäuse und ein Zifferblatt. Den meisten ist doch das Werk eh egal, und es zählen nur mehr die Marken. Ich betrachte meine eigene Uhr lediglich als Gebrauchsgegenstand. Der Umsatz mit Schmuck macht übrigens ungefähr die Hälfte meines Geschäfts aus.

Nathan Murrell fotografierte den Uhrmachermeister Peter Stastny in seinem Geschäft im 5. Wiener Bezirk.
Foto: Nathan Murrell

Die Geduld gegenüber Kunden ist auch so ein Kapitel. Ich habe eine Kundschaft, eine gute Kundin, die sehr viel bei mir anfertigen lässt. Noch nie hat ihr irgendetwas auf Anhieb gepasst. Wirklich noch nie. Früher war mein Geschäft eine Art Sozialzentrum. Vor allem ältere Menschen kamen zum Plaudern und fragten mich um Rat. Eine Frau hat mich einmal gefragt, ob sie sich scheiden lassen soll. Das ist vorbei. Auch schade, oder?

Neulich kam ein Vater mit seinem Kind, um eine Uhr auszusuchen. Der Vater sagte: 'Such dir was aus, aber die eine dort nimmst nicht.' Die eine war natürlich die teuerste, und genau die wollte das Kind. Generell habe ich den Eindruck, dass Männer mehr auf den Preis und Frauen eher auf das Aussehen eines Stücks achtgeben. Eine junge Kundin hatte ich, die kam sechsmal, um etwas umzutauschen. Bis ich auf die Rechnung schrieb: 'kein Umtausch'.

Alles muss immer geschwinder gehen. Daran gebe ich auch der Werbung Schuld und dem Bedürfnis, dass man immer alles sofort haben möchte. Dauerte eine Reparatur früher zehn Tage, war das okay. Heute will der Kunde sie am liebsten gleich am nächsten Tag. Was mein Wesen betrifft, verkaufe ich nach der alten Schule unter dem Motto 'Der Kunde ist König'.

Wäre ich heute noch einmal jung, ich glaube nicht, dass ich noch einmal in dieser Branche landen würde. Aber noch macht es mir Spaß. Sonst würde ich es nicht tun. Aber noch etwas zur Geduld: Ich denke, jeder Mensch muss Geduld haben, egal ob er Journalist ist und ein Interview führt oder jemand als Parksheriff tätig ist. Was glauben Sie, was der sich im Laufe eines Tage alles anhören muss? Nein, danke. Geduld ist eine Frage der Ausgeglichenheit. Wenn du nicht zufrieden mit dir bist, hast auch keine Geduld. So einfach ist das." (Michael Hausenblas, RONDO, 2.6.2020)

* Hinweis: Dieser Artikel wurde vor dem Lockdown geschrieben und erschien im RONDO vom 15. März in einer Schwerpunktausgabe zum Thema Geduld.