Kleine Momente, große Wirkung: Wie man das Abnehmen schafft und nicht in alte Gewohnheiten zurückfällt.

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Es war nur ein kurzer Moment beim Schuhe zubinden: Im Spiegel sah ich mein schnaufendes Pendant mit hochroter Gesichtsfarbe. Dass ich erhöhten Blutdruck habe, wusste ich, dass sich abdominelles Fett um meine Hüften angesammelt hatte, auch. Doch beim Anblick meiner selbst in diesem Spiegel wusste ich, dass ich mein Image, ein eben gemütlicher Zeitgenosse zu sein, ablegen wollte. Ich nahm mein Schicksal wieder einmal in die Hand. Ich, ein übergewichtiger Medizinjournalist, wollte meine Kilos loswerden.

Was bis dahin passiert war: Alle Diäten waren bei mir so gut wie gescheitert. Der Grund: Es klappt nicht, Menschen fremde Ernährungsweisen überzustülpen. Das habe ich selbst oft erlebt. Zunächst arrangiert man sich, doch bald sickern vertraute Ernährungsmuster durch. Zudem: Selbstbestimmte Menschen lassen sich ungern in ihr Leben reinreden. Ich hatte die Radikaldiät ausprobiert, ein unsinniger Ausbruch von Verzweiflung. Wer kaum Vitamine und Mineralstoffe zu sich nimmt, ist nicht nur gesundheitsgefährdet, sondern auch heißhungrig. Das ist die größte Hürde, die man bei der guten, alten Friss-die-Hälfte-Diät bewältigen muss; die zweite ist der Jo-Jo-Effekt (siehe Kasten).

Hungerperioden simulieren

Dann probierte ich das Intervallfasten aus. Der rhythmische Wechsel zwischen normaler Nahrungsaufnahme und Fasten hat viele Anhänger. Die Methode fußt auf der Überlegung, dass unsere Vorfahren ständig mit Mangel konfrontiert wurden. Das Intervallfasten ahmt Hungerperioden im Miniaturformat nach, das zwingt den Organismus, auf die eigenen Reserven zurückzugreifen. 16:8 ist die Methode, also acht Stunden essen, 16 fasten, wobei ich das Abendessen früh ansetzte und auf das Frühstück verzichtete.

Bei der 5:2-Methode gilt das gleiche Prinzip. Hier darf an fünf Tagen gegessen werden, worauf man Lust hat. An zwei (nicht aufeinanderfolgenden) Tagen werden geringe Nahrungsmenge angestrebt. Ein Vorteil der verschärften "10 in 2"-Variante ist ihre Schlichtheit. An einem Tag darf einfach alles gegessen werden, was auf dem Tisch ist, in den darauf folgenden 24 Stunden ist nur erlaubt, was zuckerfrei durch den Strohhalm gezuzelt wird. Ich scheiterte kläglich am Intervallfasten! An den Tagen, an denen sich das Abendbrot auf dem Tisch türmte, konnte ich blödeln, an allen anderen schleppte ich mich ins Bett, um die Mini-Hungersnot zu beenden.

Welt der Ketonkörper

Alsbald war ich dort, wo viele Übergewichtige stranden, im Niemandsland zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Wer hier rausmöchte, braucht keine Tipps von Facebook, sondern von Fachleuten mit maßgeschneiderten Ernährungsplänen, die gesundheitliche Risikofaktoren berücksichtigen. Mein guter Geist wurde der Arzt David Gabriel, mit dem ich meine misslungenen Diäten besprach. Er könne mir helfen, sagte er, mein Fett in Muskelmasse zu verwandeln, "Premio Life" heißt sein Unternehmen, mit dem er Österreich zur adipositasfreien Zone machen will.

Zunächst erfuhr ich einiges über Ketonkörper. Wer fastet, setzt darauf, den Insulinspiegel im Blut zu senken, denn ein regelmäßig hoher Insulinspiegel macht den Menschen dick, alt und krank, während ein niedriger Pegel das Risiko von Diabetes mellitus und kardiovaskulären Krankheiten senkt. Wer weniger Kohlenhydrate zuführt, schüttet auch wenig Insulin aus, infolgedessen zieht der Organismus dann Fettgewebe zur Energiegewinnung heran. So werden Ketonkörper als bevorzugte Energielieferanten gebildet, die überdies das Gehirn versorgen.

Das ketogene Verhältnis spiegelt den Fettanteil in Relation zu den Protein- und Kohlenhydratanteilen in der Nahrung wider. Es liegt bei der Keto-Diät bei 4:1 (etwa 0,3 zu 1 bei normaler Ernährung). Buchstäblich kein Zuckerschlecken, denn bei einer vorgegebenen Gesamtkalorienzahl pro Tag muss das Verhältnis bei jeder Mahlzeit strikt eingehalten werden. Zudem sollte diese Diätform von einem Experten begleitet werden, da verdeckte Stoffwechselstörungen auftreten könnten. Die Herausforderung der ketogenen Diät ist die Disziplin. Die Nahrungsaufnahme im Alltag gestaltet sich kompliziert. Das war der Punkt, an dem diese Diät für mich fast gestorben wäre. Wer möchte zum kargen Mahl mit einem Taschenrechner anrücken?

Doch David Gabriel hat seine Fasten-Roadmap, wie es der Softwareentwickler ausdrücken würde, benutzerfreundlich gestaltet. Neben Listen, die dank eines Ampelsystems kohlenhydratreduzierte Kost (Low-Carb) ausweisen, bietet er Fertiglebensmittel sowie ein Zeitmanagement nach ketogenem Prinzip an.

Nahrungskonzepte dieser Art müssen ausgeklügelt sein. Zum einen sollten die richtigen Lebensmittel gegessen werden, zum anderen aber jene Dinge nicht verboten sein, die Übergewichtige gern essen. Ich durfte weiterhin Schokoriegel, Palatschinken und Chips essen, allerdings bestehen die Gummibären aus Fischgelatine, und die Schokolade hat einen Kakaoanteil von 85 Prozent. Gewöhnungsbedürftig, aber wer würde bei einer Alternative zu Wasser und Magerjoghurt jammern? Zudem ist die Kost, die in Minuten zubereitet werden kann, mit Proteinen angereichert, denn bei karger Kost schüttelt sich der Organismus die Energie nicht nur aus den Fettpölsterchen. Er holt sie sich zuerst aus dem leichter zu mobilisierenden Proteindepot im Muskel.

Energie für die Muskeln

Studien zeigen, wie dynamisch der muskuläre Stoffwechsel abläuft. Damit sich Muskelprotein bildet, ist nicht nur Training vonnöten, sondern – bei Untrainierten wie mir – ein hoher Eiweißpegel im Blut. Wer nun denkt, man könne sich Muskelmasse beliebig anfuttern, hat nur bedingt recht. Da Muskeln erheblich Energie verbrennen, geizt die Natur mit Muskelpaketen. Dennoch kann ein halbwegs aktiver Mensch dank Eiweißnahrung verhindern, bei einer Fastenkur Muskelgewebe zu verlieren. "Dies ist einer häufigsten Fehler bei der Low-Carb-Diät. Die meisten kennen nicht das muskelschützende Potenzial proteinreicher Nahrung", sagt Gabriel, "wobei man vorzugsweise auf pflanzliche Proteinquellen setzen sollte, nicht nur aus Nachhaltigkeitsgründen". Die gute Nachricht dazu: Eiweiß in hohen Dosen schädigt die Nieren nicht, wie Studien zeigen, vorausgesetzt man trinkt genug.

Nach den ersten Gesprächen mit Gabriel war ich startklar. Ich hatte das nötige Wissen, war neugierig und hatte kohlenhydratarme Snacks eingesackt. Zudem war mir klar, dass Bilder von mir selbst eine große Wirkung auf meine Entschlossenheit haben. Ich wurde auf eine Waage gestellt, die Bilder von mir machte, die bioelektrischen Impedanzanalyse (BIA) sollte für den Erfolg meines Abnehmens sehr wichtig sein. Das BIA-Gerät misst neben Muskel- und Fettanteile vor allem auch deren Verteilung, Protein- und Mineralgehalt, metabolisches Alter, Körperumfang. Und so nebenher zeigt dieses Gerät auch den Wert, der im Laufe der Diät immer unwichtiger wurde: das Gewicht. Die Technik hätte mich fasziniert, wäre ich nicht vom Ergebnis der Analyse so entsetzt, das mir meine heimlichsten Problemzonen schonungslos vor Augen führte.

Der Schock über das rot gekennzeichnete Fett, das meine Eingeweide umschlang und einen immensen Risikofaktor darstellt, wurde meine Triebfeder beim Abspecken. Jede BIA offenbarte immer wieder von neuem die kleinen Fortschritte, die normalerweise unsichtbar bleiben, weil der Fettverlust durch den Muskelaufbau kaschiert wird. Bei jedem Besuch wurde mein Erfolg farbenfroh dokumentiert. Das Rot verlor seine Dominanz, färbte sich dezent grün, bis die Waage nach drei Monaten ein Minus von 25 Kilogramm zeigte. Heute fühle ich mich so fit wie vor 25 Jahren, tauschte meine Garderobe aus und begeisterte mich für eine neue Sportart.

Mein Fazit

Ich behaupte nicht, den heiligen Gral des Abnehmens entdeckt zu haben, doch pickte ich aus vielen Diäten jene raus, die meinen persönlichen Ansprüchen entspricht. Freilich kann man eine Abmagerungskur als einsamer Wolf durchziehen, ich war froh, einen Experten an meiner Seite zu haben, der mich in schwierigen Zeiten beriet. Zudem brachte ich mich auch sozial unter Druck: Ich erzählte überall herum, dass ich schlanker werden will, und wich so auch Essenseinladungen aus. Ein Scheitern hätte mich also auch sozial sehr geschmerzt.

Ich habe es geschafft. Der alte Trott liegt hinter mir, ich habe mein Leben geändert. Heute gönne ich mir durchaus lukullische Mahlzeiten, aber nur maßvoll. Denn eines sollte eine Diät, egal wie erfolgreich sie ist, niemals sein: eine Begleiterin fürs Leben. (Raoul Mazhar, 10.3.2020)