Rom – Die Regierung in Rom erklärt ganz Italien zur Sperrzone. 18 Tage nachdem der erste Coronavirus-Infektionsfall in Italien bestätigt wurde, schottet sich das Land ab. Die drastischen Einschränkungen bei der Reisefreiheit, die am Sonntag für die schwer betroffene Lombardei und 14 norditalienischen Provinzen verhängt wurden, werden jetzt auf ganz Italien ausgedehnt.

Ministerpräsident Giuseppe Conte hat am Montagabend ganz Italien zur "geschützten Zone" deklariert. Damit bleiben auch die Bildungseinrichtungen bis 3. April geschlossen.
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Der italienische Premier Conte kündigte eine Verordnung mit dem Slogan "Ich bleibe zu Hause" an, die er am Montagabend verabschiedete und am Dienstag in Kraft treten wird. Italiener werden nicht reisen und das Land verlassen dürfen, Ausnahmen sind nur bei nachgewiesenen dringenden beruflichen oder familiären Verpflichtungen und in gesundheitlichen Notfällen vorgesehen. Conte selbst sprach von einer "Schutzzone". Wer sich an die Maßnahmen nicht hält, wird strafrechtlich verfolgt.

Ganz Italien "geschützte Zone"

Versammlungen im Freien sollen verboten werden. Schulen, Kindergärten und Universitäten bleiben bis zum 3. April geschlossen. Bei den öffentlichen Verkehrsmitteln soll es zu keinen Beschränkungen kommen. Man wolle somit den Menschen erlauben, zur Arbeit zu gehen, erklärte der Premier bei einer Pressekonferenz in Rom. Sportliche Veranstaltungen sollen ganz ausgesetzt werden.

Conte erklärte, die 20 italienischen Regionen seien mit den beschlossenen Maßnahmen einverstanden. Die öffentliche Gesundheit habe über alles den Vorrang. Daher seien die Bürger zu Opfern und zur Änderung ihres Lebensstils aufgerufen. "Dies ist Zeit der kollektiven Verantwortung. Wir müssen alle auf etwas verzichten. Wir werden die Epidemie besiegen, wenn wir noch drastischere Maßnahmen zum Schutz unserer Bürger ergreifen. Wir schaffen keine 'rote Zone', sondern ganz Italien wird zur geschützten Zone", erklärte der 55-jährige Regierungschef.

Conte, der sich mit der EU-Kommission auf zusätzliche Defizitflexibilität in der Größenordnung von 7,5 Mrd. Euro zur Eingrenzung der negativen Auswirkungen der Coronavirus-Epidemie auf die italienische Wirtschaft geeinigt hat, will von Brüssel noch mehr Spielraum fordern. "Wir denken an die Möglichkeit, Brüssel eine höhere Forderung zu stellen", sagte Conte. Die Regierung hatte vergangene Woche ein Maßnahmenpaket mit wirtschaftsstützenden Maßnahmen verabschiedet.

Zahl der Infizierten steigt, "Patient 1" genesen

Der parteilose Premier verurteilte die Revolten, die aus Protest gegen die wegen der Epidemie ergriffenen restriktiven Maßnahmen in 27 italienischen Gefängnissen ausgebrochen sind. Die Regierung werde sich um höchste Vorsichtsmaßnahmen in den italienischen Strafanstalten bemühen. Revolten, Insassenflucht und Verwüstungen seien jedoch nicht tolerierbar, sagte Conte.

Auf den italienischen Flughäfen soll weiterhin mit Thermoscanner die Temperatur der Passagiere gemessen werden. Eine Aufhebung des Schengen-Abkommens, das Reisefreiheit ohne Grenzkontrollen in der EU garantiert, hat die Regierung Conte immer wieder ausgeschlossen. Die Einschränkungen würden demnach die Reisen der Italiener betreffen. Einreisen nach Italien werden zudem kontrolliert, erklärte Conte.

Der lombardische Präsident Attilio Fontana begrüßte die jüngsten Maßnahmen der Regierung Conte, er meinte jedoch, sie seien angesichts der eskalierenden Coronavirus-Infektionen noch ungenügend. "Die Zahlen zu den Infektionsfällen sagen uns, dass die Epidemie noch wächst. Das bedeutet besonderen Druck auf das Gesundheitssystem. Nur mit der Einhaltung noch strengerer Regeln können wir diese Epidemie überwinden", so Fontana.

Die europaweit beispiellosen Maßnahmen wurden von der Regierung ergriffen, nachdem auch am Montag die Zahl der Coronavirus-Opfer weiterhin drastisch gestiegen ist. Innerhalb eines Tages erlagen 97 Menschen der neuartigen Lungenkrankheit. Damit stieg die Zahl der Todesopfer auf 463. Die Zahl der Infizierten kletterte auf 7.985, am Sonntag waren es noch 7.375.

Zu den 724 Genesenen zählt inzwischen auch der "Patient 1", der erste am Coronavirus infizierte Italiener. Am Montag konnte er aus der Intensivstation des Krankenhauses der lombardischen Stadt Pavia entlassen werden und atmet jetzt selbstständig. Der 38-jährige Manager des Konzerns Unilever hatte sich wahrscheinlich im Krankenhaus der lombardischen Stadt Codogno angesteckt. Sein Zustand war von den Ärzten als kritisch bezeichnet worden. Er war mit seiner im achten Monat schwangeren Frau ins Spital eingeliefert worden, die inzwischen genesen ist.

Verwunderung über Zahlen

Die hohe Sterblichkeitsrate in Italien hat zuletzt für Aufsehen gesorgt. Italien zählte bis zum Montagabend 7.985 Coronavirus-Infizierte, von denen 463 gestorben sind. Das entspricht einer Sterblichkeit von 5,8 Prozent. Die Italiener wundern sich allerdings über Deutschlands Corona-Zahlen. Deutschland kam bis Montagmittag auf 1.112 Fälle – bei nur zwei Toten. Das ergibt eine Mortalität von 0,2 Prozent. Die Sterblichkeit bei Coronavirus-Infektionen liegt in Deutschland somit um das 25-Fache unter derjenigen Italiens. Am Gesundheitszustand von Italienern und Deutschen kann die Differenz nicht liegen: Laut dem Bloomberg Global Health Index leben Italiener deutlich gesünder als Deutsche. Steckt bei den extrem tiefen deutschen Zahlen vielleicht System dahinter?

Genau dies haben sich die Europa-Abgeordneten der postfaschistischen Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) von Giorgia Meloni gefragt und eine entsprechende Anfrage eingereicht. "Wie ist es möglich, dass ausgerechnet in dem Land, wo erstmals in Europa das Virus festgestellt wurde, die Menschen quasi immun sind?", wollen die rechten Italiener von der EU-Kommission wissen. Und geben die Antwort selbst: "Es besteht der Verdacht, dass man in Deutschland zwar an Covid-19 erkrankt und stirbt, aber dass dies die Behörden nicht wissen – oder dass sie es nicht sagen", heißt es.

Einheitliche Standards gefordert

Ihren Verdacht untermauern Melonis Abgeordnete auch mit Zahlen aus Spanien oder Frankreich, wo die Sterblichkeitsrate bisher bei etwa zwei Prozent liegt. Um die Zweifel auszuräumen und um europaweit vergleichbare Angaben zur Zahl der Infizierten und der Mortalität zu erhalten, fordern die Brüder Italiens die Einführung einheitlicher Standards und Protokolle für die Tests bei Verdachts- und bei Todesfällen in den 27 EU-Staaten. In Spanien habe sich etwa bei nachträglichen Tests bei Toten herausgestellt, dass die Todesursache nicht, wie zunächst angegeben, eine normale Grippe war, sondern Covid-19, schreiben die italienischen Europaparlamentarier.

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Die Sperrzone in Norditalien wurde am Montagabend auf das ganze Land ausgeweitet.
Foto: Anteo Marinoni/LaPresse via AP

In Italien, so viel steht jedenfalls fest, sind europaweit bisher am meisten Personen getestet worden – und es werden auch Post-mortem-Tests durchgeführt. Eine Analyse der ersten 104 Todesfälle hat ergeben, dass mehr als zwei Drittel der untersuchten Verstorbenen an mindestens zwei mehr oder weniger lebensbedrohlichen Vorerkrankungen gelitten haben. Etliche hätten auch ohne Infektion nicht mehr lange gelebt – oder sie hätten das Virus überlebt, wenn sie nicht schon schwer erkrankt gewesen wären. Auch diese Todesfälle werden in Italien mitgezählt.

Der Präsident des deutschen Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, geht davon aus, dass sich die Zahl der Todesfälle angleichen werde. "Wir werden natürlich in Deutschland auch in der älteren Bevölkerung Todesfälle haben", sagte Wieler. In Italien seien oft bereits schwer erkrankte ältere Menschen auf den Erreger getestet worden. In Deutschland dagegen seien auch viele jüngere Menschen zu einem frühen Zeitpunkt getestet worden, bei denen eine Ansteckung sonst vielleicht gar nicht aufgefallen wäre. (Dominik Straub aus Rom, red, 9.3.2020)