Natürlich fragte eine der Frauen dann, was ich hier suche. Höflich. Freundlich. Aber doch mit jenem Unterton, der signalisiert, dass man jetzt besser mit einer Erklärung als einer Wuchtel rüberkommt.

Ich verstehe das. Und finde das gut: Als Mann hat man in den Teamcontainern des Frauenlaufes nämlich nix zu suchen. In den Umkleidecontainern sowieso und grundsätzlich nicht. Und eigentlich auch nicht in jenem Container, in dem Ilse Dippmann jeden Mittwoch gegen 18 Uhr ihre Trainerinnen brieft: Wenn wo "Frauenlauf" draufsteht, sollte schließlich auch Frauenlauf drin sein. Und wenn ich vieles bin: Eine Frau bin ich nicht.

Foto: Tom Rottenberg

Trotzdem war ich da. Vergangenen Mittwoch um 18 Uhr im Prater – beim Stadionparkplatz. Nicht als "Partycrasher", sondern angemeldet und offiziell: Ein paar Tage zuvor hatte Ilse Dippmann, die Veranstalterin des "Asics Österreichischer Frauenlauf", nämlich zur Pressekonferenz geladen. Zum einen, um eine neue Homepage, das Motto und die Testimonials des diesjährigen, 33., Frauenlaufes (er findet am 17. Mai statt) zu präsentieren. Zum anderen, um den Startschuss der diesjährigen "Du kannst das auch, wenn du nur willst"-Trainingssaison zu verkünden. Offizieller Titel: "Fit in 11 Wochen". Denn eines der Assets der Megaveranstaltung, bei der jedes Jahr weit über 30.000 Frauen und Mädchen im Prater rennen, ist die Niederschwelligkeit: jenes grundlegend positive "#MeToo", mit dem Dippmann seit Jahren (eigentlich Jahrzehnten) Empowerment betreibt.

Foto: Tom Rottenberg

Auch weil sie Laufen als Metapher einsetzt: Zuerst kommt die Steigerung des Selbstwertgefühls über das Erreichen eines Zieles. Dann wird das – nicht zuletzt über das Gruppengefühl – auf andere Bereiche des Lebens übertragen: "Wenn ich diese fünf (oder zehn) Kilometer laufen kann, schaffe ich auch noch ganz andere Dinge."

So banal das klingt – es funktioniert. Und wenn es nur eine einzige Frau oder ein einziges Mädchen gibt, für die der Zusatz "Ohne dass mir ein Mann davor, dabei oder danach die Welt erklärt, meine Performance bewertet oder relativiert oder mir beim Laufen nicht von der Pelle rückt, weil er auf meinen Hintern gafft" dabei wichtig ist, haben der Event und all das Women-only-Drumherum schon ihre Berechtigung.

Foto: Tom Rottenberg

Bevor jetzt jemand ruft "Women only? Du bist doch selbst mitgelaufen!": Stimmt. Ich war 2017 dabei. Ganz offiziell: Als Begleitläufer der blinden Skifahrerin Veronika Aigner: Vronis Mutter hatte zu spät nach einem Guide gesucht und in der Eile keine Frau gefunden, die es sich zugetraut hätte, die damals 15-jährige Leistungssportlerin in einem so dichten Feld sicher zu begleiten.

Natürlich war es anfangs seltsam, als einziger Mann zwischen 35.000 Frauen in einer deklarierten Frauenveranstaltung zu laufen. Aber die Rollenzuteilung war klar und transparent – und nach dem ersten fragenden Blick für niemanden ein Problem: Die Frauen feuerten Veronika an, und nur das zählte. Im Jahr darauf suchte Veronikas Mutter früher – und fand eine Begleitläuferin. Gut so.

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Zurück in die Gegenwart. Lauftrainingstreffs und Vorbereitungsläufe gibt es mittlerweile bei vielen großen Laufevents. In Österreich hatte der Frauenlauf da aber eine zentrale Vorreiterfunktion. Weil es in (fast) ganz Österreich regelmäßig Lauftreffs gibt, bei denen Frauen langsam und kontinuierlich auf den "großen Lauf" vorbereitet werden. Mittlerweile gehen die Lauftreffs in die 24. Saison – und derzeit lädt der Österreichische Frauenlauf an 54 Standorten (52 in Österreich, zwei in Bratislava) regelmäßig zum kostenlosen Training. Insgesamt sind 140 Instruktorinnen als Frauenlauftrainerinnen aktiv.

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Trainiert wird (beinahe) das ganze Jahr über. Aber um speziell Rookies, also Frauen, die zum ersten Mal einen Bewerb rennen, die Vorbereitung leichter zu machen, gibt es auch strukturierte Pläne im Netz. Und rund drei Monate vor dem Frauenlauf beginnt dann ein Trainingsplan im "echten Leben", der Frauen in zwölf (heuer in elf) Wochen fit für den Bewerb machen will. Niederschwellig: "Auch du schaffst das", lautet die Botschaft. Vergangenen Mittwoch startete Ilse Dippmann genau dieses Programm – und ich nutzte die Gelegenheit dazu, wieder einmal eine Geschichte über das Frauenlauf-Lauftraining im Prater zu erzählen.

Foto: Tom Rottenberg

Obwohl: Eigentlich muss man das mit eigenen Augen sehen. (Nicht nur, weil Gopro-Fotos aus der Hand beim Laufen bei diesem Licht eher … lassen wird das.) Ich kann jedenfalls nur jedem und jeder raten, sich das mit eigenen Augen anzusehen. Treffpunkt ist jeden Mittwoch kurz nach 18 Uhr auf der Hauptallee beim Stadionparkplatz.

So weit, so unspektakulär – schließlich treffen sich genau hier die ganze Woche über zig Gruppen. Nur zählt kaum eine mehr als zehn, vielleicht 15 Personen. Beim Frauenlauf ist das aber anders. Ganz anders.

Foto: Tom Rottenberg

Denn Dippmann schickt hier jede Woche über 20 Trainerinnen auf die PHA (zehn 5-Kilometer- und zehn 10-Kilometer-Gruppen plus jeweils zwei Walking- und Girl-Gruppen). Jede Trainerin bereitet ihre Schützlinge auf gestaffelte Zielzeiten vor. Und außer zwei oder drei wirklich superschnellen Tempogruppen ("10 Kilometer in weniger als 40 Minuten" schaffen nicht viele Normalo-Läufer, egal ob Mann oder Frau) zählt kaum ein Trupp weniger als 25 Köpfe.

In Summe und wenn das Wetter nur halbwegs passt, sagt Ilse Dippmann, stünden da regelmäßig rund 400 Frauen. (Und: Nein, Männer dürfen auch im Gruppentraining normalerweise nicht mitspielen.)

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Die Hauptallee ist dann voll. Richtig voll. In der Praxis hat es sich bewährt, dass die Gruppen, in denen die 5-Kilometer-Läuferinnen unterwegs sind, vom Stadion Richtung Lusthaus laufen, und die 10-Kilometer-Aspirantinnen Richtung Praterstern.

Da die Trupps unterschiedlich schnell sind und eine Stunde lang Runden laufen, begegnet man einander immer wieder – und so nett und lustig das auch ist, funktioniert das nur diszipliniert: rechts halten. Keine Hunde. (Nein, auch nicht an der Leine). Keine BegleiterInnen am Rad – und beim Wenden zweimal schauen: Die Hauptallee wird auch von anderen Sportlerinnen und Sportlern genutzt – und derzeit ist es um halb sieben Uhr am Abend eben schon richtig dunkel.

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Wobei es "Runden laufen" nicht wirklich trifft: Natürlich hätte es auch einen Trainingseffekt, wenn einfach eine Stunde gemeinsam im jeweils richtigen Tempo- und Belastungsbereich gejoggt würde. Nur wäre das ein bisserl gar einfach. Deshalb laufen die Frauen hier meist Intervalle – und zwar geführt. Der Vorteil liegt auf der Hand: Intervalle sind, wenn man sie ernsthaft rennt, richtig zaach. Vor allem dann, wenn man (so wie vergangenen Mittwoch eben Frau) 14-mal 400 Meter in etwas schnellerem als dem angestrebten Wettkampftempo runterbrettern soll. Und das gleichmäßig, auf Ich-schaffe-alle-Durchgänge-Anschlag – aber ohne sich abzuschießen.

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Mit einer Pacerin und im richtigen Leistungsblock geht das aber leichter. Zum einen, weil sich die Pacerin ums Tempo kümmert und es immer einfacher ist, im Rudel mitzuhalten, als selbst auf Pace, Belastung, Distanz und – ganz wichtig – auch auf die Pausenzeit zu achten.

Zum anderen, weil man dabei auch gleich lernt, wie flottes Laufen in einer Gruppe funktioniert: wie rasch man da Allianzen schließt, wie wichtig und "uplifting" es ist, nicht nur das richtige Tempo zu finden, sondern auch in der richtigen Frequenz zu laufen. Weil Synchronität tatsächlich dabei hilft, Kräfte zu sparen. Ganz abgesehen vom Ansporn, den gemeinsames Lachen gibt.

Foto: Tom Rottenberg

Natürlich kam dann, nachher, die Frage, ob all das nicht auch genauso gut in gemischten Gruppen möglich wäre. Ob Frauen heute wirklich noch immer "Reservate" bräuchten, um zu sich und ihrem (sportlichen) Selbstbewusstsein zu finden, an oder über ihre Grenzen zu gehen – oder als Sportlerinnen überhaupt wahrgenommen zu werden.

Und ob das "Women only"-Ding Männern gegenüber mittlerweile nicht doch auch ein bisserl unfair sei.

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Eine mögliche Antwort auf diese Frage gab bei der Frauenlauf-Pressekonferenz ein paar Tage vor dem Trainingslauf die TV-Sportreporterin Elisabeth Auer, als sie ein paar Zahlen in die Runde warf: In Österreich waren 2018 etwa 2,1 Millionen Menschen in Sportvereinen organisiert – 1,3 Millionen Männer und 800.000 Frauen. Schaut man sich die Vorstände an, lässt sich das Ungleichgewicht aber nicht einmal mehr mit dem lahmen "Na vielleicht machen Männer halt mehr Sport" erklären: Von 229 Vereinsvorständen waren 203 Männer – und 26 Frauen. Und in Österreichs Sportredaktionen beträgt der Frauenanteil laut Auer derzeit 9,52 Prozent.

Foto: Tom Rottenberg

Zur Sichtbarkeit von Frauen im Sport verwies die Journalistin dann auf Zahlen und Berechnungen amerikanischer TV-Sender: Ja, der Fokus auf Frauen im Spitzensport ändere sich. Heute werde viel mehr über Frauen im Sport berichtet. Und wenn dieser Trend im gleichen Tempo weitergeht, wird irgendwann tatsächlich der Tag kommen, an dem Frauen im Sport genauso viel Sendezeit und Aufmerksamkeit haben wie Männer: in etwa 200 Jahren. (Thomas Rottenberg, 11.3.2020)

www.oesterreichischer-frauenlauf.at

Nachtrag: Dieser Text wurde am Montag, also vor dem "Corona-Aus" für alle größeren Veranstaltungen geschrieben. Dienstagabend erklärten die Veranstalter dann auf Nachfrage dass "aus heutiger Sicht das morgige (Mi, 11.3.) Training stattfinden wird. Wir haben mit allen Trainerinnen Rücksprache gehalten, weil wir niemanden zwingen wollen und können, etwas zu tun. Die Trainerinnen kommen – und es sind zu dieser Jahreszeit ja auch selten mehr als 400 Teilnehmerinnen da. Der Frauenlauf selbst ist derzeit – von den Absagen noch nicht betroffen. Wir wissen aber natürlich nicht, ob sich das nicht schon in den nächsten Stunden oder Tagen ändern wird."

Foto: Tom Rottenberg