Was wie eine Szene aus einem Horrorfilm klingt, ist in einem französischen Labor Realität: Forscher der Universität Bordeaux haben ein Garn entwickelt, das sich aus menschlichen Hautzellen herstellen lässt. In einer Machbarkeitsstudie zeigten die Wissenschafter um Studienleiter Nicolas L’Heureux, wie das biotechnologische Material in der Medizin eingesetzt werden könnte.

Genau genommen handelt es sich dabei nicht direkt um menschliche Zellen, sondern um die extrazelluläre Matrix. Das ist eine Struktur aus Proteinfasern und langkettigen Zuckermolekülen, die von den Zellen des Bindegewebes abgesondert wird und den Raum zwischen ihnen einnimmt. Sie ist für die Festigkeit und Struktur von Geweben verantwortlich.

Das Matrix-Garn lässt sich auf Spulen wickeln und eingefroren aufbewahren.
Foto: Nicolas L’Heureux

Körpereigene Textilien

Einige Wochen lang ließen die Forscher aus menschlicher Haut isolierte Bindegewebszellen in einem Nährmedium wachsen, bevor die Zellen selbst durch Trocknen abgetötet wurden. Zurück blieb eine Schicht extrazellulärer Matrix, die sich, in Streifen geschnitten und gedreht, zu einem Faden verarbeiten ließ. Der Faden lässt sich flechten, verknoten, häkeln, stricken und sogar weben.

Aber wozu ist das gut? Da sich das Fadenmaterial auch in der extrazellulären Matrix des Körpers befindet, wird es, im Gegensatz zu synthetischem Material, vom Körper nicht als fremd erkannt. Membran-Implantate, die in der Medizin beispielsweise zum Verschließen von Blutgefäßen verwendet werden, können vom Immunsystem angegriffen und vom Körper abgestoßen werden. Dabei kann es zu einer Einkapselung des Implantats kommen, was seine Funktionalität behindert.

Durch das Verweben mehrerer Fäden erhält man komplexe Strukturen wie künstliche Blutgefäße.
Foto: Nicolas L’Heureux

Kaputte Adern reparieren

Die Forscher testeten das neue Material, indem sie eine Wunde mit dem Matrix-Faden zunähten. Er erwies sich als haltbar und wurde ohne Entzündungsreaktion in das umliegende Gewebe integriert. "Unser Hauptziel ist es, mit dem Garn Elemente herzustellen, mit denen sich verletzte Blutgefäße ersetzen lassen", erklärt L'Heureux.

Der Vorteil des Fadens liegt darin, dass Eigenschaften der hergestellten Stoffe durch die Art der Verarbeitung bestimmt werden können, je nachdem wie stabil oder flexibel die Struktur sein soll. Die Wissenschafter woben aus mehreren Fäden ein Röhrchen, das sie in die Halsschlagader eines Schafes einsetzen. Die reparierte Ader war dicht und hielt dem Blutdruck stand. Im Beobachtungszeitraum wurde der Stoff nicht abgebaut, eine Langzeituntersuchung steht allerdings noch aus. (Friederike Schlumm, 14.3.2020)