Ein Schiff des türkischen Militärs und eines der türkischen Küstenwache patrouillieren in der östlichen Ägäis nahe der Insel Lesbos.

Foto: AFP / Louisa Gouliamaki

An der Einfahrtsstraße zur antiken Stadt Assos steht ein blau-roter Bus. Die türkische Gendarmerie überwacht genau, wer hier die Küstenstraße hinunterfährt. Flüchtlinge und Migranten werden nicht mehr durchgelassen. Assos, wo im vierten Jahrhundert vor Christus Aristoteles lebte und heute noch die Säulen eines griechischen Tempels die Skyline prägen, war in den letzten Jahren Ausgangspunkt von zehntausenden Menschen, die von hier aus mit Schlauchbooten die paar Kilometer nach Lesbos hinüberfuhren.

Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Ende Februar ankündigte, dass die Grenzen zu Griechenland nun offen seien – obwohl das natürlich nur für die türkische Seite galt –, stiegen auch wieder vermehrt Migranten und Flüchtlinge in die schwarzen Gummiboote, nachdem sie von Schmugglern auf einen der Strände in der Nähe von Assos gebracht worden waren, und fuhren – meist nachts – hinüber auf die Insel. Am Mittwoch bekräftigte Erdoğan abermals, dass die Türkei die Grenzen zur EU weiter offen halten werde und verglich das Vorgehen der griechischen Behörden mit Verbrechen der Nazis. Zwischen dem, was die Nazis gemacht haben, und diesen Bildern an der griechischen Grenze bestünde "gar kein Unterschied".

Assos wurde übrigens etwa 1.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung von Lesbos aus gegründet. Wenn man am Kai neben den Fischerbooten Platz nimmt und hinüber nach Lesbos blickt, sieht man sogar die Lichter in den Häusern des Küstenortes Skala Sikaminea. Die EU ist hier zum Greifen nahe, und diese Nähe erzeugt verständlicherweise Sehnsüchte. Es ist so ähnlich, als würde man vom Leopoldsberg aus den Stephansdom sehen oder von der einen Seite des Bodensees auf die andere. Man kann sich sogar in die griechischen Mobilfunknetze einloggen. Auch der Name Assos wird weiterhin von den Einheimischen verwendet, obwohl der Ort heute auf Türkisch offiziell Behramkale heißt.

Küstenwache kontrolliert

Als das Meer einmal sehr ruhig war, haben es Flüchtlinge sogar geschafft, mit einem Tretboot hinüberzustrampeln. Doch nun bestätigen die Leute im Gasthaus unterhalb des Amphitheaters, dass hier keine Migranten mehr sind. "Die Strände rund um Assos sind für Überfahrten von Migranten geschlossen. Hier werden keine Flüchtlinge mehr auf die Boote gelassen, und wenn sie es trotzdem versuchen, dann holt sie die Küstenwache herunter", meint Ali M., ein freundlicher Kellner aus Istanbul, der hier in einem Hotel arbeitet. Er erzählt, dass "vor zwei Wochen die Strände für Abfahrten ein wenig offen waren". Nun sei das aber ganz anders.

Erdoğan machte im Vorfeld seines Besuchs in Brüssel nämlich ein Zugeständnis und wies die Küstenwache an, Überfahrten auf die griechischen Inseln zu unterbinden. Auf Lesbos kamen zwischen dem 2. und dem 8. März tatsächlich nur 141, auf Chios 136 und auf Samos 93 Personen an. Auf der türkischen wie auch auf der griechischen Seite des Golfs von Edremit – die Grenze verläuft in der Mitte – sind Boote der Küstenwache zu sehen, die eine weiße Gischtspur hinter sich lassen.

Frontex-Schiff unterwegs

Vor Lesbos ist ein langes graues Boot auszumachen. Ein britisches Schiff patrouilliert unter dem Union Jack schon seit geraumer Zeit für die EU-Grenzschutzagentur Frontex vor der Küste. Aber nicht nur die Kontrollen wirken. Seit die Türkei Griechenland mit einem massiven Flüchtlingszustrom drohte, hat Athen das Asylrecht ausgesetzt. Deswegen werden Flüchtlinge, die auf die Inseln gelangen, im Hafenareal – auf Lesbos und Chios – abgeriegelt. Wohl auch deswegen kommen bereits seit einer Woche kaum mehr Flüchtlingsboote an.

Das Meer liegt vor Assos ruhig und unaufgeregt im Märzregen. An der Küstenstraße sind hohe Radargeräte zu sehen, auch Satelliten werden zur Überwachung eingesetzt. Die Anlagen sind ein Zeichen des hohen Ausmaßes an Kontrolle, die der Staat hier hat. Die Spuren der großen Migrationsbewegungen von 2015 und 2016 sind indes zwischen den rotbraunen antiken Mauern, den blühenden Büschen und Kuhweiden rund um Assos gut sichtbar.

Neben den Wegen zum Meer liegen rosa, blaue, schwarze Kleidungsstücke, die der Regen in der Erde vergrub. Auch die zurückgelassenen Rucksäcke, Schlapfen und Plastikflaschen am Strand dokumentieren die hastigen Reisen Zehntausender, im scharfen Kontrast zur Beständigkeit der Akropolis von Assos. (N. N.* aus Assos/Behramkale, 11.3.2020)