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Der Tourismussektor ist für mehr als ein Zehntel der Wirtschaftsleistung Italiens verantwortlich. Der Einbruch wirkt sich bereits aus.

Foto: AP/Medichini

Wien – Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Dieser wahre Satz gilt umso mehr, wenn ein neuartiges Virus die europäischen Volkswirtschaften durcheinanderwirbelt. Die Ökonomen des unabhängigen Londoner Research-Hauses Capital Economics fassten die aktuelle Unsicherheit am Dienstag so zusammen: Die eigenen Vorhersagen seien derzeit "mehr Kunst denn Wissenschaft".

Einzig die Richtung scheint klar zu sein: Es geht abwärts. Bei Capital Economics erwartet man bereits eine kurze, aber harte Rezession in der Eurozone aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus und der Reaktionen darauf. Die Wirtschaftsleistung im Währungsraum soll demnach heuer um 1,2 Prozent einbrechen. Noch im Jänner war ein Wachstum von 0,7 Prozent erwartet worden.

Einbruch bis Juni

Am stärksten treffen die Turbulenzen Italien. Die Abriegelung des Landes, die Absage diverser Großveranstaltungen und natürlich vor allem der Einbruch im Tourismussektor führen bereits zu einem Kollaps der ohnehin schwächelnden Konjunktur. Die Ökonomen der Raiffeisenbank International (RBI) erwarten für heuer eine Rezession in Italien und einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von 1,3 Prozent. Die Rezession dürfte zunächst kräftig ausfallen. Ab Mai sollte es besser werden, ab Juni dürfte die italienische Wirtschaft wieder zulegen, sagt der RBI-Analyst Matthias Reith. Freilich ist die zentrale Annahme hinter dieser Einschätzung, dass sich die Zahl der Neuinfizierten in Italien ähnlich entwickelt wie in China, also bald zu sinken beginnt.

Ehe dies geschieht, lautet die entscheidende Frage: Hält Italien den Absturz aus? Konkret also, ob es zu einer Neuauflage der Eurokrise kommt. Die italienische Volkswirtschaft gilt ja als das große Sorgenkind der Eurozone. Die Arbeitslosenquote ist die dritthöchste im Währungsraum und liegt bei fast zehn Prozent. Bei den unter 25-Jährigen hat fast jeder Dritte keinen Job. Die Staatsverschuldung beträgt 134 Prozent der Wirtschaftsleistung. Und Italien gilt als "too big to save": Es ist schwer vorstellbar, was die übrigen Euroländer tun könnten, um Italien aufzufangen, sollte das Land straucheln.

Zu groß für Notkredite

Für Notkredite, wie Griechenland und Irland sie bekommen haben, ist das Land einfach zu groß. Der Schuldenstand liegt aktuell laut Nationalbank in Rom bei über 2.440 Milliarden Euro. Allein heuer muss Italien 200 Milliarden Euro an Krediten refinanzieren, weil alte Darlehen auslaufen. Sprich: Sollten die Zinsen für Rom zu steigen beginnen, würde das für Italien schnell zu extrem hohen Kosten führen und den Schuldenberg rapide wachsen lassen.

Ökonomen erwarten allerdings aktuell keine neue Eurokrise, was mehrere Gründe hat: Dank der Europäischen Zentralbank (EZB) sind die Zinsen im Euroraum extrem niedrig. Die EZB kauft nach wie vor Staatsanleihen von Euroländern und drückt damit die Zinskosten für alle Staaten. Die Coronavirus-Turbulenzen sind nicht spurlos an Investoren vorübergegangen. Banken, Versicherungen und Fonds verlangen von Italien aktuell etwas höhere Zinsen als noch vor zwei Wochen. Doch Italien zahlt für einen Kredit über zehn Jahre 1,4 Prozent Zinsen. Das Land refinanziert sich extrem günstig.

Zudem sind die früheren Schulden des Landes im Schnitt immer noch höher verzinst: Laut dem RBI-Analysten Reith liegt die Zinslast auf bestehende Verbindlichkeiten Roms bei über zwei Prozent. Sprich: Italien senkt seine Zinslast real nach wie vor, wenn das Land alte Schulden gegen neue eintauscht.

Schuldenrekord

Die Rezession wird sich natürlich dennoch auswirken. Italiens Schuldenstand, gemessen an der Wirtschaftsleistung des Landes, wird weiter ansteigen als ohnehin prognostiziert und sich der 140-Prozent-Marke nähern. Zu einem Problem für das Land dürfte das aber erst werden, wenn die Zinsen einmal steigen sollten. Für die EZB wird damit ein Ausstieg aus ihrer ultralockeren Geldpolitik langfristig deutlich schwieriger, zumindest wenn sie Italien nicht in den Bankrott treiben will.

Eine andere Herausforderung betrifft den Bankensektor, die zweite Achillesferse Italiens neben der hohen Verschuldung. Die Ökonomen von Capital Economics rechnen mit einem Anstieg der faulen Kredite. Durch den Ausnahmezustand werden mehr Unternehmen und mehr Haushalte Probleme dabei bekommen, ihre Kreditraten zu bezahlen. Vor allem in der Tourismus- und Unterhaltungsbranche dürfte es zu vermehrten Firmenpleiten kommen, erwartet Capital Economics. In Julisch Venetien spricht sich die Regionalregierung bereits für die Schließung aller Geschäfte und Lokale aus. Ausnahmen soll es nur für Supermärkte und Apotheken geben.

Unternehmen gefährdet

Viele Firmen werden das nicht überstehen. Die gute Nachricht lautet, dass die italienischen Kreditinstitute besser auf eine Krise vorbereitet sind als noch 2008, schreiben die Ökonomen der Capital Economics. Die Banken haben mehr Eigenkapital, um Verluste aufzufangen. Die EZB steht bereit, um die Institute mit Notkrediten zu versorgen. Je länger der Ausnahmezustand andauert, umso mehr Firmenpleiten wird es geben. (András Szigetvari, 11.3.2020)