Und plötzlich sitzt man daheim in der Isolation oder gar Quarantäne fest und muss sich irgendwie die Zeit vertreiben. Anita Landgrafs Antwort auf die Langeweile ist augenscheinlich. Sie baumelt an ihrem rechten Ohrring herunter: ein roter Spielwürfel. Landgraf ist Chefin der Wiener Spieleagentur White Castle. Diese sucht Ideen für Gesellschaftsspiele, setzt diese um und vermittelt sie an Verlage weiter. Wie der Weg einer Idee in die Schachtel im Verkaufsregal aussieht und wie das Coronavirus diesen beeinflusst, erklärt Landgraf dem STANDARD.

Umkämpfter Markt

Die Spielebranche ist ein umkämpfter Markt. Manche Spiele seien nach Weihnachten, dem Höhepunkt der Saison, in der Fülle der Neuerscheinungen schnell wieder vergessen. "Wir schießen uns gegenseitig ab", sagt Landgraf. Daher verbucht sie es bereits als Erfolg, wenn sie jährlich mehr Spielen auf den Markt verhilft, als gleichzeitig heruntergenommen werden. 2019 waren es insgesamt 18 Stück, vom Karten- bis zum Brettspiel.

Wer eine Audienz bei White Castle bekommen will, benötigt nicht nur eine Idee, sondern auch einen Prototyp. Dessen grafische oder technische Umsetzung muss noch nicht perfekt sein. Es reicht etwa, das Spielbrett auf einen A3-Bogen Papier aufzumalen oder ein paar ausgedruckte Seiten zusammenzukleben. "Man muss sich vorstellen können, wie das Spiel funktioniert."

Anfängerfehler

Genau das wird danach getestet – im Normalfall. Denn aufgrund der Coronakrise liegt der Testbetrieb aktuell brach, etwa der montägige Spieleautorinnenstammtisch in der Spielbar im achten Wiener Bezirk.

Bei erfahrenen Ideengebern reichen ansonsten manchmal zehn Durchgänge, bei anderen wird der Prototyp mitunter 150-mal ausprobiert – und werden mögliche Anfängerfehler aufgedeckt. Klassisches Beispiel: wenn der Testspieler etwa sage, dass das Erlebnis ganz nett, aber immer das Gleiche sei. "Viele Erfinder denken sich dann: 'Na gut, dann bau ich Ereigniskarten ins Spiel ein.' Aber damit löse ich im Normalfall nicht das Grundproblem, das anscheinend repetitive Spielprinzip. Je mehr Pflaster ich draufpicke, desto weiter entferne ich mich von meiner Grundidee."

Die Spieleagentur sucht Ideen für Gesellschaftsspiele, setzt diese um und vermittelt sie an Verlage weiter. Und dazwischen wird viel getestet, ausgenommen in Corona-Zeiten.
NelaPichl

Ein anderes Beispiel: wenn die Testspieler nicht so spielen, wie sich das der Erfinder vorgestellt hat. "Viele wollen dann eingreifen", sagt Landgraf. Das würde das Ergebnis aber nur verfälschen, daheim im Wohnzimmer könne der Erfinder ja auch nicht dabei sein. Die Ideengeber sollten das Feedback vielmehr nützen, um Verbesserungen durchzuführen. Nicht immer ist das aber möglich: So sah etwa ein Würfelspiel vor, dass Kinder die Würfel in einer bestimmten Reihenfolge werfen sollten. Irgendwann habe dann ein Bub vorgeschlagen, dass man doch stattdessen einfach alle Würfel gleichzeitig würfeln und die Punktzahlen addieren könnte. "Wenn das lustiger ist als die Grundidee, stimmt irgendetwas nicht. Das war dann auch der Todesstoß für den Prototyp. Wenn es nix wird, sehe ich das für gewöhnlich schnell", sagt die 36-Jährige.

Aktuell konzentriere man sich auf die immaterielle Vorarbeit: "Mit den Kunden online Kontakt halten, Spielanleitungen schreiben oder Prototypen gestalten." Einige davon liegen im Zwei-Zimmer-Büro im Museumsquartier. Überall kugeln Spielkartons herum, bereits veröffentlichter Spiele oder solcher, die darauf abzielen.

Langer Weg

Bei einer vielversprechenden Idee dauert es mindestens ein Jahr, bis das Spiel auf den Markt kommt. Bei Johannes Krenners "Age of Dirt: A Game of Uncivilization" waren es sogar deren acht. Ein Worker-Placement-Spiel, in dem man pro Runde nur eine begrenzte Anzahl an Zügen hat. Dafür schickt man seine Spielfiguren – Arbeiter – herum, um ein Dorf aufzubauen. Das Problem: Die Arbeiter sind dumm. Soll einer etwa im Wald Steine holen, kann es sein, dass er stattdessen in die Berge geht und mit Kraut zurückkommt. Diese Idee lag mehrere Jahre bei Verlagen herum, ehe sie doch noch verwirklicht wurde. White Castle sieht sich durchaus als Spezialisten fürs Hintertürl, also für Spiele, die nicht unbedingt sofort einen Abnehmer finden.

Anita Landgraf leitet die Wiener Spieleagentur White Castle.
KarolinPernegger

Die meisten Erfinder scheitern deshalb am eigenen Sitzfleisch. "Manche sagen, dass sie das Spiel nicht noch ein viertes Mal umbauen wollen", sagt Landgraf. Genau das würden aber gute Kreativlinge machen, wenn nötig auch ein 15. Mal. Eigeninitiative sei gefragt. Denn die Spielagentur hat selbst nur zwei fixe Mitarbeiter und einen externen Designer. Sie macht die Spiele verlagsfertig. Die Verlage arbeiten dann nochmals drüber, etwa bei der Anleitung.

Spielautoren haben also einen langen Weg vor sich – und nur wenige können davon leben, sagt Landgraf, auch wenn sich deren Anzahl in den letzten Jahren erhöht hat. Wie bei Büchern erhalten die Erfinder Tantiemen, abhängig von der verkauften Stückzahl. Üblich sei eine einstellige Prozentzahl. "Kostet ein Spiel zehn Euro und erhält man davon etwa sechs Prozent, kann sich jeder vorstellen, dass sich die Arbeit erst ab einer gewissen Stückzahl auszahlt", so die Agenturchefin.

Und wie kommt man zu einer hohen Stückzahl? Was macht letztlich ein gutes Spiel aus? "Ich muss mich danach daran erinnern können", sagt Landgraf. Momente, die man Freunden weitererzählen wolle. Im Fall des Kartenspiels Uno auch Momente, in denen der schwarze Vierer Freundschaften zerstört hat.

Themenwahl

Für einen Aufreger der anderen Art sorgte die Meldung im September, dass bei einer neuen Monopoly-Version Frauen mehr Geld als Männer bekommen – eine Anspielung auf die Lohnunterschiede der beiden Geschlechter. Für Landgraf eine Seltenheit. Die Branche sei eher konservativ und versuche nirgends anzuecken.

Ob das gut ist, darüber ist die Spieleagenturchefin geteilter Meinung. Einerseits würde sie sich wünschen, dass die Branche vermehrt auf den Zeitgeist eingeht. Andererseits sei das gar nicht so leicht. Denn viele Menschen wollen in Spielen ja dem Alltag entfliehen, was die Themenwahl einschränkt. Außerdem benötige man auch erst die passende Spielidee. Manchmal gelingt das dann aber doch: Im Herbst soll ein Spiel erscheinen, in dem man einen korrupten Umweltpolitiker zum Erfolg führen muss. Sein Motto: Maßnahmen gegen den Klimawandel sind dringend, aber nur solche, die den eigenen Wohlstand nicht gefährden. "Das Konzept dahinter wollte jahrelang niemand angreifen. Jetzt ist die Zeit reif dafür."

Trends und Gewohnheiten

Aktuell liegen Rätselspiele (zum Beispiel Escape Room) und schnellere Spiele im Trend, in den USA "snackables" genannt, weil man sie nach dem Abendessen in gemütlicher Runde spielen kann. Bei diesem Genre kann jede Person jederzeit ein- oder aussteigen. Längere Klassiker sieht Landgraf hier im Nachteil: "Risiko ist aus heutiger Sicht eigentlich nicht gut durchdacht. Der Spielmechanismus trägt nicht die stundenlange Spieldauer. Zwei Würfelwürfe können die gesamte Strategie ad absurdum führen."

Blick in Zukunft

Das Coronavirus erschwere den Blick in die Zukunft. Viele Games werden in Asien hergestellt. "Dort gibt es aktuell aber wichtigere Dinge zu produzieren. Vieles ist ungewiss." Landgraf verweist darauf, dass man Spiele bei kleinen Fachhändlern online bestellen und dort auch telefonisch beraten werden kann, etwa bei Dreamland-Games in Linz.

In Österreich, glaubt Landgraf, werden Gesellschaftsspiele auch weiterhin beliebt bleiben. Denn im deutschsprachigen Raum wachse man damit auf. "In Polen gelten Gesellschaftsspiele als Luxusartikel und sind dementsprechend teurer", erklärt Landgraf kulturelle Unterschiede. In Südamerika und Ländern wie Indien wachse die Mittelschicht und damit ein neuer Markt heran. (Andreas Gstaltmeyr, 22.3.2020)